Drama | Großbritannien/USA 2011 | 121 Minuten

Regie: Cary Joji Fukunaga

Adaption von Charlotte Brontës Roman um die Waise Jane Eyre, die als Gouvernante aufs Anwesen eines Adligen kommt. Dieser gibt sich zunächst schroff und unzugänglich, bevor er sich der unscheinbaren, aber selbstbewussten jungen Frau in Liebe zuwendet. Doch dem Glück steht ein düsteres Geheimnis aus der Vergangenheit des Hausherren entgegen. Elegant verbindet der Film Horror, Krimi, Liebes-, Psycho- und Emanzipationsdrama und fesselt als eine Lesart des viktorianischen Klassikers, die weniger auf die dramatischen Eckpunkte als auf die psychologische Durchdringung vor allem der weiblichen Hauptfigur setzt. Sowohl die Kamera als auch die Musik, vor allem aber die großartigen Darsteller machen die Gefühlswelten der Figuren dabei intensivst transparent. - Sehenswert ab 12.
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Filmdaten

Originaltitel
JANE EYRE
Produktionsland
Großbritannien/USA
Produktionsjahr
2011
Produktionsfirma
Focus Features/Ruby Films/BBC Films
Regie
Cary Joji Fukunaga
Buch
Moira Buffini
Kamera
Adriano Goldman
Musik
Dario Marianelli
Schnitt
Melanie Ann Oliver
Darsteller
Mia Wasikowska (Jane Eyre) · Michael Fassbender (Edward Rochester) · Judi Dench (Mrs. Fairfax) · Sally Hawkins (Mrs. Reed) · Jamie Bell (St John Rivers)
Länge
121 Minuten
Kinostart
01.12.2011
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 12.
Genre
Drama | Literaturverfilmung
Externe Links
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Heimkino

Die Extras umfassen u.a. einen Audiokommentar des Regisseurs sowie ein Audiokommentar von Rob Meyer und Ameer Youssef sowie ein Feature mit im Film nicht verwendeten Szenen (17 Min.).

Verleih DVD
Tobis (16:9, 1.85:1, DD5.1 engl./dt.)
Verleih Blu-ray
Tobis (16:9, 1.85:1, dts-HDMA engl./dt.)
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Diskussion
Auf die Frage des strengen Pfarrers Brocklehurst, was sie denn zu tun gedenke, um nicht in die Hölle zu kommen, antwortet die kleine Jane Eyre in aller Ernsthaftigkeit: „Ich muss versuchen, gesund zu bleiben und nicht zu sterben.“ Es ist diese erfrischende Direktheit, die Jane Eyres späterer Geliebter Edward Rochester so an dem äußerlich unscheinbaren Mädchen schätzen wird. Zugleich aber hat Jane, wie Rochester ihr beim ersten Gespräch bescheinigt, eine Aura von „Jenseits“, „Traumland“ und „Märchen“ an sich. Eine sehr charismatische Mischung, die unzählige Leser und vor allem auch Leserinnen des 1847 veröffentlichten Romans von Charlotte Brontë bis heute fasziniert. Beide Eigenschaften der Jane Eyre werden in dieser neuesten Filmadaption des Literaturklassikers deutlich herausgearbeitet: das Klare, Nüchterne, aber auch Janes ausgeprägte Vorstellungskraft und ihre Affinität zu den Dingen jenseits der irdischen Welt. Die australische Schauspielerin Mia Wasikowska füllt diese Figur mit Leben, als hätte Charlotte Brontë sie beim Schreiben des Romans schon vor ihrem inneren Auge gehabt. Der 22-Jährigen nimmt man alle Aspekte des durchaus widersprüchlichen Charakters ab, den feministischen Geist, die romantisch-jugendliche Verliebtheit ebenso wie die Selbstdisziplin, die Ernsthaftigkeit und den harten Leidensweg, den Jane in ihrem jungen Leben bereits hinter sich hat. Ohnehin ist die „Jane Eyre“-Verfilmung von Cary Joji Fukunaga, der schon mit seinem Debütfilm „Sin nombre“ (fd 39 850) überzeugte, sehr auf die titelgebende Figur fokussiert – anders als viele frühere Verfilmungen, die den mysteriösen Edward Rochester mit seinem düsteren Geheimnis ins Zentrum ihres Interesses stellten. Überhaupt zeigt sich Fukunaga beeindruckend furchtlos im Umgang mit dem viktorianischen Roman-Klassiker, an dessen über 20 Film- und Fernsehadaptionen schon namhafte Figuren wie Robert Stevenson oder Franco Zeffirelli mitwirkten. Selbstbewusst darf Fukunaga aber sein, wie seine „Jane Eyre“ beweist: Er erzählt die Geschichte der jungen Gouvernante, die ihren Dienst im düsteren Herrensitz Thornfield Hall antritt und sich in ihren Arbeitgeber verliebt, als eine Mischung aus Horrorfilm, Krimi, Liebes-, Psycho- und Emanzipationsdrama, mit sehr eigenem Zuschnitt, aber doch stets im Geiste von Charlotte Brontës literarischer Vorlage, ja, sogar weitgehend wortgetreu. Und doch haben die Dialoge, hat die Sprache des 19. Jahrhunderts auch für den heutigen Zuschauer nichts Hölzernes oder Gestelztes an sich. Sehr poetisch, aber authentisch klingt es, wenn sich Edward Rochester und Jane Eyre gegenseitig „die Bälle zuwerfen“. Denn vor allem das ist es, was den reichen Adligen und die mittellose Waise verbindet: die Gespräche auf Augenhöhe, die eine Seelenverwandtschaft erkennen lassen. In Janes Gegenwart öffnet sich der zynische Rochester und blüht sichtlich auf. Dennoch lässt er Jane lange glauben, sich mit der schönen Adligen Blanche Ingram verloben zu wollen. Irritation lösen zudem die seltsamen Vorkommnisse in Thornfield Hall aus: der nächtliche Brand in Rochesters Schlafzimmer oder der verletzte Besucher, der mitten in der Nacht fortgeschafft wird. Als Rochester aber schließlich, den Konventionen zum Trotz, seine junge Angestellte um ihre Hand bittet, scheint das Glück dieser beiden verwundeten Seelen perfekt. Bis am Hochzeitstag ein Mann in die Kirche stürmt und einen triftigen Grund dafür vorbringt, warum diese Heirat nicht stattfinden darf. Es spricht für den Film (wie auch für den Roman selbst), dass er trotz der einigermaßen räuberpistolenartigen Anlage des Plots niemals in die Gefahr gerät, ins Triviale abzudriften. Fukunaga stützt seine Erzählung nicht so sehr auf die dramatischen Eckpunkte der Geschichte, sondern auf die psychologische Durchdringung vor allem der weiblichen Hauptfigur, der er sich, anders als der Roman, in einer großen Rückblende nähert. Als Spiegel der inneren Ereignisse nutzt Fukunaga sehr stimmig die Naturgewalten, lässt Wind, Wetter und Weite der Landschaft von Janes Gefühlszuständen erzählen. Die präzise eingesetzte Musik von Dario Marianelli überzeugt ebenso wie die Kamera von Adriano Goldman, mit dem der Regisseur bereits bei „Sin nombre“ zusammenarbeitete; etwa, wenn sie Janes Aufnahme in das Haus des Vikars St. John Rivers nach ihrer Flucht aus Thornfield Hall ganz aus der Perspektive der erschöpften, dem Zusammenbruch nahen jungen Frau zeigt. Last but not least sei auch Michael Fassbender noch erwähnt, der sich in den vergangenen Jahren mit erstaunlicher Stringenz in die erste Reihe des internationalen Schauspiels vorgearbeitet hat (vgl. Porträt in fd 23/11). Seine sehr intensive Interpretation des Edward Rochester vereint all die Widersprüche, die ihn für Jane Eyre so anziehend machen, die Intelligenz und das Scharfsinnige, das Schroffe und Düstere, das Empfindsame und Verletzliche. Dass Fassbender eigentlich viel zu gut aussieht für den bei Charlotte Brontë als wenig ansehnlich beschriebenen Rochester, verzeiht man da gerne.
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