- | Frankreich/Japan 2009 | 93 Minuten

Regie: Hippolyte Girardot

Zwei neunjährige Mädchen aus Paris sind beste Freundinnen. Als sich die Eltern der einen trennen und das Mädchen mit seiner Mutter nach Japan soll, versuchen die beiden mit allen Mitteln, die Scheidung zu verhindern. Da diese Versuche aber nichts fruchten, laufen sie weg und verstecken sich im Wald. Ein stiller, konzentrierter Film, der durchgängig aus der kindlichen Perspektive von Ohnmacht und ihrer Überwindung durch Spiele und Mythen handelt und in einer märchenhaften Paraphrase Wunsch und Wirklichkeit miteinander versöhnt. (O.m.d.U.) - Sehenswert ab 10.
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Filmdaten

Originaltitel
YUKI & NINA
Produktionsland
Frankreich/Japan
Produktionsjahr
2009
Produktionsfirma
Comme des Cinémas/Les Films du Lendemain/Bitters End/ARTE France Cinéma
Regie
Hippolyte Girardot · Nobuhiro Suwa
Buch
Hippolyte Girardot · Nobuhiro Suwa
Kamera
Josée Deshaies
Musik
Foreign Office · Lily Margot · Doc Mateo
Schnitt
Laurence Briaud · Hisako Suwa
Darsteller
Noë Sampy (Yuki) · Arielle Moutel (Nina) · Tsuyu Shimizu (Jun, Yukis Mutter) · Hippolyte Girardot (Frédéric, Yukis Vater) · Marilyne Canto (Camille, Ninas Mutter)
Länge
93 Minuten
Kinostart
16.06.2011
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 10.
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Diskussion
Yuki und Nina sind beste Freundinnen. Beide sind neun Jahre alt und leben in Paris. Am Anfang sieht man sie, wie sie zusammen von der Schule zu Nina nach Haus gehen und sich unterhalten. Vor allem Nina redet, viel und bestimmt. Yuki ist meistens still; eher eine Beobachterin denn eine Träumerin. Irgendein Geheimnis scheint sie zu umgeben. Vielleicht ist es ihre Herkunft aus zwei Kulturen, aus Frankreich und Japan, die ihr ein Gefühl des Andersseins gibt, eine Distanz und eine zunächst kaum spürbare Zögerlichkeit. Vielleicht ist sie aber einfach auch nur die Stillere der beiden. „Je suis comme ça“, „Ich bin eben so“, sagt sie einmal, als Nina fragt, warum sie immer so ängstlich sei. Die allererste Szene zeigt Yuki mit ihrer Familie bei einem Picknick im Park. Ein alter Mann, vermutlich der Großvater, malt ein Bild. Ein Fuchs und eine Nachtigall sind darauf, und der Alte erklärt Yuki geduldig, warum er den Baum in Gelb gemalt hat: weil er das Licht der Sonne reflektiert – und warum der Fuchs nicht unbedingt böse ist, wenn er die Nachtigall fressen will. Eine Lektion über das Kino und das Leben, die auch dem Zuschauer gilt: Man muss genau hinschauen, und nie hat nur eine Seite Recht. Yuki, die mehr und mehr ins Zentrum rückt, wird das im Lauf des Films lernen. Bald erfährt sie, dass sich ihre Eltern trennen werden. Die Mutter will zurück nach Japan, Yuki soll mit. „Ich will nicht nach Japan“, sagt sie, und man hört mit Yuki ihren Eltern zu, die sich streiten: „Sie ist französisch“, sagt der Vater, „sie ist nicht nur französisch“ die Mutter. Es entspinnt sich die Geschichte einer allmählichen Emanzipation der Kinder, die keineswegs ein „Abschied“ von den Eltern ist, sondern eine Verteidigung der Kindheit. Was hier unter anderem auch deshalb so gut funktioniert, weil man mit den Erfahrungen der Mädchen an die eigene Kindheit erinnert wird, an Ohnmacht und Fluchtbewegungen, an Ausbrüche und die universale Distanzierung von den Zumutungen der Eltern. Zunächst sieht man die Mädchen in ihrem Alltag. Wie sie der Liebesfee einen Brief schreiben, mit den Eltern diskutieren und vor allem miteinander. Das ist immer wieder lustig, gerade weil der Film sich nicht anbiedert, sondern die Erfahrungen und Erlebnisweisen der Kinder ernst nimmt; und auch, weil immer klar ist, dass nichts perfekt ist in diesen Leben, weder bei den Erwachsenen noch bei den Kindern. Als sich dann abzeichnet, dass Yuki nach Japan muss, sieht man lauter letzte Tage. Doch Yuki weigert sich: „Ich geh’ nicht nach Japan.“ Die Mädchen hauen einfach zusammen ab. Zuerst streunen sie durch die Stadt, dann geht es ins Landhaus von Ninas Vater, wo sie im Wohnzimmer zelten und über Feen und Goblins reden; als sie auch dort nicht bleiben können, verschwinden sie im Wald. Der ist nicht französisch zivilisiert, sondern japanisch: Ein Ort der Geborgenheit, ein Zurück zur Natur. Elfen und Geister gibt es hier wohl auch, aber sie sind nicht gefährlich. Die Kamera betont das Geheimnis. Sie zeigt das Licht der Sonne auf dem Farn, und plötzlich sieht alles ganz gelb aus, dann wieder dunkel. Zwischendurch ist man mit Yuki plötzlich in Japan; hier verlässt der Film die realistische Ebene, wird spirituell, wobei sich die Qualität der Regisseure Hippolyte Girardot und Nobuhiro Suwa auch darin zeigt, dass man das schon sehen kann, bevor man es erfährt. Sehr gut erzählt ist alles, in stillen, intensiven Bildern, die immer mehr zeigen, als sie abbilden. Beim Gang in den Wald und Yukis Transformation denkt man unwillkürlich an Filme von Naomi Kawase. Wie dort gehen Traum und Wirklichkeit zwischendurch ineinander über. „Yuki & Nina“ gelingt das Kunststück, ganz aus der Sicht der Kinder zu erzählen und diese Perspektive vom ersten bis zum letzten Bild durchzuhalten. Aus Kindersicht bedeutet hier auch, dass es tatsächlich echte Kinder sind, um die es geht, keine kleinen Erwachsenen. Eine zauberhafte Geschichte, ein Märchen über Fremdheit und Grenzüberschreitung. Wenn dieser intensive Film eine Moral besitzt, dann die, Kinder und ihre Erfahrungen ernst zu nehmen, und: dass Kinder sich trennen müssen von ihren Eltern, auch um deretwillen. Wie der Song gegen Ende verkündet: „My parents depend on me.“
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