Tabu - Es ist die Seele... ein Fremdes auf Erden

Biopic | Österreich/Luxemburg/Deutschland 2011 | 94 Minuten

Regie: Christoph Stark

Filmbiografie des Dichters Georg Trakl (1887-1914), aufgefächert anhand der historisch nicht gesicherten Liebesbeziehung zu seiner jüngeren Schwester Gretl, als das intensive Porträt eines von Weltschmerz und Schuldgefühlen getriebenen jungen Manns, dessen Suche nach intensiver Erfahrung und Entgrenzung innerhalb der maroden k.u.k.-Gesellschaft kurz vor dem Ersten Weltkrieg auf die Katastrophe zusteuert. Zwar verengt das Drehbuch die Person des Dichters zu sehr auf die "Amour fou" und wirft mitunter recht plakativ mit Bohème-Klischees um sich; gleichwohl zieht der Film dank seiner vorzüglichen Fotografie, vor allem aber der eindringlichen Darsteller in seinen Bann. - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
TABU - ES IST DIE SEELE... EIN FREMDES AUF ERDEN
Produktionsland
Österreich/Luxemburg/Deutschland
Produktionsjahr
2011
Produktionsfirma
Eclypse Film/Iris-Film/Film-Line/ARD-Degeto/BR/MediaFonds 2
Regie
Christoph Stark
Buch
Ursula Mauder
Kamera
Bogumil Godfrejów
Musik
Thomas Osterhoff · Jeannot Sanavia
Schnitt
Thierry Faber
Darsteller
Lars Eidinger (Georg Trakl) · Peri Baumeister (Grete Trakl) · Rainer Bock (Albert Brückner) · Rafael Stachowiak (Ludwig Schubeck) · Petra Morzé (Mutter Trakl)
Länge
94 Minuten
Kinostart
31.05.2012
Fsk
ab 16; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Biopic | Drama
Externe Links
IMDb | TMDB

Diskussion
„Es kotzt mich an. Ich kotze mich selber an. Ich brauche einen Platz in der Welt, ich gehe sonst unter“, gibt der Dichter seinem besorgten Freund zu Protokoll und kippt zur Beglaubigung den nächsten Schluck Alkohol hinterher. Die langen, wild hängenden Haare, die eng anliegende schwarze Kleidung und der vor Weltschmerz verzerrte Gesichtsausdruck weisen Lars Eidinger inmitten der menschenleeren Gassen signalträchtig als Vertreter der dekadenten Wiener Moderne aus. Er verkörpert den österreichischen Expressionisten Georg Trakl, der sich nach jahrelanger Drogenkarriere gleich beim Ausbruch des Ersten Weltkriegs mit nur 27 Jahren als Militär-Apotheker das Leben nahm, eindringlicher, als das Drehbuch erlaubt. Vor allem die Sprache reißt aus der nach Lehrbuch rekonstruierten Bohème-Kulisse zwischen Kaffeehaus, Schreibstube und sommerlichen Heurigen befremdlich aus, und man fragt sich, ob es sich bei Formulierungen wie „eine Scheiß-Angst haben“ oder Poesiealbumsprüchen im Stil von „Sehnsucht ist der größte Antrieb“ um eine verzweifelte Anbiederung beim jungen Publikum handelt oder nur um die Dialog-Defizite eines auf eine verhängnisvolle Amour fou zugespitzten Handlungsbogens. Als wäre das Leiden an dem nationalistisch antiliberalen Stimmungsbild der sich in Auflösung befindenden Monarchie kein ausreichender Grund für poetisch wertvolle Exzesse, muss ein in der Forschung lediglich vermuteter Inzest mit der jüngeren Schwester Gretl für den skandalösen Lebenswandel des von Schuld gepeinigten und eigentlich nur nach Erfolg und Anerkennung gierenden Pharmazeuten herhalten. Ohne diesen Inzest, wer weiß, so das Fazit des Tunnelblicks von „Tabu“, wäre die Literaturgeschichte vielleicht um einen Poète maudit ärmer. Regisseur Christoph Stark erzählt den Aufstieg und Fall des intensiv lebenden, früh verstorbenen Geschwisterpaars als griechische Tragödie. Sie können nicht mit und nicht ohne einander, steigern sich gegenseitig in eine Hassliebe hinein, die keine anderen Rivalen duldet, und stacheln durch die chronische Zerrissenheit ihre Kreativität zu Höchstleistungen an. Der permanente Ausnahmezustand hat natürlich seinen Preis. Wenn sich Trakl nicht auf Messers Schneide schniefend und rauchend durch die Apothekenschränke narkotisiert, sucht er, wie es das Klischee vom antibürgerlichen Künstler verlangt, Prostituierte auf, die zur Untermalung des morbiden Zeitgeists mit amputierten Körperteilen aufwarten und den endlosen Rezitationen seiner Endzeit-Gedichte mit Spott begegnen. Für weniger bemüht abgründige, dafür umso sinnlichere Erotikszenen sorgen die Treffen der Geschwister, mit Vorliebe in verregneten Parks oder im Schutz von kunstvoll ausgeleuchteten Wasserfällen. Hier suchen sie die verbotene Entgrenzung, das Einswerden von Leben und Kunst, am eigenen Leib. Halbherzige Trennungen, Gewissensqualen, Eifersucht und illusorische Pläne eines Zusammenlebens im fernen Australien sind der Nährboden einer fatalen Obsession, die immer neue Pirouetten dreht, ohne indes inszenatorisch von der Stelle zu kommen. Da helfen immerhin unaufdringliche Kurzauftritte von Trakls Zeitgenossen wie Oskar Kokoschka oder Alma Mahler nicht weiter. Dabei lässt der grandios psychedelische Vorspann durchaus cineastische Hoffnungen aufkommen. Getragen von einer zeitgemäß melancholischen Musik, wähnt man sich wahlweise in einem glühenden Berglabyrinth oder in den sanft pochenden Nervenbahnen eines Halluzinierenden. Doch schon die erste Bahnhof-Szene entzerrt die Perspektive und begnügt sich mit einer linearen Erzählhaltung. Dafür bleiben die Bilder bis zum Schluss exquisit und multiplizieren keineswegs die Stimmungen der Figuren. Manchmal gibt es einen Stich ins ungesund Gelbe, aber der verfliegt beim Hinaustreten ins Freie. Die Kamera des Polen Bogumil Godfrejow, der mehrfach mit Hans-Christian Schmid arbeitete, verfügt über magnetische Kräfte; sie hält verlässlich die Kino-Temperatur, trotz manch eines Schlagabtauschs, der sich reichlich des Theaterstils bedient. An dem schönen, seltsam entleerten Gesicht von Peri Baumeister kann man sich ohnehin nicht satt sehen. Sie ist mit ihrer ätherischen und zugleich intelligenten Physiognomie wie geschaffen für die in Deutschland nicht gerade gepflegte Disziplin des historisch legitimierten Kostümdramas. In ihren am Anfang hektisch den Bruder im Zugabteil suchenden Bewegungen ist bereits das ganze nachfolgende Drama eingeschrieben, zwischen zwei nicht zuletzt genialen Konkurrenten um die Gunst des Publikums. Während Gretl mit ihrem romantisch impulsiven Klavierspiel und einer Begabung für Komposition auf dem Konservatorium das Wohlwollen ihres Professors gewinnt, hängt Georg mit der Veröffentlichung dünner Gedichtbände zunächst hinterher, erfreut sich aber schließlich doch noch eines wachsenden Zuspruchs, was ihn auch bei den Damen der gehobenen Gesellschaft reüssieren lässt. Gretl, obwohl auf sein Anraten in den Schutz einer Ehe getreten, zahlt ihm seinen Verrat mit einem gemeinsamen Kind heim, das er ablehnt und sie, nach einer erschütternd kontrapunktisch auf einer idyllischen Terrasse einsetzenden Fehlgeburt, verliert. Da fiebert man längst trotz aller Einwände mit den beiden lebensmüden Verdammten mit, sieht ihre innere Flamme verglühen und kauft den sich bemerkenswert aufreibenden Darstellern dieses Triebschicksals alles ab. Mehr davon: Novalis, Rilke, Else Lasker-Schüler, Hölderlin, E.T.A. Hoffmann, Franziska zu Reventlow, um nur einige lebensbewegte Heroen der deutschsprachigen Trübsal-Dichtung zu nennen, warten schon.
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