Ay büyürken uyuyamam

- | Türkei 2011 | 111 Minuten

Regie: Serif Gören

Eine Mutter und ihre zwei Töchter geraten durch Klatsch und Tratsch in einer türkischen Kleinstadt unter öffentlichen Druck, dem sie standhalten, bis der Bürgermeister religiöse Ressentiments gegen das emanzipierte Frauen-Trio schürt. Attraktiver Stilmix aus arabesker Soap und politischem Lehrstück als Spagat zwischen türkischer Klassik und arabesken Motiven. Bildsprachlich knüpft der Film an das politische Kino der 1970er-Jahre an und vereint die Chronologie eines gesellschaftlichen Verrats mit einem lustspielartigen Spektakel. (O.m.d.U.) - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
AY BÜYÜRKEN UYUYAMAM
Produktionsland
Türkei
Produktionsjahr
2011
Produktionsfirma
M.G. Prod.
Regie
Serif Gören
Buch
Serif Gören · Necati Cumali
Kamera
Sinan Güngör
Musik
Firat Yükselir
Darsteller
Ayça Bingöl (Melek) · Hazal Kaya (Hülya) · Firat Çelik (Mert) · Firat Tanış (Cafer) · Ali Düsenkalkar (Takkeli Hoca)
Länge
111 Minuten
Kinostart
05.01.2012
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
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Diskussion
Serif Gören wurde als Co-Regisseur von Yilmaz Güneys „Yol – Der Weg“ (fd 23 758) bekannt. Als Güney Anfang der 1980er-Jahre im Gefängnis das Drehbuch zu seinem Klassiker schrieb, leitete Gören am Set die Inszenierung. Seit 1993 ist es um ihm ruhig geworden; es entstanden lediglich einige Arbeiten fürs Fernsehen. Mit „Schlaflos bei zunehmendem Mond“ präsentiert er nun seinen ersten Kinospielfilm nach 18 Jahren – und kreiert mit einer Mischung aus arabesker Soap und politischem Lehrstück einen eigenwilligen, aber durchaus attraktiven Stilmix. Die Geschichte basiert auf der gleichnamigen Erzählung des türkischen Gegenwartslyrikers Necati Cumali (1969). Am Beispiel dreier Frauen – Mutter Melek und ihrer schönen Töchter Hülya und Leyla – wird erzählt, wie sich Klatsch und Tratsch in einer ägäischen Kleinstadt zu einer ideologisch verbrämten Hetzjagd verdichten. Nachdem ihr Ehemann in flagranti mit seinem schwulen Liebhaber erwischt wird, werden Melek und ihre Familie in der Stadt zu unerwünschten Personen. Und zu Freiwild für den intriganten Bürgermeister, der Melek schon seit Jahren nachstellt und sie nun unter Druck setzt. Das emanzipierte Frauentrio weiß sich gegen die Bigotterie ihrer patriarchalisch geprägten Umgebung jedoch zu behaupten und hält dem Druck der Nachbarschaft stand, bis der Bürgermeister den Tratsch politisiert und sich vor die Moschee stellt, um zum Kampf gegen die „Ungläubigen“ aufzurufen. Den selbstbewussten Frauen bleibt nichts anderes übrig, als in die nahe gelegene Großstadt Izmir zu flüchten und dort ihre Freiheit zu suchen. Nach Cumali ist die Kleinstadt der Ort, der „die Türkei am besten widerspiegelt. Nicht die Stadt, nicht das Dorf. Eine Mischung aus beiden“. Insofern besitzt das Porträt der spießigen Doppelmoral, die Momentaufnahmen der Männer im Kaffeehaus, die den Töchtern hinterherschauen und der Mutter mangelnde Reinheit vorwerfen, und die fatale Strippenzieherei des Bürgermeisters durchaus allegorischen Charakter. Gören führt das umfangreiche Personenpanoptikum mit verwirrend schnellen Schnitten ein: Tratschende Islamisten, der Playboy Mert, der tollpatschige Sükrü, der schöne Doktors Sinan und der aus dem Wehrdienst zurückkehrende Yaman – ein Nebeneinander, dessen Sinn sich erst erschließt, als sich die Geschichte auf Mutter Melek konzentriert. Die wird, wie ihre Töchter, nicht als Opfer nachbarschaftlicher Sittenwächter gezeichnet, sondern als Frau mit unerfülltem, aber deutlichem sexuellen Begehren. Ein Topos, dem Gören mit knallbunten Bildern entgegenkommt: Nahe am Kitsch tummeln seine selbstbewussten Frauenfiguren, hinterlistigen Rosenkavaliere und doppelmoralischen Sittenwächter durch ein bollywoodesken Farbenspiel. „Schlaflos bei zunehmendem Mond“ zeigt die Lust an der Lust – und deren Verbote von oben. Als der Bürgermeister eifersüchtig wird, bringt er Gott ins Spiel und manipuliert den feindseligen Klatsch im Namen der Ehre zu einer gewalttätigen Demonstration. Mit dem Ernst kommt eine bildgestalterische Ikonografie ins Spiel, die meisterlich ans politische Kino der 1970er- und 1980er-Jahre erinnert. So bleibt eine Einstellung lange im Gedächtnis, in der sich Mert, der sich noch kurz zuvor gewalttätig Zugang zu Meleks Tochter Hülya verschaffen wollte, schützend zwischen den islamistisch aufgeputschten Demonstrationszug und die wehrlosen Frauen stellt. Brecht meets Bollywood: Görens kreiert die Chronologie eines politischen Verrats, aber auch ein lustspielartiges Spektakel, das auf der Tonspur kongenial von Firat Yükselir begleitet wird. Mit einem gewissen Hang zum Pathos arrangiert der Komponist türkische Klassik und arabeske Motive zu einem symphonisch orchestrierten Soundtrack, unter dem billige Soap und überzeichnete Gestalten, Lehrstück und Lustprinzip, Gewaltmetaphorik und Sozialkritik zu einem großen Ganzen verschmelzen.
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