The Liverpool Goalie oder: Wie man die Schulzeit überlebt!

Jugendfilm | Norwegen 2010 | 87 Minuten

Regie: Arild Andresen

Ein 13-jähriger Junge, der nach dem Tod seines Vaters von seiner Mutter zu übergroßer Vorsicht erzogen wird, versucht, an ein legendäres Fußball-Sammelbild zu kommen, um sein nicht sonderlich hohes Ansehen in seiner Klasse, vor allem aber bei einer hübschen Mitschülerin zu steigern. Einfallsreiche, erfrischend originell erzählte Komödie um einen "nerdigen" Außenseiter, der in den Wirren der Pubertät um Anerkennung kämpft. Hinter den herrlichen Off-Kommentaren und witzig surrealen Einsprengseln offenbart sich eine einfühlsame und respektvolle Auseinandersetzung mit kindlicher Unsicherheit, mit Wünschen und Neurosen. - Sehenswert ab 10.
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Filmdaten

Originaltitel
KEEPER'N TIL LIVERPOOL
Produktionsland
Norwegen
Produktionsjahr
2010
Produktionsfirma
4 1/2 Film
Regie
Arild Andresen
Buch
Lars Gudmestad
Kamera
Gaute Gunnari
Musik
Aslak Hartberg
Schnitt
Jon Endre Mørk
Darsteller
Ask van der Hagen (Jo Idstad) · Susanne Boucher (Mari Lien) · Mathis Asker (Einar) · Andrine Sæther (Else) · Jostein Sranes Brox (Tom-Erik)
Länge
87 Minuten
Kinostart
15.03.2012
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 10.
Genre
Jugendfilm | Komödie
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
EuroVideo (16:9, 1.78:1, DD5.1 norw./dt.)
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Diskussion
Jo ist lieber Memme als Mann – zur eigenen Sicherheit. Seit sein Vater in der Badewanne ausgerutscht und gestorben ist, hat er die Ratschläge seiner überängstlichen Mutter internalisiert: Er spielt nicht Fußball und verletzt sich daher nicht. Er rennt keine Treppen hinunter und stürzt deshalb nicht. Er macht die Hausaufgaben für seinen Schulkameraden Tom-Erik und wehrt auf diese Weise dessen starke Fäuste ab. Doch wenn man 13 Jahre alt ist, rangiert man als hasenfüßiger, unsportlicher Junge nicht gerade am oberen Ende der Beliebtheitsskala. Deswegen erlaubt sich Jo ein „riskantes“ Hobby. Wie alle in der Nachbarschaft ist er süchtig nach Fußballsammelkarten, obwohl seine Mutter ausdrücklich vor Abhängigkeiten jeder Art warnt. Trotzdem träumt Jo davon, die noch nie gesehene Karte mit dem Torwart des FC Liverpool zu ergattern, und hofft, so sein Ansehen zu steigern – vor allem bei Mari, dem neuen Mädchen in seiner Klasse. Das klingt als Plot eines Films nicht sonderlich spektakulär, ist es aber. Der Konflikt mag ein klassischer sein, wie er schon x-mal für ein junges Kinopublikum erzählt worden ist: Ein „uncooler“ Teenie muss über sich hinauswachsen, um dem sozialen Druck in Schule und Freundeskreis die Stirn zu bieten und obendrein mit den verwirrenden Gefühlen rund um die erste Liebe fertig werden. Allerdings ist diese altbekannte Geschichte für Kinder und Jugendliche stets brandaktuell. Außerdem ist es meist ja gar nicht entscheidend, was erzählt wird, sondern wie. „The Liverpool Goalie“, das Spielfilmdebüt des norwegischen Werbefilmers Arild Andresen, präsentiert sich von Anfang an erfrischend anders als eine nach Schema F konfektionierte Coming-of-Age-Komödie oder eine vor Pädagogik triefende Moralpredigt – nämlich herrlich durchtrieben. Mit viel Selbstironie, schwarzem Humor und einem Hang zu maßloser Übertreibung kommentiert Jo aus dem Off seine Neurosen, die Demütigungen durch Tom-Erik und die stockende Annäherung an Mari. Dabei geht seine Fantasie regelmäßig mit ihm durch, was sich auf der visuellen Ebene spiegelt. Immer wieder durchkreuzen Tagtraum-Sequenzen das Geschehen, und zwar derart, dass sie nicht auf Anhieb als solche erkennbar sind. Es ist nicht nur komisch, wenn sich Jos meisterhafte Flirtversuche als Schimäre entpuppen oder der bloße Gedanke, Tom-Erik zu verpetzen, ihn bis ins Zeugenschutzprogramm in die eisige Einöde Norwegens führt. Überdies parodieren diese Szenen sensationslüsterne Genres, etwa den Horrorfilm oder den Boulevard-Journalismus, und liefern darin verpackt eine pointierte Kritik an einer Gesellschaft, in der Anpassung zunächst sicherer scheint, als eine eigene Persönlichkeit zu entwickeln. Auf diese Art spinnt die eigentlich geradlinige Handlung Fäden, die in alle möglichen Richtungen weisen. Banalitäten mischen sich unter existenzielle Fragen, kindliche Unschuld unter Anspielungen auf Sexualität, Slapstick unter lebensnah normale Situationen. Damit bietet sich auch erwachsenen Kinogängern reichlich Anlass zum Amüsieren und Nachdenken. „The Liverpool Goalie“ ist Teil einer langen Reihe norwegischer Filme, die sich auf originelle und zugleich tiefgründige Weise mit den alltäglichen Problemen des Heranwachsens beschäftigen. Dank hervorragender Förderstrukturen, die auf Vielfalt setzen, hat es das kleine Land, das nur knapp fünf Mio. Einwohner zählt, geschafft, eine der aufregendsten Filmszenen für ein junges Publikum auszubilden, die zu Hause für volle Kinos sorgt. „The Liverpool Goalie“ startete seine Karriere mit dem Gewinn des „Gläsernen Bären“ bei der „Berlinale“ 2011; mehr als 30 Festivaleinladungen und weitere Auszeichnungen folgten. Wie viele andere norwegische Produktionen für Kinder und Jugendliche, etwa Torun Lians „Die Farbe der Milch“ (fd 38 015), „Mein Freund Knerten“ (fd 40 515) oder „Anne liebt Philipp“ (fd 40 838), basiert auch „The Liverpool Goalie“ auf einer literarischen Vorlage („Der tunesische Torwart“ von Lars Mæhle). Ein Umstand, der, wenn es um deutsche Kinderfilme geht, oft bemängelt wird. Zu häufig setzen hiesige Produktionsfirmen auf Bestseller wie „Die wilden Hühner“ oder „Die wilden Kerle“, ohne sie mit den Mitteln des Films neu zu beleben. Dabei kommen dann rentable Produkte heraus, aber mit kreativem Filmschaffen oder der Lebenswirklichkeit junger Menschen hat das meistens wenig zu tun. Norwegischen Filmen gelingt es dagegen, einen Roman erzählerisch und visuell spannend für die Leinwand zu adaptieren, weil sie nicht am Original kleben bleiben. Statt eine Dramaturgie und Effekte aus dem Standardkatalog einzusetzen, laden sie den Stoff mit eigenen Ideen und Visionen auf. Die Adaption gerät dann nicht bloß zum Vehikel für den Verkauf einer bekannten Marke, sondern zum eigenständigen Werk. Humor und Anspruch, schräge Einfälle und Lebensnähe: Das sind Dinge, die sich im Kinderfilmland Norwegen nicht widersprechen.
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