Der Schnee am Kilimandscharo

Literaturverfilmung | Frankreich 2011 | 107 Minuten

Regie: Robert Guédiguian

Als er arbeitslos wird, arrangiert sich ein alter Gewerkschaftler in Marseille neu und genießt gemeinsam mit seiner Frau, mit der er seit 30 Jahren verheiratet ist, das bescheidene Glück. Dann aber werden die beiden in ihrem Häuschen überfallen; mit der Ruhe und Zufriedenheit scheint es vorbei zu sein, bis der Zufall Licht in die Angelegenheit bringt. Der zunächst realistisch wirkende Film nimmt unverhofft eine märchenhafte Wendung und wandelt sich zum heiteren Klassenkampf-Märchen. Stilvoll fotografiert, nimmt er mitunter pittoreske, auch menschelnde Züge an, erzählt aber stets liebevoll seine zu Herzen gehende Geschichte. - Sehenswert ab 12.
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Filmdaten

Originaltitel
LES NEIGES DU KILIMANDJARO
Produktionsland
Frankreich
Produktionsjahr
2011
Produktionsfirma
Agat Films/Ex Nihilo/France 3 Cinéma/La Friche Belle de Mai
Regie
Robert Guédiguian
Buch
Robert Guédiguian · Jean-Louis Milesi
Kamera
Pierre Milon
Schnitt
Bernard Sasia
Darsteller
Jean-Pierre Darroussin (Michel) · Ariane Ascaride (Marie-Claire) · Gérard Meylan (Raoul) · Marilyne Canto (Denise) · Grégoire Leprince-Ringuet (Christophe)
Länge
107 Minuten
Kinostart
15.03.2012
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 12.
Genre
Literaturverfilmung | Tragikomödie
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
Arsenal (16:9, 1.78:1, DD5.1 frz./dt.)
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Diskussion
Es sei vorweggenommen: Robert Guédiguians Fim ist keine Hemingway-Verfilmung. „Les neiges du Kilimandjaro“ verweist vielmehr auf ein Mitte der 1960er-Jahre komponiertes Chanson von Pascal Danel, das sich in Frankreich noch heute solcher Beliebtheit erfreut, dass man es den Kindern beibringt; so zumindest ist in diesem wunderschön gefühlvollen und lebensnahen Film, der wie etliche Filme Guédiguians („Marius und Jeannette – Eine Liebe in Marseille“, fd 32 959; „Die Stadt frisst ihre Kinder“, 2000; „Marie-Jo et ses deux amours“, 2002) in der L’Estaque spielt, einem sich pittoresk vom Meer gegen die steil ansteigenden Hügel des Hinterlands erstreckenden Stadtviertel Marseilles. Früher ein Fischerdorf, verfügt L’Estaque noch heute über einen eigenen Hafen – und hier nimmt „Der Schnee am Kilimandscharo“ seinen Anfang. Mit einer Massenentlassung, bei welcher der bald 60-jährige Michel, obwohl er als Gewerkschaftssekretär vor einer solchen Aktion eigentlich verschont wäre, sich selbst gleich mit entlässt. Ein Held der Arbeit, wie er im Buche steht und man ihn in Filmen von Ken Loach trifft, ist dieser Michel also. Er lebt mit seiner Frau Marie-Claire in einem putzigen Häuschen, hat es nicht zu viel, wohl aber zu ein klein wenig gebracht. Die beiden sind auch nach 30 Ehejahren noch glücklich zusammen, und dass man nun den Gürtel unverhofft enger schnallen muss, steckt Marie-Claire tapfer weg: Bei den Kleinen und Armen – Guédiguian ließ sich für die Story von Victor Hugos Gedicht „Les pauvres gens“ inspirieren – bedeutet Emanzipation nicht egozentrische Selbstverwirklichung einer Frau, sondern die freie Wahl, auf die Ausbildung zu verzichten und mit ihrem Mann solidarisch durch gute und schlechte Zeiten zu gehen. Da soll ja keiner mit anderen Vorstellungen kommen! Schon gar nicht die Tochter und der Sohn, die unweit der Eltern wohnen und nun die Welt nicht mehr verstehen. Michel und Marie-Claude arrangieren sich also neu im Leben. Sie tragen auch mal Wurfsendungen aus, kümmern sich um die Enkel und werden, weil der überall beliebte Michel zum 60. Geburtstag reich beschenkt wird, demnächst eine Reise nach Afrika antreten. Doch dann, als sie eines Abends gemütlich zu Hause sitzen, werden sie brutal überfallen und ausgeraubt. Der finanzielle Verlust – und der damit einhergehende Verzicht auf die Reise – sind ärgerlich, aber zu verkraften. Belastender ist der psychische Schaden: sich Zuhause nicht mehr sicher zu fühlen, wenn man nicht viel mehr als dieses Zuhause hat, ist existenziell bedrohlich. Der Zufall, hier in Gestalt der Erstdruckausgabe eines Comics, bringt dann unverhofft Licht in die leidige Angelegenheit. Und weil alles ganz anders ist, als es vorerst scheint, nimmt Guédiguians bis dahin so ungemein realistisch wirkender Film eine unverhofft märchenhafte Wendung. Ein leichtfüßiges, und im Tonfall erstaunlich heiteres Arbeiterklasse- und Klassenkampf-Märchen also. Es erzählt von Glücks- und Heimatgefühlen und einer Zufriedenheit, die sich nicht aus Besitz, sondern aus einer rechtschaffenen inneren Haltung generiert. Stimmungsvoll und schön fotografiert, zeitweilig gar der Pittoreske verschrieben – sie sind einfach zu schön, die Bilder der sich durch die Häuser schiebenden Ozeanriesen; immer und vor allem gerade da liebevoll menschelnd, wo das Leben auch bitter wird, geht der Film so richtig und manchmal zum Heulen schön ans Herz.
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