Drama | Rumänien/Österreich 2010 | 87 Minuten

Regie: Bogdan George Apetri

Eine junge Frau, die eine mehrjährige Haftstrafe abbüßt, nutzt einen Freigang zur Flucht. Bevor sie das Land verlässt, will sie alte Rechnungen begleichen und die Weichen für die Zukunft stellen. Ein dem Realismus verpflichtetes Stationen-Drama, das durch ein postkommunistisches Rumänien führt, dessen Räume und Landschaften abweisend und trist erscheinen und in dem Gewaltstrukturen dominieren, denen sich die "Heldin" mit trotziger Renitenz entgegenstellt. Dank der präzisen Inszenierung und einer ausdrucksstarken Hauptfigur überzeugt der Film als sensible Charakterstudie wie auch als nüchternes Gesellschaftsbild. (O.m.d.U.) - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
PERIFERIC
Produktionsland
Rumänien/Österreich
Produktionsjahr
2010
Produktionsfirma
Saga Film/Aichholzer Filmprod.
Regie
Bogdan George Apetri
Buch
Bogdan George Apetri · Tudor Voican
Kamera
Marius Panduru
Schnitt
Eugen Kelemen
Darsteller
Ana Ularu (Matilda) · Andi Vasluianu (Andrei) · Ioana Flora (Lavinia) · Mimi Branescu (Paul) · Timotei Duma (Toma)
Länge
87 Minuten
Kinostart
12.07.2012
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Drama
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Diskussion
Ein Neuanfang als Flucht, das kann eigentlich nicht gut gehen. Schon gar nicht, wenn die Vergangenheit den Aufbruchplänen der handelnden Figur unaufhörlich ein Bein stellt wie in „Periferic“, dem Regiedebüt des Rumänen Bogdan George Apetri. Matilda heißt die Protagonistin, die zu Beginn für einen 24-stündigen Freigang aus dem Gefängnis entlassen wird. Zwei von insgesamt fünf Jahren ihrer Haftstrafe hat sie abgesessen, nun plant sie die Flucht. Ein Kontaktmann, der sie mit dem Schiff ins Ausland bringen soll, ist organisiert, doch zuvor hat die junge Frau noch einiges vor: alte Rechnungen begleichen, Vorkehrungen für die Zukunft treffen, die Trümmer ihrer Vergangenheit sortieren. Viel Zeit bleibt ihr dabei nicht. Nacheinander sucht sie ihren Bruder auf, mit dem sie zur Beerdigung der Mutter aufs Land fährt, ihren ehemaligen Geliebten und Zuhälter, schließlich den gemeinsamen, ins Waisenhaus abgeschobenen Sohn – eine modellhafte Reise, die in verdichteter Form einen Ausschnitt der rumänischen Gesellschaft, ihre sozialen Milieus und Gewaltstrukturen vorstellt. Von der offenen, aber seltsam unspezifischen Landschaft, die durch das verdruckst mit Ressentiments geladene Verhalten der Familie kaum weniger klaustrophobisch wirkt als die stickigen Innenräume der Stadt, geht es in düstere Flure und triste Hotelzimmer. Dort streitet Matilda mit Paul, ihrem Ex-Freund, um Geld, das ihr als Belohnung zusteht, weil sie für ihn unschuldig ins Gefängnis gegangen ist. Sie muss es ihm mühsam abkämpfen, bezahlt zunächst mit Sex, während ein Teil der Summe von zwielichtigen Anzugtypen stammt, an die Paul seine aktuelle Geliebte vermietet. Der Zirkulation des Geldes und der Waren haftet etwas ebenso Unvermeidliches wie Schuldbeladenes an; schon Toma, Matildas achtjähriger Sohn, ist viel zu früh in diesen Kreislauf geraten. Bei der „Warenübergabe“ bewegt sich der Film erneut aufs Land, in eine gesichtslose Landschaft abseits der Urbanität, eher Brache als Natur. Auch das Waisenhaus, in dem Matilda ihren Sohn Toma sucht, liegt in der Peripherie, die als ungeschützter, entgrenzter Raum inszeniert wird, fast wie im Western. „Periferic“ ist im Grunde ein Stationen-Drama bei tickender Uhr. Dass aus dieser etwas starren Konstruktion (jede Begegnung wird mit einem Zwischentitel eingeleitet, der Name und Uhrzeit angibt) keine vorhersehbare, abzuarbeitende Erzählung wird, sondern eine organische Geschichte entsteht, verdankt sich neben einer Inszenierung, die sich bei aller Determiniertheit des Plots viel Offenheit bewahrt, vor allem der starken Hauptfigur, die den Zuschauer auf ihre Reise mitnimmt, ohne ihn zu überrumpeln. Matilda begegnet der patriarchalen Gewalt mit wilder Entschlossenheit und Renitenz; ihre Weigerung, Opfer zu sein und das trotz der Erfahrung langjähriger Ausbeutung, hat sich fest in ihren Habitus eingeschrieben: ihren hastigen Schritt, die abweisenden Bewegungen, ihre burschikose Schroffheit, hinter der nur ab und zu Spuren von Zärtlichkeit und Sensibilität zum Vorschein kommen. In ihren suchenden Bewegungen empfindet die Kamera Matildas Unruhe und ihren Stress nach, erst in seinem letzten Bild kommt der Film etwas zur Ruhe. Ähnlich wie Christian Mungiu, dem Co-Autor der Geschichte, auf der das Drehbuch basiert, verfolgt Apetri einen nüchternen Realismus, gleichwohl ist sein Stil offener und weicher als der Mungius, der gelegentlich zu penetranter Elendsbeschreibung neigt. Mit seinem Zusammenspiel aus Charakterstudie und gesellschaftlichem Porträt eines post-kommunistischen Rumäniens fügt sich „Periferic“ prototypisch in die in den letzten Jahren auch abseits des Festivalbetriebs zu vermehrter Sichtbarkeit gekommene „Neue rumänische Welle“ ein. Auch wenn der Konstruktion einer „Anti-Heldin mit Auftrag“ inzwischen fast schon etwas Konventionelles anhaftet, gelingt es Apetri immer wieder, diese Figur neu zu beleben, etwa wenn Matilda im Zusammensein mit Toma momenthaft die ganze Schwere ihrer Vergangenheit ablegt. In einer beiläufig schönen Szene rauchen Mutter und Sohn zusammen eine Zigarette und blasen sich gegenseitig die Rauchschwaden ins Gesicht. Wie zwei gleichaltrige Kinder bei einem heimlichen Abenteuer.
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