Knistern der Zeit - Christoph Schlingensief und sein Operndorf in Burkina Faso

Dokumentarfilm | Deutschland/Österreich 2012 | 111 (24 B./sec,)/107 (25 B./sec.) Minuten

Regie: Sibylle Dahrendorf

Dokumentarfilm über das Operndorf des Film- und Theaterregisseurs Christoph Schlingensief (1960-2010) in der Nähe von Ouagadougou, der Hauptstadt von Burkina Faso. Er begleitet das Projekt zur "Aufhebung der Trennung von Kunst und Nichtkunst" von der Planungsphase bis in den Herbst 2011. Der Tod des Initiators hinterlässt eine merkliche Leerstelle, doch bleibt Schlingensief in seinem Projekt sowie den Äußerungen seiner Mitstreiter präsent. Die postkolonialen Widersprüche des Operndorfs werden zwar nicht direkt verhandelt, klingen unterschwellig aber immer wieder an. Eine Hommage, die in eine "Delegierung" von Schlingensiefs künstlerischem Erbe an die Bewohner des Dorfs mündet. - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
KNISTERN DER ZEIT - CHRISTOPH SCHLINGENSIEF UND SEIN OPERNDORF IN BURKINA FASO
Produktionsland
Deutschland/Österreich
Produktionsjahr
2012
Produktionsfirma
Perfect Shot Films/ZDFkultur/ORF/Goethe-Institut Südafrika
Regie
Sibylle Dahrendorf
Buch
Sibylle Dahrendorf
Kamera
Philipp Tornau · Ingo Brunner · Christoph Krauß
Musik
Josep Sanou · Arno Waschk
Schnitt
Oliver Karsitz · Frank Brummundt
Länge
111 (24 B.
sec,)
107 (25 B.
sec.) Minuten
Kinostart
07.06.2012
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
Externe Links
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Diskussion
Ein Stück unberührtes Land, ein leichter Hügel, viele Bäume, Natur. Mehr gibt es zunächst nicht. Doch die Vision ist bereits da. Wenn der Künstler, Film-, Theaterregisseur, Autor und Aktionskünstler Christoph Schlingensief zu Beginn des Films das Gelände abschreitet, das er und sein Team nach einigem Suchen in der Nähe von Ouagadougou, der Hauptstadt von Burkina Faso, gefunden haben, dann scheint er alles schon vor sich zu sehen: das schneckenförmige Opernhaus, die Krankenstation, in der gerade ein Baby das Welt der Licht erblickt, die Schule, in der die Kinder sitzen und das Alphabet lernen, das Café. Fast wie auf einem Trip wirkt er, euphorisiert von seiner Vision, ein bisschen zappelig, immer die Handykamera in Aktion. „Das ist ein Traumland, das ist doch super“, sagt Schlingensief, und auch das Wort „toll“ fällt häufig. Francis Kéré, der Architekt des Operndorfs, sagt über Schlingensief: „Der rüttelte immer alles... der muss immer alles verrühren.“ Ein „Forschungslabor für die Aufhebung der Trennung von Kunst und Nichtkunst“ will das Operndorf sein – ein richtungsoffenes Projekt, das seit dem Tod Schlingensiefs von seiner Witwe Aino und dem Architekten Francis Keré fortgeführt wird. In der Zukunft soll es dann vor allem von den Menschen aus Burkina Faso selbst gestaltet werden, auch wenn die Autorschaft Schlingensiefs bislang noch allgegenwärtig ist. Sibylle Dahrendorf hat das Operndorf von der Suche des Orts im Mai 2009 bis zur Schuleröffnung im Oktober 2011 filmisch begleitet. Zu diesem Zeitpunkt ist der Künstler bereits tot, aber selbst da ist seine Präsenz weiterhin spürbar, wird lebendig gehalten in den Erzählungen und Liedern, die über ihn gesungen werden; gerade im letzten Teil bekommt der Film einen starken Hommage-Charakter. Doch auch wenn Sibylle Dahrendorf den Künstler durch die Montage immer wieder auferstehen lässt und sich seine Mitarbeiter sein Weiterleben ausmalen, hinterlässt die plötzliche Abwesenheit des dauergestikulierenden, sich in Rage redenden Künstlers eine Lücke, die melancholisch stimmt. „Knistern der Zeit“ gleicht mehr einem Making-of als einem Dokumentarfilm, der von außen auf das Geschehen blickt. Die Regisseurin ist „Part of the Team“, und eher selten verschiebt sie den Fokus von ihrem Hauptakteur auf anderes. Dabei sind gerade die Szenen an den Rändern aufschlussreich, wenn der Film etwa beiläufig die Gespräche der arbeitenden Frauen verfolgt und man etwas mitbekommt von dem Blick der Afrikaner auf das Treiben der Projektmacher und welche Erwartungen und Hoffnungen sie an das Operndorf knüpfen. Interessant wird es auch, als Schlingensiefs Ungeduld über die Arbeitsweise der Afrikaner aus ihm herausbricht. Dass einige der Bauarbeiter zusätzlich noch ihr Feld bestellen müssten, heißt es einmal, und an dieser Stelle hätte man gerne mehr über ihre Arbeits- und Lebensverhältnisse erfahren. Doch die postkolonialen Widersprüche und Kompliziertheiten werden in „Knistern der Zeit“ eher indirekt verhandelt. Während der Anfangsphase des Operndorfs entwickelte Schlingensief das Theaterstück „Via Intoleranza II“, das in Ausschnitten aus den Proben und der fertigen Inszenierung einen wichtigen Teil des Films ausmacht; hier findet sich der Diskurs, der bei der Entstehung des Operndorfs mitunter unartikuliert bleibt, stets aber im Raum steht. Schlingensiefs nervöse Handyfilme fließen als Material ebenfalls in den Film ein, aber auch sonst wird oft gezeigt, wie Leute filmen und fotografieren, mal mit dem Fotoapparat, mal mit dem Handy. Ein Traum von ihm sei es, sagt Schlingensief an einer Stelle, dass die Kinder ihre eigenen Filme machen und „in ihr YouTube“ einstellen. Inzwischen ist im Operndorf bereits eine Filmklasse entstanden. Ganz am Ende wird die Kamera dann von den Kindern übernommen: Die Bilder gehören jetzt ihnen.
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