Regilaul - Lieder aus der Luft

Dokumentarfilm | Schweiz 2011 | 104 Minuten

Regie: Ulrike Koch

Veljo Tormis, einer der führenden estnischen Komponisten, betätigt sich als Führer durch einen Dokumentarfilm, der in die magisch-mythische Welt der estnischen Regilauls einführt: Lieder als schleppend und einlullend vorgetragene Rundgesänge, die von Liebe, Tod, Leidenschaft und Sehnsucht handeln und durch Wiederholungen ihre Wirkung erzielen, die tief in der Seele des Volks verwurzelt sind und nach der Erlangung der Selbstständigkeit 1991 eine Renaissance erlebten, da sie auch der Rückbesinnung auf die kulturelle Identität dienen. Ihr Klang verbindet sich im virtuosen Zusammenspiel mit der atemberaubenden Fotografie zu einem faszinierenden poetischen Reigen. - Ab 12.
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Filmdaten

Originaltitel
REGILAUL - LIEDER AUS DER LUFT
Produktionsland
Schweiz
Produktionsjahr
2011
Produktionsfirma
Doc Pr.d/Rühm Pluss Null/SRF/SRG SSR
Regie
Ulrike Koch
Buch
Ulrike Koch
Kamera
Pio Corradi
Schnitt
Magdolna Rokob
Länge
104 Minuten
Kinostart
24.11.2011
Pädagogische Empfehlung
- Ab 12.
Genre
Dokumentarfilm
Externe Links
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Diskussion
Es gab einmal eine Zeit, da pflegten die Menschen am Feuer zu sitzen, sich Geschichten erzählend und endlose Lieder singend. Sie sangen von ihrer Arbeit, ihrem Leben, ihren Helden, ihrer Liebe, ihren Sehnsüchten. Aber auch von magischen Begebenheiten, Dingen, die sich rational nicht erklären lassen. Solche zum Teil in ihren Inhalten, vor allem aber in ihrer Form, Gestaltung und Tonalität auf uralte Gesangsweisen verweisende Lieder singen auch die Menschen in „Regilaul – Lieder aus der Luft“. In Estland hat die Regisseurin Ulrike Koch, die auch Ethnologin ist, ihren dritten Film gedreht, der sich nahtlos in ihr bisheriges Schaffen einfügt: 1997 entstand „Salzmänner im Tibet“ (fd 32 803), 2004 „Ässhäk – Geschichten aus der Sahara“ (fd 36 529). Es sind Dokumentarfilme in reinster Form, mit Kamera, Mikrofon, Neugierde und Beharrlichkeit unternommene Recherchen, welche den Verbindungen zwischen gegenwärtigem Leben und früheren Denkweisen und Kulturen nachspüren: den vorbuddhistischen Ritualen und dem Alltag der heutigen Nomaden im Tibet; den vorislamischen Riten und der jetzigen Lebensweise der Tuareg. Nun geht es um die magische Kraft, die von den estnischen Regilauls, den Runen- bzw. Rundgesängen, ausgeht. Deren Ursprünge liegen in vergangenen Zeiten, ihre derzeitige Popularität aber verweist auf die Gegenwart. Von 1987 bis 1992 fand in Estland wie auch in Lettland und Litauen die „Singende Revolution“ statt; auf deren Höhepunkt während einer Demonstration auf dem Tallinner Sängerfestplatz 1988 kamen 300.000 Menschen zusammen, um die unter der Sowjet-Herrschaft verbotene estnische Nationalhymne zu singen. 1991 erlangte Estland seine Selbstständigkeit, seit 2004 gehört es der NATO und EU an. Im Bemühen, die eigene kulturelle Identität wiederzufinden, besann man sich in Estland auf das alte Volksliedgut, und so erlangten Runenlieder und Sängerfeste in jüngerer Zeit neue Popularität. Einer der Vorreiter der heutigen Regilaul-Bewegung ist der neben Arvo Pärt berühmteste estnische Komponist Veljo Tormis (geb. 1930). Tormis kam nach eigenen Angaben spät erst auf den Geschmack der Volkslieder. Doch er stellte mit seinen 1980 erschienenen „Eesti balladid“ einen in Bann ziehenden Kanon auf der Basis alter Regis beruhender Balladen vor. Tormis, der abgelegen in einer Meeresbucht lebt, begegnet man als Erstem, und er übernimmt die Rolle des Führers im Film; er erklärt Herkunft und Aufbau der achtsilbigen, sich in Wiederholungen und Parallelismen ergehenden Lieder und wie diese (traditionell) zu klingen haben und zu singen sind: nämlich möglichst „leiernd“. Etwas Monotones haben diese Regilauls an sich, etwas Einlullendes, in Trance-Versetzendes auch. Dabei erzählen sie, dieser Darbietungsart widersprechend, meist Hochdramatisch-Aufregendes: Geschichten von Mordsweibern und verstoßenen Kindern, von lebendigen Toten und sich vor Sehnsucht verzerrenden Liebenden. Ein Dutzend Menschen, Interpreten wie Meelika Hainsoo und Lauri Õunapuu, aber auch die Theaterhistorikerin Lea Tormis und den Schriftsteller Jaan Kaplinski lässt Koch vor der Kamera erzählen. Am schönsten und stärksten aber ist „Regilaul“ in den Passagen, in denen sich Pio Corradis großartige Landschaftsaufnahmen mit den Melodien und zum Teil makaber schönen Liedtexten in assoziativer Montage zum wunderschönen poetischen Reigen fügen.
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