Die Liebenden - von der Last, glücklich zu sein

Komödie | Frankreich/Großbritannien/Tschechien 2011 | 139 Minuten

Regie: Christophe Honoré

Ein Zwei-Generationen-Frauenporträt, das, beginnend in den 1960er-Jahren, das (Liebes-)Leben einer Mutter sowie ihrer Tochter beschreibt. Während die Ältere ihrem ersten Mann, dem sie einst nach Prag folgte, später wieder begegnet und das einstige Glück in amourösen Stelldicheins aufleben lässt, ist die Tochter in eine unmögliche Liebe verstrickt. Elegant verbindet der Film Leichtes und Schweres, Buntes und Düsteres und verdichtet sich vor allem dank der beiden vorzüglichen Darstellerinnen, aber auch der mal poppigen, mal melancholischen Lieder zur traurig-schönen Reflexion über Freuden, Leiden und Wirrungen der Liebe. - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
LES BIEN-AIMÉS
Produktionsland
Frankreich/Großbritannien/Tschechien
Produktionsjahr
2011
Produktionsfirma
Why Not Prod./France 2 Cinéma/Sixteen Films/Negativ
Regie
Christophe Honoré
Buch
Christophe Honoré
Kamera
Rémy Chevrin
Musik
Alex Beaupain
Schnitt
Chantal Hymans
Darsteller
Catherine Deneuve (Madeleine) · Ludivine Sagnier (junge Madeleine) · Milos Forman (Jaromil) · Chiara Mastroianni (Véra) · Louis Garrel (Clément)
Länge
139 Minuten
Kinostart
03.05.2012
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Komödie | Musical
Externe Links
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Diskussion

Der französische Regisseur Christophe Honoré erinnert sich gerne an die gute alte Zeit, als Hollywood noch mit großen Musical-Produktionen glänzte und die experimentierfreudigen Regisseure der Nouvelle Vague eine neue, aufregende Art, Kino zu machen, erfanden. Das merkt man seinen Filmen an: Sie sind zugleich bunt und düster, leicht und schwer, romantisch und desillusionierend. Zuletzt war hierzulande 2008 ein Film von Honoré zu sehen, eine zeitgenössische Hommage an das Nouvelle-Vague-Musical „Die Regenschirme von Cherbourg“ (fd 30 511): In „Chanson der Liebe“ (fd 38 854) gehen drei junge Pariser in einer Ménage à trois auf, bevor sich die Gefühle verkomplizieren und ein plötzlicher Todesfall alle Beziehungen und sexuellen Vorlieben endgültig durcheinander wirft. Mit seinem jüngsten Film kehrt Honoré nicht nur zu den Gesangseinlagen von „Chanson der Liebe“ zurück, sondern auch in die Zeit seiner filmischen Vorbilder, in die 1960er-Jahre. Entsprechend „retro“ gestaltet sich der Auftakt von „Die Liebenden“: Wasserstoffblond wie Marylin Monroe und lasziv wie Brigitte Bardot stöckelt die junge Madeleine den Pariser Bordstein entlang. Schmal ist ihr Geldbeutel, aber groß die Lust an teuren Schuhen, und so bessert sie sich ihr Gehalt als Gelegenheitsprostituierte auf. Ein Kunde ist der schmucke Tscheche Jaromil, den sie wenig später als Ehefrau nach Prag begleitet. Honorés farbenfrohe Rückschau ist dabei lediglich der Startblock für eine Studie über die amourösen Beziehungen der letzten 50 Jahre, und schon bald weicht der Nostalgie-Trip dem Gegenwartskino. Auf die sexuelle Befreiung folgen Ernüchterung und der Prager Frühling. Madeleines Ehe scheitert an Jaromils Seitensprüngen. Zurück in Paris, heiratet sie erneut, diesmal fürs Leben, doch Jaromil wird ihr Liebhaber bleiben. Der Fall des Eisernen Vorhangs bringt den beiden im Alter erneut ein flüchtiges Glück, das aus heimlichen Schäferstündchen im Hotel besteht. Die „Legende von der Prostituierten und dem untreuen Mann“, tauft Tochter Vera die ungewöhnliche Liebesgeschichte ihrer Eltern. Sie, die Erzählerin des Films, hadert ihrerseits mit den Umständen der Zeit. Zwischen der Ausbreitung des HIV-Virus und den Terroranschlägen vom 11. September verliebt sie sich in den homosexuellen Musiker Henderson, der Vera rein gar nichts bieten kann. Als sie nachts im Funzellicht einer gesichtslosen Hotelbar strandet, sind die Helligkeit und Farbenpracht des Filmbeginns vergessen. Während Veras Mutter noch die Liebe in welch vertrackter Form auch immer nehmen konnte, gibt es für Vera keine alternativen Routen. Die Geschichten der Frauen gehen einem nahe, auch weil Honoré elliptisch erzählt und auf die intensivsten Momente fokussiert. Doch erst die Szenen, in denen die Handlung innehält und die sich sonst so libertär gebenden Figuren über ihre tiefsten Gefühle zu singen beginnen, bringen den Film zum Schimmern. Komponiert hat die mal poppigen, mal melancholischen Lieder wie schon in „Chanson der Liebe“ der Musiker Alex Beaupain, gesungen werden sie von den Schauspielern selbst. Letztlich sind vor allem sie es, die das kühne Konstrukt stemmen – allen voran Catherine Deneuve und ihre Tochter Chiara Mastroianni als die Madeleine ab den 1990er-Jahren sowie als Vera. Als Mutter-Tochter-Gespann sind sie authentisch wie im richtigen Leben, zärtlich, nachsichtig, die andere immer wieder zu ihrem Besten kritisierend. Diese Besetzung ist freilich auch ein Statement, eine Liebeserklärung, verknüpft man Catherine Deneuve doch unweigerlich mit Jacques Demys „Die Regenschirme von Cherbourg“. Als weitere Huldigung an die Filmgeschichte spielt Milos Forman den alternden Casanova Jaromil; Chiara Mastroianni hingegen gehört zu Honorés Stamm-Ensemble: Er hat es sich ganz im Sinne von Demy (oder auch seinem anderen Idol François Truffaut) zur Gewohnheit gemacht, häufig mit denselben Schauspielern zu drehen. Ebenfalls wieder mit dabei: Ludivine Sagnier als junge Madeleine und Louis Garrell in der Nebenrolle des chancenlos in Vera verliebten Ex-Freundes. Insgesamt gelingt es Honoré erneut, seine Vorlieben als Cinephiler ins Hier und Heute hinüberzuretten und formal wie inhaltlich zu aktualisieren. Auch wenn seine jüngste „histoire sentimentale“ trotz aller filmischer Referenzen und ihres Reichtums an Schauplätzen und Zeiten nicht die Konsistenz von „Chanson der Liebe“ erreicht, ist „Die Liebenden“ ein Déjà-Vu voller magischer und traurigschöner Augenblicke.

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