Tom Sawyer (2011)

Kinderfilm | Deutschland 2011 | 109 Minuten

Regie: Hermine Huntgeburth

Verfilmung des abenteuerlichen Jugendromans von Mark Twain, in dem die Freunde Tom Sawyer und Huck Finn gegen Ende des 19. Jahrhunderts am Mississippi-Ufer gegen die strenge Ordnung der Gesellschaft rebellieren, Zeugen eines Mordes werden, ihre Sorgen und Bedenken überwinden und sich verantwortungsvoll und gerecht verhalten. Der solide inszenierte, aufwändig ausgestattete Unterhaltungsfilm bietet viele "Highlights" der Vorlage, kappt aber sowohl deren satirische Spitzen als auch die emotionale Tiefe der Konflikte zwischen individueller Eigenverantwortlichkeit und gesellschaftlichen Zwängen zugunsten "gemütvoller" Glätte. (Fortsetzung: "Die Abenteuer des Huck Finn", 2012) - Ab 10.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2011
Produktionsfirma
Neue Schönhauser Filmprod./Filmaufbau Leipzig/Majestic Filmprod.
Regie
Hermine Huntgeburth
Buch
Sascha Arango
Kamera
Ngo The Chau
Musik
Biber Gullatz · Andreas Schäfer · Moritz Freise
Schnitt
Eva Schnare
Darsteller
Louis Hofmann (Tom Sawyer) · Leon Seidel (Huckleberry Finn) · Heike Makatsch (Tante Polly) · Benno Fürmann (Indianer Joe) · Joachim Król (Muff Potter)
Länge
109 Minuten
Kinostart
17.11.2011
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 10.
Genre
Kinderfilm | Literaturverfilmung
Externe Links
IMDb | TMDB | JustWatch

Diskussion
Auch heute noch – nach immerhin 135 Jahren! – fesselt Mark Twains Jugendbuch-Klassiker, in dem der Journalist und Schriftsteller seine eigenen frühen Erlebnisse am Mississippi zu einer stimmungsvollen und detailfreudigen „moralischen Abenteuergeschichte“ verdichtete. Tom Sawyers unbändige, „wilde“ Lebensfreude, seine Sehnsucht nach Freiheit und Selbstbestimmung in Zeiten, in denen die Zivilisation den Verhältnissen immer festere Zügel anlegt, reiben sich lustvoll an der noch jungen bürgerlichen Ordnung, an Rechtsstaatlichkeit sowie religiöser und schulischer Disziplin und entladen sich in den zu „Klassikern“ gewordenen Streichen, die Twain mit ebenso viel Witz wie satirischer Hintergründigkeit ausmalt. Bei allem über die Stränge Schlagen erdet er dabei seine und Toms Aufmüpfigkeit sehr präzise in den sozialen Verhältnissen seiner Zeit, indem er ein klares Bild der Lebensumstände zeichnet, zu denen auch Mord und Totschlag, Lynchjustiz sowie die Kritik an Rassismus und Sklavenhaltung (dies freilich explizit erst in der Fortsetzung „Huckleberry Finn“) gehören. Solche „gewalttätigen“ Erzählmomente, in denen es Twain sehr deutlich um die Unterscheidung von individueller und staatlicher Gewalt geht, drücken dem Roman ihren Stempel auf und machen ihn zum klugen sozialkritischen Zeitgemälde. Von all dem ist durchaus noch so manches in der neuen Verfilmung vorhanden, die sich viel Mühe gibt, etwas vom Flair des Romans in „groß atmende“ filmische Bilder zu verwandeln. Vor allem wurden viel Energie und Sorgfalt (sowie die entsprechenden finanziellen Mittel) in die Wahl der Drehorte sowie in die aufwändige, betont malerische Ausstattung investiert, die ein Gefühl von urwüchsiger Natur, landschaftlicher Idylle und der typischen Mississippi-Stimmung vermitteln soll. Atmosphärisch hat der Film tatsächlich einiges zu bieten, wenn mal amüsant, mal spannend und mitunter auch (angemessen) bedrohlich die vertraute Handlung illustriert wird: wie der Waisenjunge Tom Sawyer, der bei seiner Tante Polly und deren leiblichem Sohn Sid lebt, mit seinem besten Freund Huckleberry Finn seine Kreise im prosperierenden Handelsnest St. Petersburg zieht; wie die beiden beobachten, dass das zwielichtige Halbblut Indianer Joe nachts auf dem Friedhof den Arzt Doc Robinson ersticht und die Tat dem armen, hoffnungslos dem Alkohol verfallenen Muff Potter in die Schuhe schiebt; wie Tom sein gegenüber Huck geleistetes Schweigegelübde bricht, um Muff vor dem Galgen zu retten; wie sich ihre Freundschaft trotz dieses Loyalitätskonflikts bewährt und sie einen Goldschatz finden, den der rachedurstige, aus dem Gerichtssaal geflohene Indianer Joe in jener großen Höhle versteckt, in der sich Tom und Richtertochter Becky Thatcher am Ende verlaufen. Das alles (und mehr) ist da, ist sicht-, hör- und erlebbar, bunt und turbulent – und ist doch nur freundlich-harmlose Familienunterhaltung in historischen Kulissen, die weit entfernt ist vom „Feeling“ und Geist des Romans. Irgendwie wird man den Eindruck nicht los, als sei bei der Adaption weniger Twains facettenreiches Buch zugrunde gelegt worden als seien vielmehr die romantisierenden Jugenderinnerungen der Macher an ihre eigene Lektüre verfilmt worden: „Lausbubengeschichten“ halt, die einem einst selbst gefielen und die deshalb auch der heutigen jungen Generation noch gefallen „müssen“. Dabei verlässt sich der Film primär auf das sorgsam rekonstruierte „Milieu“, wobei sowohl die satirischen Spitzen als auch die emotionale Tiefe der Konflikte zwischen individueller Eigenverantwortlichkeit und gesellschaftlichen Zwängen auf altmodisch-betuliche Weise „gemütvoll“ bleiben. Dementsprechend werden der sympathischen Frische der Kinder durchweg farblose, mitunter stereotyp-sterile Erwachsenenfiguren entgegengestellt, die dem modularen Setzkasten des deutschen Family Entertainments entstammen; die nun junge Tante Polly könnte auch als Alleinerziehende „wilde Hühner“ oder vorstädtische „Krokodile“ betreuen, der „dämonische“ Indianer Joe chargiert unentschieden zwischen Mordbube und tragisch umflortem Außenseiter. Andreas Nohls fulminante Neuübersetzung des Romans (2010) erfüllte einfühlsam und respektvoll Twains eigene Kriterien: „Schlichter Stil, überzeugende Dialoge und strikte Vermeidung von allem Gekünstelten.“ Auch die Verfilmung hätte sich daran halten sollen; sie ist zwar „hübsch“ und gewiss publikumsfreundlich, aber nur wenig nachhaltig.
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