Monsieur Lazhar

Drama | Kanada 2011 | 94 Minuten

Regie: Philippe Falardeau

Ein aus Algerien stammender Mittfünfziger springt in einer Grundschule als Ersatzlehrer ein, nachdem eine Lehrerin Selbstmord begangen hat, und merkt, dass seine Auffassungen von Lehrstoff und -methoden nicht mit dem in der Schule Üblichen zusammenpassen. Zudem steht das Trauma im Raum, das der Selbstmord der Lehrerin für die Kinder bedeutet, speziell für einen Jungen und ein Mädchen. Beiläufig und nüchtern beobachtet der Film den schwierigen Annäherungsprozess des Lehrers an seine Klasse und an sein Kollegium, aber auch die Verarbeitung drastischer Verlusterfahrungen. Spannung bezieht er aus der sensiblen, dramaturgisch geschickten Ausleuchtung der Figuren, in deren Geschichten man nach und nach einen Einblick erhält. - Sehenswert ab 12.
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Filmdaten

Originaltitel
MONSIEUR LAZHAR
Produktionsland
Kanada
Produktionsjahr
2011
Produktionsfirma
micro_scope
Regie
Philippe Falardeau
Buch
Philippe Falardeau
Kamera
Ronald Plante
Musik
Martin Léon
Schnitt
Stéphane Lafleur
Darsteller
Fellag (Bachir Lazhar) · Sophie Nélisse (Alice) · Émilien Néron (Simon) · Danielle Proulx (Madame Vaillancourt) · Brigitte Poupart (Claire)
Länge
94 Minuten
Kinostart
12.04.2012
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 12.
Genre
Drama
Externe Links
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Diskussion
Eine der ersten „Amtshandlungen“, die Monsieur Lazhar als neuer Lehrer einer Grundschulklasse in Québec durchführt, ist es, die in einem Halbkreis stehenden Pulte seiner Schüler wieder ordentlich in Reih und Glied stellen zu lassen, frontal auf den Lehrer ausgerichtet. Fürs erste Diktat sucht er einen Text von Balzac aus, der die Kinder heillos überfordert. In solchen Szenen zeigt Philippe Falardeau, wie fremd Monsieur Lazhar die Welt seiner Zöglinge ist: Er kommt aus einer anderen Zeit, von einem anderen Ort. Die Vorstellungen von Pädagogik, die der aus Algerien stammende Mittfünfziger mitbringt, sind gelinde gesagt altmodisch. Doch die Inszenierung diffamiert ihn dafür nicht, sondern spannt den Zuschauer vielmehr in den Prozess des Kennenlernens, des Sich-Annäherns von Lehrer und Klasse ein. Die Diskrepanz zwischen Lazhars Vorstellungen von dem, was er den Kindern vermitteln will und wie er es vermittelt, und dem, was in der Schule üblich ist, stellt dabei nicht die größte Herausforderung dar. Die besteht vielmehr in dem, was für Lazhars spontane Anstellung an der Lehranstalt folgte: Er springt als Ersatzlehrer für die Klassenlehrerin Martine ein, die Selbstmord beging: Sie hat sich erhängt, ausgerechnet im Klassenzimmer ihrer Grundschüler. Dieses schreckliche Ereignis steht wie ein Elefant im Raum. Die Schulleitung will es so schnell wie möglich „verarbeitet“ wissen, verdaut und ausgeschieden wie ein unbekömmliches Lebensmittel: Die Direktorin lässt den Klassenraum neu streichen und engagiert eine Psychologin. Mit den gut gemeinten Beschwichtigungsmaßnahmen lässt sich das Ungeheuerliche dieses Todesfalls aber nicht vertreiben. Darunter leiden speziell zwei der Schüler: Simon, der den erhängten Körper der Lehrerin fand, fühlt sich am Tod der Lehrerin schuldig; und Alice, eine kleine Leseratte, die seither eine unterdrückte Wut mit sich herum schleppt, die sich gegen Simon richtet, aber auch gegen die tote Lehrerin. So ungeschickt Monsieur Lazhar als Lehrer auch sein mag: Er erweist sich als der einzige, der in dieser Krisensituation einen Draht zu den Kindern findet – vielleicht, weil ihm Trauer, hilflose Wut und Schuldgefühle nicht unbekannt sind. Es gibt einen schmerzhaften Grund dafür, warum er Algerien verließ und nach Kanada emigrierte, und dafür, warum seine Frau und seine beiden Kinder nicht bei ihm sind. Was diesen wunderbar beiläufig erzählten, ruhig beobachtenden Film so spannend macht, ist vor allem die Art, wie er sich seinen Figuren annähert: Er schafft Empathie für diese Alltagsmenschen und lässt einen neugierig nach Antworten auf die Fragen suchen, die ihr Verhalten aufwirft: Was hat es mit Lazhars Vergangenheit in Algerien auf sich? Was ist zwischen Simon und Martine vorgefallen? Was hat diese zum Selbstmord getrieben? Nicht auf alle Fragen gibt der Film Antworten; denn nicht alles ist (weg-)erklärbar, nicht alles hat einen Sinn – das gehört zu den Dingen, die sowohl die Kinder wie auch Lazhar lernen müssen. Die Inszenierung bauscht die Dramen, die der Film berührt, nicht auf, sondern verfolgt nüchtern, wie Menschen nach traumatischen Erfahrungen weitermachen und wie sie sich dabei gegenseitig eine Stütze sein können. Neben den Hauptfiguren kommen auch Menschen am Rande in den Blick: die Kinder auf dem Schulhof, Lazhars Kollegen, der pummelige Hausmeister, die Eltern; alle sind mit eigenen Freuden, Sorgen und Nöten beschäftigt. Diese Offenheit mündet nicht in eine Ausfransung der Geschichte, sondern macht sie vielmehr umso lebensnäher und lebensvoller.
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