Der Preis (2011)

Drama | Deutschland 2011 | 86 Minuten

Regie: Elke Hauck

Ein Architekt aus Frankfurt fährt in eine ostdeutsche Kleinstadt nach Thüringen, wo er Plattenbauten modernisieren soll. Es ist zugleich eine Reise in seine Vergangenheit, da er dort aufgewachsen ist. In der Begegnung mit Menschen aus seiner Jugendzeit, insbesondere einer ehemaligen Freundin, wird er mit einer verdrängten Schuld konfrontiert. Das in Rückblenden erzählte Drama zeichnet die DDR als grotesk dahinsiechenden Repressionsapparat, in dem standardisierte Lebensmuster jede freie Entwicklung blockierten. Ein stiller, sehr zurückhaltend inszenierter Film, getragen von guten Darstellern. - Ab 16.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2011
Produktionsfirma
Schiwago Film/SWR
Regie
Elke Hauck
Buch
Peggy Lehmann · Elke Hauck
Kamera
Michael Kotschi
Schnitt
Stefan Stabenow · Oliver Weiß
Darsteller
Florian Panzner (Alexander Beck) · Anne Kanis (Nicole) · Sven Gielnik (junger Alexander Beck) · Vanessa Krüger (junge Nicole) · Vincent Krüger (junger Michael)
Länge
86 Minuten
Kinostart
22.03.2012
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Drama
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Diskussion
Ein in Frankfurt am Main lebender Architekt um die 40 fährt wegen eines preisgekrönten Bauauftrags zum ersten Mal wieder in die verhasste thüringische Kleinstadt, die er nach der Wende hinter sich ließ. Unterwegs in seinem Wagen steht ihm die Anspannung in die regungslosen Gesichtszüge geschrieben, die Überwindung, die es ihn kostet, sich mit der offenbar unangenehmen Vergangenheit zu konfrontieren. Er soll Plattenbauten modernisieren, in denen er selbst aufgewachsen ist. Der Rückkehrer begegnet auf Schritt und Tritt seinen weniger erfolgreichen Mitschülern, im Hotel an der Rezeption, in den abbruchreifen Wohnblocks, die teilweise noch nicht geräumt sind, und in der alten Schule, in der seine Jugendliebe unterrichtet. Mit der Schwester seines früh verstorbenen Freundes verbindet ihn anfangs nur eine seltsam unterdrückte Melancholie. Die Lehrerin hat ihre Ansprüche ans Leben heruntergeschraubt; sie erwartet sich vom Dasein kaum noch etwas. Entsprechend reserviert reagiert sie auf seine Annäherungsversuche und wirft ihm sein viel zu langes Schweigen vor, eine Kritik, die seine ostentative Verschlossenheit aufbricht. Da die Bauarbeiten nicht vorwärts kommen, weil ein ehemaliger Stasi-Mitarbeiter, der aktuelle Besitzer des Gebäudekomplexes, den Auftrag lieber durch billigere, weniger innovative Firmen aus der Region durchführen lassen möchte, vertreibt sich der in seiner Kreativität ausgebremste Sanierer die Zeit mit Alkohol und One-Night-Stands. Er sucht die trostlosen Spielplätze von einst auf und stellt sich in Rückblenden allmählich seiner schuldbehafteten Vergangenheit. Die zweite Zeitebene verortet der Film im Jahr 1988. Während im Unterricht gebetsmühlenartig die Vorzüge der sozialistischen Gesellschaft gepriesen werden, wagen nur die wenigsten Jugendlichen den Aufstand. Im Gegensatz zum rebellischen Geschwisterpaar, das über sein Punk-Outfit und provokative Kommentare die Ablehnung der verlogenen Verhältnisse artikuliert, entwickelt sich ihr Kindheitsgefährte zunehmend zum Mitläufer. Der FDJ-Funktionär agiert vor der Klasse als Aushängeschild des Systems. Obwohl er verbotene Musik hört und sich gerne mit Westprodukten umgibt, beherrscht er vorbildlich das ideologisch korrekte Vokabular und bleibt wegen seiner ambitionierten Zukunftspläne, nach dem Abitur in Ost-Berlin zu studieren, ganz auf Parteilinie. Seine Loyalität geht so weit, dass er den aufmüpfigen Freund vor einer Kommission anschwärzt, als über dessen Sportstipendium entschieden wird. Ein spontaner Racheakt, dem ein Streit über unterschiedliche Haltungen zur bröckelnden Staatsutopie voran ging – und das Verbot, als angepasste „rote Socke“ mit der Schwester ja keine Liebesbeziehung einzugehen. Auf die Zerstörung seines Traums von einer Sportkarriere – die Kommission entscheidet sich gegen das Stipendium – reagiert der ohnehin desillusionierte Freiheitsverfechter mit Selbstmord. Der Denunziant, der ja auch ein Opfer des Systems war, wagt 20 Jahre später die Auseinandersetzung mit seinen Verstrickungen: ein langsam in Szene gesetzter Reinigungsprozess, der ihn dort wieder anknüpfen lässt, wo seine Jugend nicht nur in Liebesdingen ein verfrühtes Ende fand. Die in der DDR geborene Regisseurin Elke Hauck begibt sich erneut auf eine autobiografisch angehauchte Zeitreise. In ihrem Erstling „Karger“ (fd 38 283) drehte sie in ihrer von Arbeitslosigkeit und Desorientierung geprägten Heimatstadt Riesa, in „Der Preis“ kehrt die Hauptfigur zu ihren lange verdrängten Wurzeln zurück. Hauck verzichtet auf jede Emotionalisierung durch dramatisierende Filmmusik, wählt einige Originalstücke, Pop und Underground-Punk, die das Zeitkolorit authentisch verstärken. Die DDR erfährt eine realistische, dokumentarisch grundierte Zeichnung als ein in allen Lebenslagen Druck ausübender, grotesk dahin siechender Repressionsapparat, eine geistige Wüste, in der das standardisierte Leben die freie Entwicklung blockiert. Die bleierne Schwere der Verhältnisse, die sich in der provisorischen Optik der kapitalistisch verblühenden Landschaften fortsetzt, korrespondiert wunderbar mit der Zurückgenommenheit der Inszenierung. Was hier aber zum Drama drängt, nach großen Gefühlen verlangt, nimmt in ermüdender Zeitlupe seinen Lauf – die unterschiedlichen Charaktere erleiden ihr trauriges Schicksal fast beiläufig. Immer wieder sind es die tapfer temperierten Darsteller, die alles zusammenhalten, inklusive das Unbehagen, dass man ihren Implosionen nicht zu folgen vermag. Es fehlt das unvorhersehbare Durcheinander, eine weniger statische Struktur, die den Menschen jenseits ihrer moralischen Verwerfungen und der inzwischen wirkungslosen ästhetischen Pfade der Berliner Schule Luft zum Atmen ließen.
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