Noordzee, Texas

Drama | Belgien 2011 | 98 Minuten

Regie: Bavo Defurne

In einem belgischen Städtchen an der Nordsee beginnt ein Teenager eine Affäre mit dem rebellischen Nachbarsjungen, bis der Geliebte eines Tages verschwindet und ihn allein zurücklässt. Als ein neuer Mann in sein Leben tritt, brauen sich Konflikte zusammen. Dem in einer nicht näher definierten Vergangenheit spielenden Film geht es nicht um eine sozialkritische Auseinandersetzung mit homosexuellen Nöten, vielmehr erzählt er in einer innovativ-persönlichen Form eine zeitlose Geschichte um Glück und Wirrungen. Dies gelingt dem Debütfilm trotz einiger Schwächen ebenso gelassen-poetisch wie zärtlich-melancholisch. - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
NOORDZEE, TEXAS
Produktionsland
Belgien
Produktionsjahr
2011
Produktionsfirma
Indeed Films
Regie
Bavo Defurne
Buch
Bavo Defurne · Yves Verbraeken
Kamera
Anton Mertens
Musik
Adriano Cominotto
Schnitt
Els Voorspoels
Darsteller
Jelle Florizoone (Pim) · Mathias Vergels (Gino) · Eva van der Gucht (Yvette) · Nina Marie Kortekaas (Sabrina) · Katelijne Damen (Marcella)
Länge
98 Minuten
Kinostart
10.05.2012
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Drama | Liebesfilm
Externe Links
IMDb | TMDB

Diskussion
Die erste Liebe, millionenfach besungen, milliardenfach erlebt, ist auch Gegenstand von Bavo Defurnes Spielfilmdebüt. Diesem Thema etwas Neues abzugewinnen, ist praktisch unmöglich, auch wenn zwei Jungs im Zentrum der Geschichte stehen. Trotzdem hören die Menschen ja nicht auf, sich ineinander zu verlieben, es als etwas ganz und gar Einzigartiges zu empfinden, es zu beschreiben oder eben auch Filme darüber zu drehen. Defurne, der mit seinen Kurzfilmen etliche Preise gewonnen hat, versucht erst gar nicht, sich der ewig jungen Geschichte auf besonders originelle Weise anzunähern, aber es gelingt ihm, sie auf eine eigene, persönliche Weise zu erzählen: gelassen, poetisch und getragen von wunderbaren Darstellern. „Noordzee, Texas“ spielt nicht etwa in einem US-Kaff zwischen Rinderfarmen und Ölbohrtürmen, sondern in einem Städtchen an der belgischen Nordsee. „Texas“ nennt sich lediglich die Dorfkneipe. Wer beim Titel des Films an Wim Wenders denkt, liegt trotzdem nicht ganz falsch. Der gemächliche Rhythmus, die sorgsam arrangierten Tableaus, der Sinn und die Aufmerksamkeit für Details und der Blick in die weiten, einsamen Landschaften (statt Wüstenbildern sind es Aufnahmen von breiten, verlassenen, windverwehten Sandstränden) – all das erinnert ebenso wie die wehmütige Atmosphäre, die das Geschehen prägt, an Wenders. Zudem spielt der Film, wie es im Drehbuch heißt, in „unserer Jugend, vor ein paar Jahrzehnten“. Irgendwann also, im nostalgischen Niemandsland. In einer Zeit, in der die Telefone noch Schnur, Hörer und Gabel hatten, als man Akkordeon spielte, die Autos langsam und selten fuhren. Dass dies auch eine Zeit war, in der Homosexuelle offen und öffentlich diskriminiert wurden, blendet Defurne fast vollständig aus. Dem flämischen Regisseur geht es offenbar nicht um eine sozialkritische Auseinandersetzung. Aus der individuellen Liebesgeschichte will er keine gesellschaftspolitischen Tendenzen herausfiltern, sondern ganz klassisch das Allgemeinmenschliche. Natürlich spielt es eine wesentliche Rolle für das Drama, dass der 15-jährige Pim, der allein bei seiner Mutter Yvette aufwächst, einer abgetakelten und frustrierten Ex-Schönheitskönigin, sich nicht für Sabrina, das süße, kluge und schwer in ihn verknallte Mädchen von nebenan interessiert, sondern für deren älteren Bruder Gino, einen jugendlichen Draufgänger mit schwarzer Lederjacke und dem Traum vom Motorrad. Diese erste Liebe basiert durchaus auf Gegenseitigkeit; Pim und Gino verbringen eine Nacht im Zelt miteinander, sehen, küssen und lieben sich auch danach noch regelmäßig. Aber stets geschieht das heimlich, und zum Abschied mahnt Gino, es ja niemandem zu verraten. Das Tabu, das die beiden brechen, hätte durchaus auch etwas anderes sein können, wie etwa bei „Romeo und Julia“. Defurne selbst legt Wert darauf, dass „Noordzee, Texas“ kein „schwuler Film“ ist. Niemand, schreibt er in den Produktionsnotizen, käme ja auch auf die Idee, „Titanic“ als einen „Hetero-Film“ zu bezeichnen. Als Gino 18 Jahre alt ist, fährt er mit seinem Motorrad davon, in die Stadt. Man hört von einer Freundin, sieht ihn – vorerst – nicht wieder. Dafür erscheint (allzu) plötzlich ein anderer Mann auf der Bildfläche. Zoltan, der mit dem Zirkus durch halb Europa reist, zieht bei Pims Mutter zur Untermiete ein. Doch nicht nur Pim, auch Yvette findet an Zoltan Gefallen. Der Konflikt spitzt sich zu und eskaliert, ohne ins Melodramatische auszuufern. Trotz manch klischeehafter Wendungen und plakativer Einstellungen bleibt Defurne seiner zärtlich-melancholischen Erzählweise bis zum Schluss treu. Ein liebenswertes, hoffnungsfrohes und souveränes Debüt.
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