Treeless Mountain

- | Südkorea/USA 2008 | 89 Minuten

Regie: So Yong Kim

Zwei Mädchen aus Seoul werden von ihrer Mutter verlassen und zur alkoholkranken Schwägerin abgeschoben. In dieser desolaten Situation bemühen sie sich, ihrem Alltag eine Form zu geben. Ihre Lage bessert sich aber erst, als sie zu den Großeltern aufs Land kommen. Das sich ganz auf die Perspektive der Kinder einlassende, mit vielen Groß- und Nahaufnahmen arbeitende Drama zeigt eindringlich den Versuch seiner kleinen Protagonisten, der sozialen Verwahrlosung zum Trotz so etwas wie Halt und Wärme zu finden. Dabei spekuliert die Regie nie mit dem Niedlichkeitsfaktor der Kinder, sondern nimmt sie als Charaktere ernst. (Preis der Ökumenischen Jury, Berlin 2009) - Sehenswert ab 14.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Originaltitel
TREELESS MOUNTAIN
Produktionsland
Südkorea/USA
Produktionsjahr
2008
Produktionsfirma
Parts and Labor/Soandbrad/Stange Loop Ent.
Regie
So Yong Kim
Buch
So Yong Kim
Kamera
Anne Misawa
Musik
Asobi Seksu
Schnitt
Bradley Rust Gray · So Yong Kim
Darsteller
Kim Hee-yeon (Jin) · Kim Song-Hee (Bin) · Lee Soo-Ah · Kim Mi-Hyang · Park Boon-Tak
Länge
89 Minuten
Kinostart
01.03.2012
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Externe Links
IMDb | TMDB

Diskussion
Die Mutter steht unter Hochdruck. Ihre angespannten, erschöpften Gesichtszüge verraten es, und auch die Art, wie sie ihren beiden Kindern hastig das Essen in die Teller füllt. Die sechsjährige Jin und ihre jüngere Schwester Bin bekommen davon allerdings nicht allzu viel mit; in ihrer (Kinder-)Welt gibt es keinen Überblick, sie sehen nur Ausschnitte, und ihre Perspektive richtet sich vor allem auf konkrete Dinge, auf Buchstäblichkeiten. Die in Korea geborene, später in die USA emigrierte Regisseurin So Yong Kim wählt in „Treeless Mountain“ – neben den topografisch orientierenden Totalen auf den Wohnblock, später dann auf Landschaften – bevorzugt Nah- und Detailaufnahmen; die Gesichter der Kinder werden groß ins Bild gesetzt, und auch die Objekte, die für sie bedeutungsvoll sind. Etwa das Sparschwein, das die Mutter ihnen schenkt, als sie ihre Töchter bei ihrer alkoholkranken Schwägerin unterbringt, um sich auf die Suche nach dem Vater der beiden Mädchen zu begeben. Wenn das Schwein voll sei, käme sie zurück – dieses Versprechen ist für die aus dem Nest geschmissenen Kinder die einzige Sicherheit. Immer wieder wird das Sparschwein begutachtet, geschüttelt und auf seinen allmählich wachsenden Inhalt hin überprüft. Ansonsten aber herrschen Chaos und Strukturlosigkeit. Die Tante ist harsch und frostig, sie erträgt die Kinder nicht und hat keinerlei Zugang zu ihrer Welt; sie ist viel zu sehr mit sich beschäftigt. Nicht zuletzt sind die prekären wirtschaftlichen Verhältnisse, verbunden mit der Abwesenheit der Männer, ein Grund für den desolaten Zustand der Frauen. Ähnlich wie die in der Wohnung zurückgelassenen Geschwister in Hirokazu Kore-edas „Nobody Knows“ (fd 36 980) zeigt „Treeless Montain“, wie die Kinder in einer Situation der Verwahrlosung und völligen Verunsicherung dem Alltag eine ganz eigene Form einprägen, wie sie sich selbst organisieren und zu retten versuchen. So verkaufen Jin und Bin in der Nachbarschaft gegrillte Heuschrecken, um mit den Einkünften das Sparschwein zu füllen. Oder sie tauschen große Münzen in kleinere, um die Rückkehr der Mutter schneller herbeizuführen. Wie Jacques Doillon in „Ponette“ (fd 33 401) bleibt auch So Yong Kim konsequent bei den Kindern; die Erwachsenenwelt tritt in den Hintergrund, sie wird nur flüchtig gestreift, für die Kinder ist sie letztendlich nicht lesbar. Buchstäblich auf Augenhöhe beobachtet der Film ihre selbst versunkenen Spiele, die kleinen Streitereien unter den Schwestern, ihre kindlichen Gespräche und ihr Geschnaufe vor dem Einschlafen, ihre Hoffnung und die Enttäuschung, als die Mutter nicht wie versprochen zurückkommt. Das Kindliche wird dabei nie kalkuliert im Sinne einer niedlichen Regressivität eingesetzt, selbst wenn Bin etwas zutiefst Rührendes hat, da sie mit ihrem zunehmend schmutzigeren Prinzessinnenkleid herumläuft, dessen weißer Pelzkragen ihrer Erscheinung etwas Groteskes verleiht. Vom urbanen Seoul und seinen anonymen Wohnblocks geht es schließlich über die Zwischenstation der Tante in eine entlegene ländliche Gegend, auf den Bauernhof der Großeltern. Das Leben ist ärmlich, doch für die Kinder gibt es erstmals wieder so etwas wie Halt und Geborgenheit. Beides finden sie in der warmherzigen Großmutter, aber vor allem in den grundlegenden täglichen Verrichtungen: wenn sie Süßkartoffeln auf dem offenen Feuer braten, bei der Ernte helfen oder der Großmutter dabei zusehen, wie sie Teigtaschen macht. Jin hat sich am Ende gefangen; sie hat die Gewalt des Verlassenwerdens ein Stück weit verwunden, doch an den Rändern der Erzählung macht sich eine erneute Veränderung bemerkbar; inmitten von Wiesen sieht man im Hintergrund Bauarbeiten. Die industrielle Gesellschaft bricht in die bäuerliche Welt hinein; welche Folgen dies für die intakte Sozialstruktur und das ländliche Selbstversorgungssystem hat, bleibt ungewiss.
Kommentar verfassen

Kommentieren