Komödie | Großbritannien 2010 | 103 Minuten

Regie: Andy De Emmony

Ein Pakistani, der einst seine Familie zurückließ und in Großbritannien mit einer Engländerin eine neue Familie gründete, reist mit Kind und Kegel in die alte Heimat zurück, um seinem jüngsten Sprössling die eigenen Wurzeln nahezubringen. Die Konfrontation mit der Vergangenheit wird nicht zuletzt für den Patriarchen zur Herausforderung. Liebeswerte Komödie um Menschen, die zwischen zwei Kulturen und unterschiedlichen Lebens- und Erziehungsidealen nach dem richtigen Weg suchen. Ohne die Leichtigkeit eines Wohlfühl-Films aufzugeben, klingen auch bitter-nachdenkliche Töne an. - Ab 14.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Originaltitel
WEST IS WEST
Produktionsland
Großbritannien
Produktionsjahr
2010
Produktionsfirma
Assassin Films/BBC
Regie
Andy De Emmony
Buch
Ayub Khan-Din
Kamera
Peter Robertson
Musik
Robert Lane · Shankar Mahadevan · Loy Mendonsa · Ehsaan Noorani
Schnitt
Jon Gregory · Stephen O'Connell
Darsteller
Om Puri (George/Jahangir Khan) · Aqib Khan (Sajid Khan) · Linda Bassett (Ella Khan) · Robert Pugh (Mr. Jordan) · Thomas Russell (Hughsy)
Länge
103 Minuten
Kinostart
14.06.2012
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Komödie
Externe Links
IMDb | TMDB | JustWatch

Diskussion
Es ist eine Zerreißprobe der besonders schmerzhaften Art: Auch im nordenglischen Salford sollte im Jahr 1976 eigentlich noch ein Nachhauch des Flower-Power durch die dunkelroten Backsteinhäuser wehen. Sajid Khan jedoch bekommt in seiner Schule keine Blumen in sein pechschwarzes Haar geflochten, eher wird der Kopf des „Paki-Schweins“ in die Toilettenschüssel gesteckt. Sajid ist der jüngste Stolz seiner englischen Mutter Ella und seines pakistanischen Vaters George. Dieser vertreibt mit Ella in einem kleinen Imbiss nicht Chicken Tandoori, sondern Fish&Chips. Zuhause gibt es Gezeter und Verbote. Seine strengen Erziehungsideale gehen mit Sajids Identitätsproblemen, mit seiner Aufsässigkeit, die doch nur auf dem Wunsch nach der Eingliederung in die Schar der Urbritisch-Sommersprossigen gründet, nicht mehr konform. Für den angegriffenen Patriarchen gibt es nur eine Lösung: Sajid muss seine Wurzeln kennenlernen, in Pakistan, bei der Familie, die George, damals noch unter dem Namen Jahangir, sitzen ließ. „West is West“ diktiert nicht nur eine andere Himmelsrichtung; er ist auch inhaltlich der Nachfolger von „East is East“ (fd 34 254), in dem George, erzählerisch vier Jahre zuvor, ganz ähnliche Probleme mit seiner flügge werdenden Nachkommenschaft umtrieben. In beiden Erzählungen hat Drehbuchautor Ayub Khan-Din seine Erfahrungen als Salforder Grenzgänger zwischen zwei Kulturen verarbeitet. Über 13 Jahre ist die erste Verfilmung von Khan-Dins Theaterstück schon alt. Und doch klingt sein Titel immer noch nach, so überraschend war der Erfolg von „East is East“ als britische Indie-Ethno-Tragikomödie. Khan-Din beschreibt in beiden Werken ein kulturelles Tauziehen zweier Erziehungs- und Lebensstile, das 1976 sicherlich nicht weniger kräfteraubend war als heutzutage. Die globale Stimmungslage der Kinoauswertung dürfte 2012 sogar noch explosiver sein als die des Vorgängerfilms von 1999. Die „heilsame“ Reise in die Heimat wird sich für Sajid demnach so anfühlen, wie für viele Emigrantenkinder, die der Sprache ihrer Eltern nicht oder nur halb mächtig sind und angesichts der Gepflogenheiten in der Heimat ihrer Vorfahren anzuecken drohen. In seinem Geburtsland England wird Sajid durch sein Äußeres gemobbt, in Pakistan sind es seine inneren Überzeugungen, die auf Befremden stoßen. Dennoch wird es nicht der Sohn sein, der in Pakistan gesellschaftlich tiefer fällt als in seinem Geburtsland England. Es ist Vater George, der dort mit den Folgen seiner einstigen Flucht konfrontiert wird, die seine erste Familie in Armut zurückließ und die Brautschau seines schüchternen Sohns Maneer im Sand der Steppe verlaufen lässt. „Wie der Vater, so der Sohn“, heißt es bei den „Besitzern“ heiratsfähiger Töchter – bis Bruder Sajid unter den verschleierten Wasserträgerinnen das Ebenbild von Maneers größtem Schwarm findet: Nana Mouskouri! Andy De Emmony erzählt hier ein Road-Movie mit Wiederkehr, oder besser gesagt einen „Abstecher-Film“ von zwei Erkenntnissuchenden. Köstlich bekommen sich Om Puri und Aqib Khan als Vater und Sohn in die Haare – gehen, einmal in Pakistan angekommen, ihre eigenen Wege, räumlich und mental. Zu einer Lösung kommen sie jedoch erst durch die weise Nachsicht der Frauen, etwa von Mutter Ella, die durch den pakistanischen Staub in einem klapprigen Automobil angeknattert kommt. Bitter ist dennoch der Anblick, wenn eine 30 Jahre lang zurückgelassene Pakistani ihrem Mann verzeiht. Wenn sie ihre verlorengegangene Jugend und Schönheit hinten anstellt. Bitter ist es auf der anderen Seite auch, als Ella entdeckt, dass George kurz davor steht, sich in Pakistan ein Haus und eine Existenz aufzubauen, um damit Abbitte zu leisten. Das sind die schwerwiegenden Entscheidungen, die während dieser Reise voller Schmunzel-Elemente immer wieder hervorlugen. Die patriarchalischen Rückstände werden dabei zwar nicht zurückgedrängt, zugunsten des Wohlfühl- Faktors wird aber auch nicht sonderlich tief nach ihnen gegraben. George ist eher harmlos schrullig denn furchteinflößend, und doch ist er das eigentliche „Problemkind“. Er benimmt sich so egozentrisch, wie es ihm seine Kultur und seine Erziehung vorgegeben haben. Und das ist etwas, wovon sich Sajid emanzipieren und wogegen er sich stemmen muss, damit er in seiner wirklichen Heimat England wieder glücklich werden kann. Das ist die Schwelle, um die es in „West is West“ eigentlich geht: Die Grenze zwischen England und Pakistan ist schnell überflogen, kulturelle Unterschiede sind schnell verdrängt, eine Familie schnell ausgewechselt. Sajid hingegen muss das hohe Trittbrett vom Kind zum Erwachsenen meistern. Er muss sich von der Bevormundung eines Vaters losreißen, dessen altes Weltbild mit seinem neuen nicht mehr mithalten kann – und das im Osten wie im Westen auch nicht mehr sollte.
Kommentar verfassen

Kommentieren