Our Grand Despair

Tragikomödie | Türkei/Deutschland/Niederlande 2011 | 101 Minuten

Regie: Seyfi Teoman

Zwei Freunde, die sich in Ankara eine Wohnung teilen, nehmen die Schwester eines Freundes bei sich auf, als diese nach dem Tod der Eltern eine Bleibe und Unterstützung braucht. Je mehr sich das Zusammenleben einspielt, desto deutlicher erwachen in ihnen Gefühle, die über freundschaftliche Zuneigung hinausgehen. Die mit großer Gelassenheit entwickelte Dreiecksgeschichte erzählt tragikomisch von den Freuden und Traurigkeiten einer uneingestandenen Liebe und huldigt zugleich der Freundschaft. Trotz einiger Längen gelingen dem Film wunderbar schwebende Szenen zwischen Melancholie und Situationskomik, die einen erfrischenden Blick auf die Beziehungsnöte urbaner, von klassischen Familienmodellen losgelösten Großstädtern werfen. - Ab 16.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Originaltitel
BIZIM BUYUK CARESIZLIGIMIZ | OUR GRAND DESPAIR
Produktionsland
Türkei/Deutschland/Niederlande
Produktionsjahr
2011
Produktionsfirma
Bulut Film/unafilm Berlin/Circe Films
Regie
Seyfi Teoman
Buch
Seyfi Teoman · Baris Bicakci
Kamera
Birgit Gudjonsdottir
Musik
Sakin
Schnitt
Çiçek Kahraman
Darsteller
Ilker Aksum (Ender) · Fatih Al (Çetin) · Günes Sayin (Nihal) · Baki Davrak (Fikret) · Taner Birsel (Murat)
Länge
101 Minuten
Kinostart
04.08.2011
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Tragikomödie
Externe Links
IMDb | TMDB

Diskussion
Am Beginn steht eine Trauerfeier – doch damit ist der schwärzeste Punkt dieser Tragikomödie auch schon erreicht, in der es entgegen dem Titel nicht um die „große Verzweiflung“ geht: Die beiden Männer, von denen Seyfi Teomans zweiter Langfilm nach „Tatil Kitabi (Summer Book)“ (fd 39 938) erzählt, sind nicht gerade Typen, die zu heftigen Gefühlsausbrüchen neigen. Ender und Çetin, beide ungefähr Mitte Dreißig, leben in einer WG in Ankara; beide sind Singles und zunächst mit diesem Zustand auch ganz zufrieden. Ihre Freundschaft ist, zumindest soweit es der Film erzählt, zwar platonisch; trotzdem funktionieren Ender und Çetin wie ein gut aufeinander eingespieltes Ehepaar; beide haben sich behaglich in ihrem Junggesellenleben eingerichtet. Doch der Todesfall, der zu Beginn des Films beklagt wird, bringt die Routine der beiden Männer durcheinander. Die Verunglückten sind die Eltern eines Freundes von Cetin und Ender. Der bittet sie, seine jüngere Schwester bei sich aufzunehmen, während sie in Ankara die Schule beendet; der Freund selbst arbeitet in Deutschland und kann nicht unmittelbar für seine Schwester da sein. Bald darauf teilen die beiden Männer ihre Wohnung mit der jungen Nihal und versuchen etwas unbeholfen, dem Mädchen über die Trauerphase hinweg zu helfen. Schließlich lebt Nihal wieder auf, gewöhnt sich in ihrem neuen Zuhause ein, wird offener und fröhlicher – und bringt das Gefühlsleben von Ender und Çetin zunehmend durcheinander, da sich beide widerwillig, aber hoffnungslos in die reizende junge Frau verlieben. Es steht allerdings außer Frage, dass den aufsprießenden Empfindungen auch Taten folgen würden: zu groß ist der Altersunterschied zwischen den gestandenen Männern und dem Mädchen, und außerdem wurde ihnen Nihal von ihrem Bruder anvertraut. Außerdem ist da ja auch noch die tiefe Freundschaft, die sie miteinander verbindet und die durch die Liebe zur gleichen Frau auf eine Probe gestellt wird. Zu melodramatischen Verstrickungen oder einer großen Aufwallung von Leidenschaft und Eifersucht führt dies freilich nicht. Ähnlich wie in „Tatil Kitabi (Summer Book)“ sind die Protagonisten fast provozierend passiv und zurückhaltend, was das Ausagieren ihrer Emotionen angeht. Das wird irgendwann zwar zum dramaturgischen Problem, allerdings wesentlich weniger als im Vorgängerfilm: Während es in „Tatil Kitabi (Summer Book)“ in Kombination mit dieser Zurückhaltung auch noch das relativ große Figurenensemble und die vielen Konfliktlinien schwer machten, den einzelnen Figuren nahe zu kommen, ist „Our Grand Despair“ wesentlich konzentrierter und genauer in der Darstellung seiner Charaktere. Obwohl in dem Film letztlich ebenso wenig passiert wie in „Tatil Kitabi (Summer Book)“, ist es leichter, sich auf die Protagonisten einzulassen und in den Alltag ihres Zusammenlebens hinein ziehen zu lassen, den Teoman liebevoll einfängt. Trotz einiger Längen gelingen ihm dabei herrliche, zwischen Situationskomik und leiser Melancholie schwebende Szenen – etwa wenn Nihal zum ersten Mal Freunde aus der Schule mit in die gemeinsame Wohnung bringt und Ender und Cetin ihr Unbehagen überspielen müssen, wenn ihnen angesichts der jungen Leute ihr Altersunterschied umso deutlich vor Augen steht. Oder wunderbar sinnliche Sequenzen, in denen die unausgelebte menage à trois einen sanften, sozusagen französischen „Jules und Jim“-Zauber entfaltet, etwa wenn das gemeinsame Kochen und Essen zelebriert wird, dem Cetin und Ender mit großer Kunstfertigkeit huldigen, oder in einer wunderschönen Sequenz, in der das Trio einen gemeinsamen Ausflug aufs Land unternimmt: Höhe- und gleichzeitig Wendepunkt ihrer fragilen Dreiecksbeziehung. So sehr man den beiden Helden des Films an manchen Stellen einen Schubs geben möchte, damit sie mehr aus sich heraus gehen, so angenehm ist es, mit welcher Selbstverständlichkeit Teoman hier ein Männerbild entwirft, das von den Rollenmustern des türkischen Mainstreamkinos nicht weiter entfernt sein könnte. Gleichzeitig konterkariert die heitere Gelassenheit, die der Film als Studie über den urbanen Beziehungsdschungel in Metropolen wie Ankara und Istambul ausstrahlt, reizvoll die Tristesse der Autorenfilme eines Nuri Bilge Ceylan. Der Blick, den Seyfi Teoman auf sein Land und die Lebensmodelle seine Bewohner wirft, macht neugierig.
Kommentar verfassen

Kommentieren