This Ain't California

Dokumentarfilm | Deutschland 2012 | 99 (24 B./sec.) Minuten

Regie: Marten Persiel

Semidokumentarischer Film über einen jungen Mann, der in der DDR der 1980er-Jahre zur Subkultur der Skater zählte. Anlässlich seines frühen Todes als Soldat in Afghanistan erinnern sich zwei Freunde an die gemeinsame Zeit. Aus historischem Filmmaterial, privaten Super 8-Aufnahmen, reinszenierten Szenen und Animationen sowie einem furiosen Soundtrack setzt der Film nicht nur dem Protagonisten und einer Subkultur in der DDR ein Denkmal, sondern fängt am Beispiel einer besonderen deutsch-deutschen Geschichte das Lebensgefühl einer Generation ein. Dabei wird manches "Doku"-Material aus DDR-Tagen täuschend echt nachgespielt, ohne dass dies kenntlich gemacht würde. - Ab 16.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2012
Produktionsfirma
Wildfremd Prod./RBB ARTE/RBB/MDR
Regie
Marten Persiel
Buch
Marten Persiel · Ira Wedel
Kamera
Felix Leiberg
Musik
Lars Damm · Marten Persiel
Schnitt
Maxine Goedicke · Toni Froschhammer · Bobby Good
Länge
99 (24 B.
sec.) Minuten
Kinostart
16.08.2012
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Dokumentarfilm
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
DEAG Music (16:9; 1.78:1, DD5.1 dt.)
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Diskussion
„Ich möchte Teil einer Jugendbewegung sein“, hatte die Hamburger Band „Tocotronic“ 1995 gesungen. Das war ein Abgesang, ironisch gemeint und doch ein bisschen nostalgisch. Der Refrain wurde zum Schlachtruf einer Generation. Jugendbewegungen hat es auch in der DDR viele gegeben; die Bilder von Jugendweihen und Sportveranstaltungen sind hinlänglich bekannt: Gleichgeschaltete Inszenierungen im Gleichschritt. Bilder echter Jugendbewegungen, jugendlicher Subversion, sind dagegen rar. Marten Persiel zeigt sie in seiner aufregenden Filmcollage „This Ain’t California“. „Ich möchte mich auf euch verlassen können“, geht der Tocotronic-Song weiter. Auch darum geht es in Persiels Film. Der Regisseur, 1974 in Berlin geboren und in Hannover aufgewachsen, gehört im Übrigen genau zu jener Tocotronic-Generation: ein bisschen zu spät dran, um einer echten Jugendbewegung anzugehören, von der Zeit nach der Wende ernüchtert. Aber Persiel war ein Skater. Das verbindet ihn mit seinen Protagonisten: Sie waren jung, sie waren Skater und sie lebten in der DDR. Dort hießen sie, schön anti-imperialistisch eingedeutscht, Rollbrettfahrer. Denis ist tot. Er ist als Soldat in Afghanistan ums Leben gekommen. Seine Freunde von früher treffen sich auf seiner Beerdigung, sie hatten seit der Wende den Kontakt zu ihm verloren. Dann scharen sie sich ums Lagerfeuer und erinnern sich. Das ist die Ausgangssituation von „This Ain’t California“. Chronologisch wird die Geschichte einer Jungs-Freundschaft aufgerollt: Zunächst skaten die Drei in der Plattenbausiedlung in der Provinz. Als sie dann keine Kinder mehr sind, sondern Jugendliche, 16, 17 Jahre alt, gehen sie nach Ostberlin. Dort skaten sie auf dem Alexanderplatz, unter den skeptisch-bewundernden Blicken der Passanten, die Betonspitzen am Fuß des Fernsehturms abwärts und im Handstand auf dem Board quer über den Platz. Der Staat sieht zu und bleibt nicht tatenlos. Eine Frau spielt selbstverständlich auch noch eine tragende Rolle – sie kommt aus dem Westen. Denis war einer der drei Jungs. In Berlin hieß Denis dann „Panik“: Denn Panik, Rebellion, ist das Spezialgebiet des Jungen, den sein Vater zum Olympiaschwimmer drillen wollte. Der Regisseur kennt seine Vorbilder: Spike Jonze, Larry Clark, ein bisschen Gus Van Sant und „Paranoid Park“ (fd 38 716). Persiel hat zuvor Werbung gedreht, Video- und Skateclips. „This Ain’t California“ ist fulminant auf Musik geschnitten, gerade am Anfang fast ein bisschen überschwänglich – was aber letzthin auch zum skizzierten Überschwang passt. Wo Larry Clark seinen Latino-Skater-Film „Wassup Rockers“ (2005) semidokumentarisch inszeniert, ebenso wie der Argentinier Mariano Blanco 2010 seine Skater-Elegie „Somos Nosostros“, dreht Persiel den Spieß in seinem Kinodebüt gewissermaßen um und rekonstruiert, ausgehend von einer wahren Geschichte, semifiktional. Er ergänzt historisches Filmmaterial aus der DDR mit Super8-Material aus Privatarchiven, mit nachgedrehtem Super8-Aufnahmen, ohne dass er zwischen Fake und Dokument unterscheidet – auch der Zuschauer kann das nicht, zumindest nicht an allen Stellen. Im Film wird suggeriert, es handle sich im Wesentlichen um die privaten Aufnahmen eines der Freunde. Diese Grenzüberschreitungen wurde nach der Premiere auf der „Berlinale“ vielfach kritisch diskutiert. Das Einzige, was man den Machern in diesem Zusammenhang vorwerfen kann, ist, dass sie nicht wirklich transparent damit umgegangen sind – auch im aktuellen Presseheft nicht. Das wirkt dann ein bisschen so, als wären die reinszenierten Teile ein Manko, das man verschleiern müsste. Das sind sie aber keineswegs, ganz im Gegenteil: Diese Teile in Verbindung mit schönen Animationen ahmen gerade in der unmerklichen Inszenierung formal Erinnerungen nach – Erinnerungen bilden ja auch nie Realität ab, sondern sind subjektiv gefärbt. Der eingangs erwähnte Song von Tocotronic kommt im tollen Soundtrack nicht vor, dafür die melancholischen Lieder des amerikanischen Songwriters Troy Von Balthazar, eine sensationell sentimentale Coverversion von Alphavilles „Forever Young“ etwa; aber auch viel Musik aus den 1980er-Jahren: Anne Clarks Elektro-Klassiker „Our Darkness“ von 1984, die Skater-Hymnen der „Eight Dayz“, die Ärzte. „This Ain’t California“ trifft damit kongenial das Gefühl, wie es war (und wie es ist), jung zu sein: Rebellion – die Welt vibriert voller Möglichkeiten, Partys, Sex. So ist das in der DDR, so ist das in Kalifornien. Deshalb ist „This Ain’t California“ mehr als ein Film über Skater oder über eine einigermaßen exotische Subkultur in einem sozialistischen Staat. Mit nostalgischer Wucht appelliert „This Ain’t California“ an die kollektive Erinnerung, die hier aus einer ganz besonderen, deutsch-deutschen Geschichte erwächst.
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