Musikfilm | Schweiz/Deutschland/Bulgarien 2012 | 92 Minuten

Regie: Stefan Schwietert

Dokumentarfilm über den Umgang mit Musiktraditionen in den Balkanländern, historisch aufgearbeitet auf der Basis des Archivs des Schweizer Ehepaars Cellier, das seit 1950 jenseits des Eisernen Vorhangs die dortige traditionelle Musik erfasste. Immer wieder geht es dabei um die Frage nach der Authentizität des Volkstümlichen im Spannungsfeld von kommerziellen und ideologischen Interessen. Der Film bietet ein Füllhorn an Wissens- und Hörenswertem, kann mitunter angesichts der Fülle des Materials aber keinen klaren roten Faden finden. - Ab 12.
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Filmdaten

Originaltitel
BALKAN MELODIE
Produktionsland
Schweiz/Deutschland/Bulgarien
Produktionsjahr
2012
Produktionsfirma
Maximage/zeroone/agitprop/SRF/RTS/SRG SSR/BR/Bulgarisches Fernsehen
Regie
Stefan Schwietert
Buch
Stefan Schwietert
Kamera
Pierre Mennel · Pio Corradi
Schnitt
Isabel Meier
Länge
92 Minuten
Kinostart
07.02.2013
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 12.
Genre
Musikfilm | Dokumentarfilm
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
Ventura (16:9, 1.78:1, DD5.1 rum. & bulg. & frz.)
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Diskussion
Ob Bukowina-Dub oder Disco Partizani: Seit der Jahrtausendwende ist die Mischung aus Balkan-Folk, Balkan-Brass und westlichen Dance-Beats aus einschlägigen Clubs nicht mehr wegzudenken. Zu aktuellen Balkan-Klängen und den damit verbundenen Vorstellungskomplexen wird nicht nur hierzulande ausgelassen und durchaus exzessiv gefeiert. Solches kreativ und/oder rezeptiv Sich-in-Beziehung-Setzen zur traditionellen Musik ist ein Thema, mit dem sich der Dokumentarist Stefan Schwietert bereits in Filmen wie „Accordion Tribe“ (fd 37 011) oder „Heimatklänge“ (fd 38 379) auseinander gesetzt hat. In „Balkan Melodie“ geht es nun weniger um die Gegenwart als um deren Genese. Schwietert porträtiert den Schweizer Musikenthusiasten Marcel Cellier und seine Ehefrau Catherine, die seit 1950 in der Manier des Musikologen Alan Lomax unter widrigen Bedingungen in die geheimnisvolle Klangwelt jenseits des Eisernen Vorhangs reisten, um die dort lebendige traditionelle Musik zu dokumentieren. Ein Glücksfall, konnte Schwietert so doch auf das umfangreiche Archiv der Celliers zurückgreifen. Cellier, im bürgerlichen Leben ein erfolgreicher Industrieller, nutzte ab 1960 als enthusiastischer Hobby-Musikologe das Radio, um seine akustischen Schätze einer Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Einer der Künstler, die er im Westen bekannt machte, war der Pan-Flötist Gheorghe Zamfir, dem er zu einem Millionenpublikum verhalf; später zerstritt man sich wegen des Geldes. Heute arbeitet der Rumäne als Musiklehrer in Bukarest. Schwietert lässt Zamfir zu Wort kommen, interessiert sich aber nicht weiter für diesen Konflikt. Auch den Frauenchor „Le Mystère des Voix Bulgares“ entdeckte und förderte Cellier, bis die Sängerinnen Mitte der 1980er-Jahre über das britische Indie-Label „4AD“ zum Pop-Kult wurden und Cellier die Rechte an seinen Aufnahmen verkaufte. Diese außergewöhnlichen Karrieren zeichnet Schwietert materialreich nach und beleuchtet den eigentümlichen, ambivalenten Status des staatlich geförderten und zu Zwecken der Propaganda instrumentalisierten „Volkstümlichen“ im real existierenden Sozialismus, der zu einer Art von künstlichem Traditionalismus führte. Hierzu mussten sich junge Musiker nach 1989 verhalten, wie am Beispiel der Gypsy-Pop-Formation Mahala Rai Banda gezeigt wird. Wo liegen die Wurzeln der Balkan-Folklore? Wie steht es um deren Authentizität? Gerade bei seinen Ausflügen in die Gegenwart, die beim besten Willen nur als kursorisch gelten können, verliert die Dokumentation allmählich ihren Fokus und beginnt unter der Materialfülle zu ächzen. Kann man beide Formen der „Beschlagnahmung“ des Volkstümlichen im Sozialismus und im Kapitalismus, einmal aus ideologischen, einmal aus kommerziellen Gründen, überhaupt vergleichen? War die Musik, die Cellier in den Westen transportierte, zwar fremdartig, aber nicht auch schon eine Form von Kunstmusik? Wonach bemisst sich die Authentizität volkstümlicher Musik? Dass sie nicht nur in Clubs, sondern auch auf Dorffesten und bei Hochzeiten gespielt wird? Solche Fragen stellt „Balkan Melodie“ und versucht, das faszinierende Material aus Celliers Privatarchiv zu nutzen; das zu organisierender, überfordert Schwietert, sodass kein roter Faden der Erzählung erkennbar wird.
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