Ein ruhiges Leben

Drama | Deutschland/Italien/Frankreich 2010 | 105 Minuten

Regie: Claudio Cupellini

Ein aus Italien stammender Restaurant-Besitzer Mitte 50 genießt mit deutscher Ehefrau und kleinem Sohn in der Nähe von Wiesbaden sein Familienleben. Mit dem Besuch zweier junger Italiener dringen gefährliche Schatten seiner Vergangenheit in die friedliche Existenz ein. Mehr von der zwischenmenschlichen Spannung der sorgfältig konturierten Figuren als von äußerer Action zehrend, entfaltet sich der Film als stiller Thriller um ein "Kainsmal" der Gewalt, das sich nicht abschütteln lässt. Suggestiv in der Bildsprache, getragen von vorzüglichen Darstellern, spielt er geschickt mit Ungewissheiten. - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
UNA VITA TRANQUILLA | UNE VIE TRANQUILLE
Produktionsland
Deutschland/Italien/Frankreich
Produktionsjahr
2010
Produktionsfirma
Fabrizio Mosca Prod./Acaba Prod./EOS Ent./Babe Films
Regie
Claudio Cupellini
Buch
Filippo Gravino · Guido Iuculano · Claudio Cupellini
Kamera
Gergely Pohárnok
Schnitt
Giuseppe Trepiccione
Darsteller
Toni Servillo (Rosario Russo) · Marco D'Amore (Diego) · Francesco Di Leva (Edoardo) · Juliane Köhler (Renate) · Leonardo Sprengler (Mathias)
Länge
105 Minuten
Kinostart
24.05.2012
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Drama | Thriller
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Diskussion
Ein Mann schlägt große Nägel in den Stamm eines Baums. Sein kleiner Sohn sagt einem Beobachter: Der Vater tötet die Bäume. Damit hat er Recht, wie der Mann, Rosario, später selbst zugibt. Er würde die kleine Baumgruppe, die im Garten seines italienischen Restaurants bei Wiesbaden steht, gerne abholzen, um Platz für ein paar Tische und Bänke im Freien zu bekommen. Ohne Genehmigung darf er die Bäume aber nicht fällen, zumindest nicht, solange sie gesund sind. Also treibt er Kupfernägel ins Holz, an denen die Bäume eingehen sollen – Rosario weiß, wie man etwas effizient beseitigt, das einen stört. Das Holz und der Wald sind Motive, mit denen Regisseur Claudio Cupellini immer wieder beziehungsreich und stimmungsvoll arbeitet. Gleich das erste Bild des Films wird ganz von der rauen Rinde eines Baums ausgefüllt, bevor die Kamera auf Abstand geht und sich hinter dem Stamm eine Wald- und Jagdszene eröffnet. Rosario, die Hauptfigur, zieht mit einigen anderen Männern mit Gewehren in der Hand los. Er schießt ein Wildschwein, das später auf der Speisekarte des Restaurants landet. Bevor man diese Hintergründe erfährt, suggeriert das Szenario mit dem dunklen Wald und den bewaffneten Männern eine vage Bedrohlichkeit, auch durch die Montage und die Bildausschnitte, die mit Groß- und Nahaufnahmen alles sehr dicht an einen heran tragen und gleichzeitig für Unübersichtlichkeit sorgen. Das Unbehagen trügt nicht, auch wenn es eine Weile dauert, bis man die fatalen Zusammenhänge durchblickt. Rosario, ein etwa 50-jähriger Italiener, der seit Langem in Deutschland lebt und gemeinsam mit seiner deutschen Frau einen kleinen Sohn hat, bekommt Besuch von zwei jungen Italienern. Diese geben vor Rosarios Frau vor, entfernte Verwandte auf der Durchreise zu sein, doch es ist klar, dass hier gleich mehrfach gelogen wird: Diego, einer der beiden, ist Rosarios Sohn, den dieser vor langen Jahren in Süditalien zurück ließ, um in Deutschland ein neues Leben zu beginnen; was nicht nur Rosarios Frau nicht weiß, sondern auch Diegos Gefährte Eduardo. Dieser wiederum verschweigt zusammen mit Diego vor Rosario die Tatsache, dass beide mit kriminellem Auftrag nach Deutschland gekommen sind: Sie gehören offenbar zur Mafia und sollen einen Auftragsmord begehen. Rosario wird allerdings schnell misstrauisch. Er selbst war auch nicht immer ein ehrbarer Restaurantbesitzer und Koch, und dass er einst aus Italien nach Deutschland auswanderte, hat alles andere als harmlose Gründe. Ein Gastwirt und zwei kriminelle Fremde, mit denen eine dunkle Vergangenheit in dessen friedliche Existenz eindringt: Die Handlung von Cupellinis stillem Thriller erinnert an David Cronenbergs „A History of Violence“ (fd 37 284); auch hier geht es um Gewalt als eine Art „Kainsmal“, das, wenn es denn einmal an einem haftet, schwer wieder loszuwerden ist. Allerdings setzt Cupellini andere Akzente. So konzentriert er sich weniger stringent als Cronenberg auf die Hauptfigur, sondern weitet den Blick auf die beteiligten Figuren: Die Auftragskiller, die in Rosarios Restaurant landen, lösen nicht nur die spannungsvolle Handlung aus, auch ihr Erleben tritt gleichberechtigt neben das Rosarios: Eduardo beginnt während des Aufenthalts bei Rosario ein Techtelmechtel mit einer von dessen Kellnerinnen; Diego reagiert auf die Annäherungsversuche seines Vaters mit merklicher Zurückhaltung. Die Genre-Elemente, mit denen Cronenberg ironisch spielte, treten in den Hintergrund gegenüber dem Ausloten der inneren und zwischenmenschlichen Spannungen. Cupellini und seinen exzellenten Darstellern gelingt es dabei sehr geschickt, mit den Ungewissheiten und Zweifeln hauszuhalten, die er seinen Figuren und auch den Kinozuschauern zumutet. Während Cronenberg in „A History of Violence“ seinen Helden als einen Mann zeigt, der dem Zwang der Gewalt schlicht nicht entkommen kann, weil sie brutal in seine schöne heile All-American-Idylle eindringt, bleibt Cupellinis Film zurückhaltender: Hier hat die Eskalation der Gewalt mehr den Charakter eines tragischen Ausgangs für etwas, was auch anders hätte enden können, hätten die Figuren sich nur anders entschieden. Der Zwang, zur Waffe zu greifen, wird in die Köpfe hinein verlegt; er erscheint weniger als Resultat einer physischen Situation, die einem keine andere Wahl lässt, denn als psychologische Disposition. Den Wald, die Wildnis, die Rosario so gerne hinter sich gelassen und überwunden hätte, trägt er in sich.
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