Unter Kontrolle (2011)

Dokumentarfilm | Deutschland 2011 | 98 Minuten

Regie: Volker Sattel

Dokumentarfilm über Atomkraftwerke in Deutschland. Er widmet sich ganz der Binnenperspektive aus verschiedenen AKWs, beobachtet Arbeitsplätze, Abläufe und Alltag der Mitarbeiter und lässt sie die Funktionen erläutern, die Mensch und Maschinen erfüllen. So entsteht ein unpolemischer und doch alarmierender Film, der nüchtern eine durchtechnisierte Welt erkundet, deren sterile Ordnung eine falsche Sicherheit suggeriert und deren menschliches "Inventar" sich mit verblüffender Sorglosigkeit auf die Kontrollierbarkeit der extrem gefährlichen Atomtechnologie verlässt. Das in präzisen, klaren Bildern komponierte Requiem auf menschliche Wissenschafts- und Technikutopien gewinnt durch die Reaktorkatastrophe in Japan 2011 erschreckende Aktualität. - Sehenswert ab 12.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2011
Produktionsfirma
Credofilm/WDR/Arte
Regie
Volker Sattel
Buch
Volker Sattel
Kamera
Volker Sattel
Schnitt
Stephan Krumbiegel · Volker Sattel
Länge
98 Minuten
Kinostart
26.05.2011
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 12.
Genre
Dokumentarfilm
Externe Links
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Diskussion
Was für ein Timing! Ein Triumph des viralen Marketing? Nein, angesichts von Volker Sattels „Unter Kontrolle“ muss man daran erinnern, dass Film ein sehr langsames Medium ist: Man spürt beim Sehen förmlich die Zeit, die Sattel in die Recherchen für seinen Film investiert hat und wohl auch investieren musste. Denn dorthin, wo er mit seiner Kamera wollte, kommt man nicht unversehens. Unbefugte haben keinen Zutritt. Sattel liefert sachliche, über weite Strecken unkommentierte Beobachtung aus dem Inneren eines Atomkraftwerkes. Wie sieht der Arbeitsalltag dort aus? Wie sehen die Menschen aus, die dort arbeiten? Wie hört sich ein Atomkraftwerk an? Bei Tag und in der Nacht? Wie sieht die Landschaft aus, in der ein Atomkraftwerk steht? Dazu hört man einzelne Stimmen und Aussagen, sachlich und routiniert: „Wir stehen hier vor der sogenannten Reaktor-Schutztafel, die dem Betriebspersonal signalisiert, ob wesentliche Parameter in einen Zustand gerückt sind, der in Richtung einer unguten Situation führen kann. Das wird dadurch signalisiert, dass wir eine Signalisierungsebene haben. (...) In das Design unserer Anlagen ist eingebaut, dass der Mensch Fehler macht. Das kann in der Kerntechnik auch von Schaden sein.“ Allerdings: „Zehn hoch minus 7 Eintrittswahrscheinlichkeit. Nach menschlichem Ermessen ausgeschlossen!“ Im Zentrum dieser Dokumentation steht etwas, wird von etwas geredet, wird mit etwas gearbeitet, was unsichtbar ist. Gefährlich, aber kontrollierbar. Es ist ganz erstaunlich, welches Vertrauen in die Sicherheit die Menschen „ausstrahlen“, die in den Nuklearanlagen arbeiten. Und ihre Sprache, sofern sie zu Wort kommen, verstärkt diese Ausstrahlung noch, flankiert von der schönen Aufgeräumtheit der Arbeitsplätze und den schon graphisch beeindruckenden Kontrollvorrichtungen, die man in Cinemascope zu sehen bekommt. Das Verhältnis zwischen Mensch und Technik scheint in Sprache und auch in der Architektur und im Design geradezu auf den Kopf gestellt und zeichenhaft versimplifiziert, um eine Beherrschbarkeit zu suggerieren, die so nicht vorliegt. Man ahnt beim Sehen von „Unter Kontrolle“, dass der Mensch hier in einem Akt der Hybris eine Technologie in Gang gesetzt hat, die das Verhältnis von Subjekt und Objekt in Frage stellt oder gleich verrückt. Und dass in einem Akt der hellsichtigen Selbstreflexion das dazu passende Design entwickelt wurde, das den Menschen an seinen Ort verweist. Es ist ein Ort am Rande der Abläufe. Diesen Befund evoziert Sattel allein durch behutsames und ausgesprochen ästhetisches Anordnen der Bilder, von denen erschreckend viele ohne Menschen auskommen. Und dann „passiert“ Fukushima, und plötzlich scheint ein großer, kleiner Film wie „Unter Kontrolle“ keine Marginalie des Medienalltags, sondern dicht am Puls der Zeit. Der Film, auf der „Berlinale“ noch „unschuldig“ vorgestellt, wurde unvermittelt von seiner Zeitgenossenschaft kontaminiert: Ein Wort wie „Abklingbecken“ wäre vor acht Wochen noch durchgerauscht, heute klingt es bereits höchst alarmierend. Doch ist „Unter Kontrolle“ alles andere als ein Agit-Prop-Film, sondern eher ein Requiem auf eine Science-Fiction-Utopie, die Jahrzehnte lang vor ihren eigenen Konsequenzen die Augen verschloss. Deshalb durchstreift die Kamera neugierig auch ein Zwischenlager für atomaren Abfall, zeigt Abrissarbeiten an einer stillgelegten Anlage und unternimmt einen Ausflug zum Schnellen Brüter nach Kalkar, über den noch lange kein Gras wachsen wird, der aber als Vergnügungspark eine absurde, aber weitaus menschenfreundlichere Bestimmung gefunden hat. Und schließlich erteilt „Unter Kontrolle“ stolzen Ingenieuren das Wort, die angesichts des Prestigeverlustes ihrer Technologie eine gewisse Verbitterung nicht verhehlen. Der etwas eindimensionalen Schlusspointe des simulierten Störfalles hätte es gar nicht bedurft; der Film ist auch so bereits unheimlich genug. Andererseits ist es schließlich das Filmmaterial selbst, das die unsichtbare Strahlung sichtbar macht – und so für Aufklärung sorgt. Ein Meisterwerk!
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