Dokumentarfilm | Deutschland 2011 | 95 Minuten

Regie: Paul Hadwiger

Dokumentarfilm über ein Bauvorhaben in Ostpolen: Ein deutscher Unternehmer und eine polnische Managerin wollen ein Einkaufszentrum errichten. Über Jahre - der geplante Bau verzögert sich immer wieder - begleitet der Regisseur das Projekt. Sein Film lässt Macher, Zustimmer und Gegner zu Wort kommen und verdichtet sich zu einer "Fallstudie" über Kapitalismus-Träume und ihre Konfrontation mit der Wirklichkeit. Durch die offensiv eingesetzte Musik bekommt er komödiantische Töne, geht ansonsten aber eher nüchtern-lakonisch an das Sujet heran. (Teils O.m.d.U.) - Ab 14.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2011
Produktionsfirma
maxim film/RBB/MDR
Regie
Paul Hadwiger
Buch
Doreen Rechin · Paul Hadwiger
Kamera
Anne Misselwitz · Paul Hadwiger
Musik
Moritz Denis · Eike Hosenfeld · Tim Stanzel
Schnitt
Rune Schweitzer
Länge
95 Minuten
Kinostart
18.08.2011
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
Externe Links
IMDb

Diskussion
Es gab einmal einen Traum: von blühenden Landschaften, von einem Kapitalismus mit lachendem Gesicht, der alle Menschen glücklich machen sollte, die im Osten und die im Westen natürlich auch. Der Bauunternehmer Hermann Kümmel träumte diesen Traum von der schönen neuen Welt im Jahr 2004. Das bot sich an, denn in diesem Jahr trat Polen der EU bei. Der junge Filmemacher Paul Hadwiger hat Hermann Kümmel und seine Weggefährten für seinen ersten langen Dokumentarfilm „Kümmel baut“ fünf Jahre lang begleitet, war nur im Rahmen eines DAAD-Recherche-Stipendiums möglich war. Langzeitbeobachtungen sind selten geworden. Dass „Kümmel baut“ überhaupt zu einer Langzeitbeobachtung geworden ist, lag sicherlich zum Großteil an den Umständen: Der Bau des Einkaufszentrums „Neue Welt“, das der Bauunternehmer in Rzeszów hochziehen wollte, der Hauptstadt der ostpolnischen Vorkarpaten, verzögerte sich um Jahre. Es blieb dem Filmemacher also viel Zeit, das Aufeinanderprallen der unterschiedlichen Mentalitäten zu verfolgen, die Bewohner der Stadt und ihre Bedürfnisse ebenso kennen zu lernen wie seine beiden zentralen Protagonisten: neben Hermann Kümmel die polnische Managerin Viola Wojnowski. Sie ist in einem Plattenbau groß geworden, einem eben solchen, wie sie die riesige Baugrube umgeben, aus der bald die „Neue Welt“ erstehen soll. Viola Wojnowski will „den Leuten etwas geben, was sie bis jetzt nicht hatten und von dem sie nicht wussten“. Sie lässt sich eine Villa in Berlin-Dahlem bauen. In Polen will sie mit ihrem kleinen Sohn nicht bleiben. Kümmel unterdessen zieht es immer wieder zurück auf den mütterlichen Bauernhof im Hessischen, wo er Gänse rupft, Hasen füttert oder alte Freunde trifft. Einst wollte er den Sozialismus nach Nicaragua bringen – und ist eigentlich dort schon zum Unternehmer geworden. Die gut gelaunte Blasmusik legt nahe, dass es sich bei „Kümmel baut“ um eine Dokumentar-Komödie handelt. Das ist auch in Teilen richtig; trotzdem übertreibt die Musik ein wenig. Recht nüchtern und lakonisch blickt Hadwiger, der auch Kameramann ist und manchmal die Kamera selbst geführt hat, auf die Polen und die Deutschen und die jeweiligen kapitalistischen Visionen. Sehr treffend bemerkt einmal der Journalist Antoni Adamski, ein erklärter Gegner des Projekts, dass die Polen dieses Mal auf paradoxe Weise versuchen würden, den Kapitalismus aufzubauen – nämlich „ohne Geld“. Gelegentlich reden die Menschen durcheinander, was das Zuhören dann mitunter zur Herausforderung macht. Auf der Bildebene arbeitet Hadwiger auch funktional und nüchtern und vermeidet eher große Bilder. Im Jahr 2004 entstand der Film „Cesky Sen – Der tschechische Traum“ (fd 37 533), der Abschlussfilm der tschechischen Filmstudenten Vít Klusák und Filip Remunda. Die beiden eröffneten in einer Art Experiment ein Einkaufszentrum, das es gar nicht gab. Ihre Bilder von der Eröffnung der Fassade des „Tschechischen Traums“ gleichen den Bildern von wartenden Massen bei der Eröffnung der „Neuen Welt“, die nun „Kümmel baut“ zeigt. Auch wenn da das Projekt von der Finanzkrise längst schwer gezeichnet ist.
Kommentar verfassen

Kommentieren