Traumfabrik Kabul

Dokumentarfilm | Deutschland/Afghanistan 2011 | 83 Minuten

Regie: Sebastian Heidinger

Ein von Respekt und Neugier getragener Dokumentarfilm über die afghanische Filmemacherin Saba Sahar, die für die Frauenrechte in ihrer Heimat kämpft. Dabei lebt er vor allem von seiner charismatischen Protagonistin, die sich weder von den Anfeindungen durch Fundamentalisten noch durch die Frustrationen angesichts einer wenig hilfreichen (Besatzungs-)Bürokratie unterkriegen lässt. Zwar ermöglicht die materialreiche Engführung auf die Protagonistin keinen umfassenden Blick auf die afghanische Gesellschaft, doch bürstet der Film das gängige Medienbild des Landes gründlich gegen den Strich. (O.m.d.U.) - Ab 14.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland/Afghanistan
Produktionsjahr
2011
Produktionsfirma
Boekamp & Kriegsheim/ZDF (Das kleine Fernsehspiel)
Regie
Sebastian Heidinger
Buch
Sebastian Heidinger · Nils Bökamp
Kamera
Alexander Gheorghiu
Schnitt
Alexander Fuchs
Länge
83 Minuten
Kinostart
19.04.2012
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
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Diskussion
Saba Sahar ist seit 18 Jahren Polizistin in Kabul und seit vier Jahren Filmproduzentin, Regisseurin und Schauspielerin in Personalunion. In ihren bislang vier langen und vier kurzen Spielfilmen, mit denen sie durch das Land tourt, wirbt sie für den Polizeidienst – und für die Frauenrechte. Sebastian Heidinger porträtiert in seinem Film eine nicht nur für afghanische Verhältnisse ungewöhnlich starke Frau. Nach „Generation Kunduz – Der Krieg der Anderen“ (fd 40 950) kommt damit eine weitere Innenansicht aus dem vom Krieg gebeutelten Land ins Kino, die gängige Afghanistan-Klischees gegen den Strich bürstet. Der Film eröffnet mit Bildern eines Vortrags der Protagonistin in der Polizeiakademie. Saba Sahar spricht dort ausschließlich vor Männern – und wirkt mit ihrem Selbstbewusstsein kein bisschen deplatziert. Ausschnitte aus ihren Filmen sprechen die gleiche Sprache. Da ist Sahar zu sehen, wie sie als Martial-Arts-Kämpferin eine Hand voll Männer kalt macht, die sich an einer wehrlosen Frau vergreifen wollen, oder als weiblicher Super-Cop, die in den Straßen von Kabul einen Stalker zurechtweist, der Frauen auf die Pelle rückt. Die charmante Schlichtheit, mit der diese Filme auf unkonventionelle Weise für Zivilcourage und Frauenrechte eintreten, wirkt überzeugend. Ganz im Gegensatz zum Duktus des Leiters des Deutschen Entwicklungsbüros: Nach Unterstützung für Sahars Projekt einer Fernsehserie gefragt, antwortet er mit einem dünnen „Vielleicht“. Eine Kollegin sekundiert, dass mittlerweile die Sicherheit und nicht die Durchsetzung von Frauenrechten oberste Priorität hätte. „Traumfabrik Kabul“ zeigt die neobürokratisch vermittelte Unentschlossenheit der Repräsentanten internationaler Politik, die Projekte wie die Filme von Sahar zwar spannend finden, aber doch nur 15 Dollar pro Vorführung ausgeben wollen – eine Doppelmoral, die sogar die selbstbewusste Sahar verzweifeln und einmal sogar in Tränen ausbrechen lässt. Auch die stärkste Power-Frau ist einmal am Ende mit ihren Kräften. Gegen Ende der 1980er-Jahre, in der „goldenen Zeit des afghanischen Theaters“, zum Schauspiel gekommen, wurde Sahar zur Zeitzeugin von Krisen und Kriegen, floh während des Taliban-Regimes ins benachbarte Pakistan und beobachtet die heutige Entwicklung mit Sorge. Die Jagdszenen, die sie in ihren Filmen beschreibt, erlebte sie selbst: Auf der Fahrt zu einem Drehtermin mit Heidinger wurde ihr Auto gezielt beschossen. Sahar und ihre Filme sind das große Pfund dieser Dokumentation. Wer eine solche Protagonistin hat, der sollte sich filmisch zurückhalten – und das tut Sebastian Heidinger auch. Die Kameraführung vermittelt ebenso Respekt wie Neugier. Film und Filmschnitt bleiben nah an Sahar dran, manchmal vielleicht zu nah, um hinter der charismatischen „Anchor Woman“ noch ein Stück Gesellschaft erkennen zu lassen. In den Interview-Passagen ist der Film mitunter sehr ausführlich und gleicht bisweilen einer Materialsammlung; aber auch das ist vielleicht Konzept – so taucht man ein in eine Welt, die von Angst und Zweifeln geprägt ist, aber auch vom Selbstbewusstsein einer Aktivistin, die alles tut, um sich weder von blassen Bürokraten noch von giftigen Fundamentalisten einschüchtern zu lassen. Und die im täglichem Polit-Kampf trotzdem Mensch bleibt: Am Ende sieht man Sahar symbolträchtig mit Kind am Fluss.
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