Komödie | Türkei 2011 | 103 Minuten

Regie: Murat Saraçoglu

Ein Feuerwehrmann von der türkischen Schwarzmeerküste wird in die "Kurdenhochburg" Diyarbakir geschickt, um dort ein Feuerwehrauto abzuholen. Wegen seiner Vorurteile gegen Kurden passt ihm der Auftrag ganz und gar nicht, doch wird er bei seiner Ankunft eines Besseren belehrt. Die amüsant erzählte, tiefgründige Culture-Clash-Komödie geht das mit Ressentiments beladene Thema des Kurdenkonflikts mit ironisch gebrochener Situationskomik sowie einer beeindruckenden Bildgestaltung an. (O.m.d.U.) - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
YANGIN VAR
Produktionsland
Türkei
Produktionsjahr
2011
Produktionsfirma
Yol Sinema
Regie
Murat Saraçoglu
Buch
Murat Batgi · Koray Çaliskan
Kamera
Gökhan Atilmis
Musik
Erol Mutlu · Isin Kucur · Levent Günes
Darsteller
Nesim Cevadzade · Osman Sonant · Yavuz Bingöl · Erkan Can · Serif Sezer
Länge
103 Minuten
Kinostart
08.12.2011
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Komödie | Märchenfilm
Externe Links
IMDb | TMDB

Diskussion
Als die Feuerwehr von Çayirbagi, einem Nest im bergigen Hinterland der türkischen Schwarzmeerküste, ein brennendes Haus löschen soll, kann sie wieder einmal nur zu spät kommen: Dem Ort fehlt seit einigen Jahren ein Löschwagen. Feuerwehrfahrer Kosman hat sich bereits damit abgefunden, sein Leben im Café zu verbringen und sich in seine geliebte Filmschnulze „Selvi Boylum Al Yazmalim“ („Das Mädchen mit dem roten Kopftuch)“, einen Liebesfilm aus den 1970er-Jahren, hineinzuträumen. Da kommt der Bürgermeister mit einem außergewöhnlichen Angebot: Die Stadt Diyarbakir ist bereit, ein Feuerwehrauto ans Schwarze Meer auszuleihen. Kosman, genauso Nationalist wie Angsthase, wehrt sich zunächst dagegen, in die „Kurdenhochburg“ zu fahren und den Wagen abzuholen, wird dann aber dennoch von seinem Chef losgeschickt. Die ist der Stoff für eine Culture-Clash-Komödie mit Hintersinn. „Yangin Var“ beginnt als türkische Variante von „Willkommen bei den Sch’tis“ (fd 38 956). In Diyarbakir angekommen, wird Kosman (herausragend gespielt von Osman Sonant) von der Realitätsferne seiner Klischees überrascht: Der Busbahnhof ist sauber, die Häuser sind modern, die Menschen freundlich und ehrlich. Hilflos verfängt sich der Fremde im Netz seiner Vorurteile, kaum fähig, sich auf Sprache und Mentalität seiner neuen Umgebung einzulassen – eine Situation, der Regisseur Murat Saraçoglu in seinem fünften Spielfilm einige situationskomische Szenen abgewinnen kann. Doch bereits bei der ersten Straßensperre wird es dann gefährlich: Die kurdischen Fahrgäste in Kosmans Mini-Bus werden von der Gendarmerie misstrauisch kontrolliert. Saraçoglu, der als Co-Regisseur des nationalistischen Kriegsfilms „120“ (fd 38 725) und Regisseur des Gefängnisdramas „Die 72. Zelle“ (fd 40 369) bisher vor allem ein Händchen für pathetischen Ernst bewies, erzählt in „Yangin Var“ mit leichter Hand vom Konflikt zwischen Kurden und Türken. Sein Held, ein leicht tollpatschiger Mann mit Bauchansatz, hat zwar Vorurteile, aber auch ein großes Herz, und das schlägt etwas schneller, als er bei einer kurdischen Hochzeit auf die schöne Asya trifft, die dem „Mädchen mit dem roten Kopftuch“ verblüffend ähnlich sieht. Um Verwandte zu besuchen, fährt Asya mit Kosman zurück ans Schwarze Meer. Womit ein Road Movie beginnt, das die beiden Noch-Nicht-Verliebten im Feuerwehrauto durch fantastische Landschaften und die surreale Szenerie des „Kurdenkonflikts“ schickt. Dabei überzeugt Saraçoglus Film nicht nur durch eine beeindruckende Bildgestaltung und den bollywoodesken Einsatz populärer Schlager, sondern auch durch eine – zuweilen burlesk durchsetzte – Situationskomik, die den jeweiligen nationalen Pathos des Konflikts im Osten der Türkei ironisch bricht, ohne albern zu werden. Saraçoglus Humor ist nicht Selbstzweck, sondern eine im türkischen Kino ungewöhnliche Waffe zur interethnischen Verständigung: Nicht tausendjähriges Leid, nicht die erdrückende Allmacht von Geschichte und gegenseitiger Verfolgung stehen im Vordergrund, sondern das Hier und Jetzt. Damit schlägt sich „Yangin Var“ auf die Seite des Augenblicks statt einer Partei oder einer Ethnie, ohne dabei versöhnlerisch zu werden: Das Misstrauen, das in der Fahrerkabine entsteht, wenn Kosman die kurdische Sprache als „Dialekt“ bezeichnet, vermittelt die spannungsgeladene Atmosphäre des Konflikts genauso wie die Betroffenheit, mit der Asya zur Kenntnis nimmt, dass Kosmans Bruder Serol, Unteroffizier der türkischen Armee, „bei Euch in den Bergen“ ums Leben gekommen ist. Situationen, denen Saraçoglu mit gebührendem Respekt begegnet und gleichzeitig die betroffenheitsperspektivische Kausalkette aus Leid, Pathos und Rachegedanken vermeidet, mit der so oft Kriege legitimiert und heroisch schöngeredet werden. „Yangin Var“ führt sein Publikum nicht in den Hass, sondern in den Mittelpunkt des Lebens und des Miteinanders und schlägt eine Brücke zwischen zwei Regionen, die in der Türkei auf unterschiedliche Weise mit Vorurteilen belegt sind: hier die Kurden, per se als „Terroristen“ gebrandmarkt, dort die Bewohner der Schwarzmeerküste (Kosman entpuppt sich am Ende als Angehöriger der lhasischen Minderheit, die einen dem Georgischen ähnlichen „Dialekt“ der türkischen Sprache spricht), die in der Türkei eine Art Ostfriesen-Image zu haben scheinen. Intelligente Unterhaltung, die die Klischees und die Herzen bricht.
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