Biopic | USA 2011 | 137 Minuten

Regie: Clint Eastwood

Die Lebensgeschichte von J. Edgar Hoover (1895-1972), der 37 Jahre lang Chef des FBI war und für seine rigorose Jagd auf Kommunisten und Gangster berühmt und berüchtigt wurde. Ohne die historischen Fakten zu vernachlässigen, fahndet Clint Eastwood in dieser Filmbiografie nach dem Menschen hinter der äußeren Fassade. Weder Verachtung noch Bewunderung kennzeichnen sein filmisches Porträt, das sich vielmehr durch die Faszination für eine schillernde Persönlichkeit auszeichnet, ohne ein moralisches Urteil abzugeben. Hervorragend inszeniert und gespielt. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
J. EDGAR
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
2011
Produktionsfirma
Imagine Ent./Malpaso/Wintergreen Prod.
Regie
Clint Eastwood
Buch
Dustin Lance Black
Kamera
Tom Stern
Musik
Clint Eastwood
Schnitt
Joel Cox · Gary Roach
Darsteller
Leonardo DiCaprio (J. Edgar Hoover) · Naomi Watts (Helen Gandy) · Armie Hammer (Clyde Tolson) · Josh Lucas (Charles Lindbergh) · Judi Dench (Annie Hoover)
Länge
137 Minuten
Kinostart
19.01.2012
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Biopic
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
Warner (16:9, 2.35:1, DD5.1 engl./dt.)
Verleih Blu-ray
Warner (16:9, 2.35:1, dts-HDMA engl, DD5.1 dt.)
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Diskussion
Wenn sich Clint Eastwood historischen Figuren und Ereignissen nähert (und er tut das hier nicht zum ersten Mal), dann kann man stets erwarten, dass er die Essenz von Personen und Geschehnissen akkurat darstellt, muss aber gleichzeitig darauf gefasst sein, dass er nach Beweggründen fahndet, die sich hinter der Fassade verstecken und die nicht in jedem Geschichtsbuch referiert werden. J. Edgar Hoover gehört zur amerikanischen Geschichte des 20. Jahrhunderts wie die Chicago-Gangster, die Große Depression, die Angst vor dem Kommunismus und die Freiheitsbewegung der Schwarzen. Mit Ereignissen wie diesen hat sich Hoover zeitlebens auseinandergesetzt, ein studierter Jurist, dessen grenzenloser Ehrgeiz und dessen vor nichts zurückschreckende Aggressivität ihn zum Chef des Federal Bureau of Investigation machten: bestgehasster Mann für viele rechtschaffene Patrioten, Idol für staatstreue Ultrakonservative. Eastwood kehrt weder die Anfechtbarkeit von Hoovers politischer Gesinnung noch dessen eigennützigen Karrierismus unter den Teppich, aber er lotet nach der Psychologie des Mannes, dessen Privatleben das FBI bis zum heutigen Tag sorgsam unter Verschluss hält. „Manchmal muss man einfach seinem Instinkt folgen“, sagt Eastwood. „Ich weiß nicht, ob J. Edgar Hoover homosexuell war. Es ist mir auch egal. Aber er ist ein Mann, der von Rätseln umgeben wird, was ich immer schon faszinierend gefunden habe.“ Eastwoods Film heißt nicht „J. Edgar Hoover“ oder „Hoover“. Er heißt „J. Edgar“. Hinter den 37 Jahren, die J. Edgar Hoover als Chef des FBI verbracht hat, Jahren, die in Akten und Biografien verbrieft sind, sucht Eastwood nach J. Edgar, nach Veranlagungen und Motiven, die einen der mächtigsten und umstrittensten Männer der amerikanischen Geschichte „ticken“ ließen. Hoover hat nach Sympathisanten mit dem Kommunismus, nach Gangstern wie John Dillinger und nach Anhängern von Martin Luther King Jr. gefahndet mit dem Zorn eines religiösen Eiferers und der Mentalität eines Buchhalters. Auf dem Weg zur Optimierung seiner Säuberungsaktionen hat er den unschätzbaren Wert von Verbrecherkarteien und Fingerabdrücken entdeckt. Die moderne Forensik wäre ohne Hoover wohl erst ein paar Jahrzehnte später zum Zuge gekommen. Aber angetrieben wurde der Mann häufig mehr von seinem ungezügelten Ehrgeiz und seiner Großmannssucht als von dem Ideal, seinem Land dienen zu wollen. In kunstfertig verschachtelten, aber immer leicht zu dechiffrierenden Rückblenden schafft Eastwood die Gegensätze im Charakter J. Edgar Hoovers zutage. Er stößt dabei auf den privaten Menschen, über den die Welt wenig weiß, und scheut sich nicht, hinter die Fassade eines Macht-Monsters zu schauen. Dustin Lance Black, der schon für das hervorragende Drehbuch zu „Milk“ verantwortlich war, liefert ihm die Story, von der man bisher nur andeutungsweise erfahren hat, die aber zur Charakterisierung des Mannes von großer Bedeutung ist: dass J. Edgar Hoover sein Leben lang in einem Abhängigkeitsverhältnis zu seiner beherrschenden Mutter gelebt hat, dass er sich mit der platonischen Gegenwart einer lebenslangen Sekretärin umgeben hat und dass er einem attraktiven Beau verfallen war, den er zu seinem Stellvertreter machte und mit dem er nie vergaß, zweimal täglich zu speisen. In vielen Details folgen Black und Eastwood in der Tat ihrem Instinkt, vor allem was Hoovers Homosexualität anbetrifft. Ob sie dabei von der Wahrheit ein wenig abirren, kann keiner beweisen. Für das Filmporträt von J. Edgar jedenfalls funktioniert es. Die Balance, die Eastwoods wieder einmal höchst unaufwändige, aber präzise Inszenierung erreicht, hält das Interesse des Zuschauers auch über mehr als zwei Stunden wach und bewirkt eine ganz erstaunliche Faszination für die Figur, die keinen Anflug von Bewunderung, aber auch keine Verachtung aufkommen lässt. Eastwoods Film ist der Stoff, aus dem Biografien gemacht sind, die über der historischen Genauigkeit nicht die Sympathie für ihren „Helden“ verlieren, selbst wenn der noch so garstige Dinge angestellt hat. Wie immer wusste Eastwood auch diesmal wieder, welchen Schauspieler er für die Rolle brauchte. Ohne Leonardo DiCaprio wäre die Ambivalenz der Figur, die das ganze Wesen des Films ausmacht, wohl kaum erreichbar gewesen. Oder umgekehrt: Ohne das magische Talent von Clint Eastwood wäre DiCaprio kaum in der Lage gewesen, sich selbst so überzeugend zu verleugnen, dass der Zuschauer bald nur noch J. Edgar vor sich sieht.
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