Joschka und Herr Fischer

Dokumentarfilm | Deutschland/Schweiz 2011 | 143 Minuten

Regie: Pepe Danquart

Dokumentarfilm über den ehemaligen linken Aktivisten und späteren Politiker Joschka Fischer, der den Protagonisten via Archivmaterial mit seiner Vergangenheit konfrontiert und ihn darüber von sich selbst und seinem Werdegang erzählen lässt. Dabei entsteht ein in weiten Teilen sehr unterhaltsames, mitunter aber auch recht selbstgefälliges Bild der Politikerpersönlichkeit, das zwar einige "Jugendsünden" kritisch beleuchtet, aber entscheidende blinde Flecken aufweist. Vor allem fehlt dem Film eine kritische Instanz, die erhellend hinter die Fassade des im Umgang mit den Medien versierten Machtmenschen blicken würde. - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
JOSCHKA UND HERR FISCHER
Produktionsland
Deutschland/Schweiz
Produktionsjahr
2011
Produktionsfirma
quintefilm/Dschoint Ventschr/SWR/Arte/RBB/DRS
Regie
Pepe Danquart
Buch
Pepe Danquart
Kamera
Christopher Häring · Kolja Brandt
Musik
Thom Hanreich · Sebastian Padotzke
Schnitt
Tony Froschhammer
Länge
143 Minuten
Kinostart
19.05.2011
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Dokumentarfilm
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Heimkino

Verleih DVD
X Verleih/Warner (16:9, 1.78:1, DD5.1 dt.)
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Diskussion
Die Idee ist naheliegend: die Geschichte der Bundesrepublik entlang der Biografie von Joseph Martin Fischer, Jahrgang 1948, zu erzählen. Schließlich hat der einiges erlebt: Der Metzgerssohn aus Gerabronn ohne Schulabschluss mit abgebrochener Fotografen-Ausbildung wurde zum Sponti mit echten Streetfighter-Qualitäten, zum linken Antiquar, zum Taxifahrer, zum Bundestagsabgeordneten, hessischen Umweltminister, schließlich zum Außenminister und Vizekanzler der rot-grünen Koalition. Nach deren Ende legte Fischer im September 2006 sein Bundestagsmandat nieder und ist seither als Dozent, Vortragsreisender und Berater diverser Konzerne tätig. Was sagt eine solche politische Karriere, die von durchaus gewaltbereiter Systemopposition bis in höchste politische Ämter führt, über eine politische Kultur aus? Was sagt sie über den Menschen Joschka Fischer aus? Was für eine Provokation diese Biografie darstellt, zeigte sich noch am Rande der Guttenberg-Affäre, als dessen Sympathisanten sich darüber erregten, was denn, bitte schön, so schlimm an einem systematischen Betrüger, Hochstapler und Blender sei, wenn es ein militanter Steinewerfer bis ins Außenministerium geschafft habe. Ein durchaus spannender Stoff also. Beim Anschauen von „Joschka und Herr Fischer“ fragt man sich allerdings, warum der Film so bieder geworden ist; schließlich verdankt man Pepe Danquart so spannende, ungewöhnliche und unterhaltsame Dokumentationen wie „Höllentour“ (fd 36 527) oder „Am Limit“ (fd 38 065). Eine mögliche Antwort gibt Danquart im Presseheft selbst, wenn er davon spricht, dass Fischer und er schon bei ihrer ersten Begegnung „den Sponti in sich“ entdeckt hätten. Danquart ist zwar einige Jahre jünger als Fischer, aber scheinbar gibt es gemeinsame Lebenserfahrungen und politische Haltungen aus den 1970er-Jahren. Auf der Grundlage dieser biografischen wie politischen Haltungen – Danquart spricht davon, dass im damals noch amtierenden Außenminister Fischer „tief im Inneren vergraben“ ein kleines Sponti-Flämmchen glomm und bei der ersten Begegnung mit Sponti Danquart „aufleuchtete“ – ist „Joschka und Herr Fischer“ konstruiert. Der Film setzt einiges an gemeinsamen Erfahrungen voraus und will zudem keine konventionelle „Talking Heads“-Dokumentation sein, sondern – wie in einer psychoanalytische Sitzung ohne aufklärerischen Anspruch – Herrn Fischer sein Leben selbst erzählen lassen. Das ist nur eine bedingt gute Idee, denn einerseits ist Herr Fischer ein routinierter Meister der biografischen Selbstauskunft, andererseits scheint das kleine Sponti-Flämmchen zum Zeitpunkt der Filmaufnahmen erloschen. So erklärt Fischer mit staatsmännischer Geste, was Joschka einst angefochten haben mag. Und der Realo Herr Fischer geht, wie man so sagt, hart mit sich und seiner Fundi-Vergangenheit ins Gericht, was dazu führt, dass Joschka das, was man einst an ihm schätzte („Mit Verlaub, Herr Präsident, Sie sind ein Arschloch!“) vom Herrn Fischer selbst ausgetrieben bekommt. Dieser Exorzismus am lebenden Subjekt ist äußerst schmerzhaft. Selten sind Sympathien für einen Menschen so schnell verflogen wie im Falle von „Joschka und Herr Fischer“. Danquart hat das Monument der Selbstgefälligkeit um einige „Side Stories“ ergänzt, die aber nur in Ausnahmefällen funktionieren. Was haben Knallchargen wie die Musiker der Band Fehlfarben, abgesehen von den ironischen Verweigerungsposen, schon beizutragen? Will man mal wieder Plattitüden von Katharina Thalbach hören? Interessant ist es eher, wenn Menschen, die offenbar mehr mit ihrer Biografie in Einklang sind, alte, ironische Linke und Anarchos wie Johnny Klinke („Revolution gescheitert, aber viel gelernt!“) oder Knofo Knöcher das Wort ergreifen. Aber auch rein inhaltlich beißt sich Danquart an Fischer die Zähne aus, weil hier eine kritische Instanz fehlt, die nachfragt, warum Fischers linker Biografie irgendwann die Chronologie abhanden kommt. Warum ist er erst so spät zu den Grünen gekommen, obwohl die Proteste gegen das AKW Wyhl bereits 1974 anfingen, als Fischer noch beim „Revolutionären Kampf“ in Frankfurt mitmischte? Wurden die Umweltschützer von den Frankfurter Polit-Profis nur instrumentalisiert? Was genau machte Fischer eigentlich zwischen dem Deutschen Herbst 1977, als er sich von der Gewalt distanziert haben will, und seinem Einzug in den Bundestag? Ist er nur Taxi gefahren? Oder hat er sich auch politisch betätigt? Welche Rolle spielt Daniel Cohn Bendit in Fischers Leben genau? Was hat die Startbahn West in Frankfurt mit Fischer zu tun? Wie war das damals mit dem Kriegseinsatz in Ex-Jugoslawien? Und mit der Ablehnung des Irak-Krieges? Vor allem: Womit verdient Fischer heute sein Geld, und wie passt das in die Vita des Ex-Spontis? Viele, viele Fragen, die Danquart, der alte Sponti und Uni-Professor und das Gründungsmitglied der Deutschen Filmakademie, nicht stellt, könnten die fälligen Antworten doch unangenehm werden. Und sei es nur für den Fragenden.
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