Goldrausch - Die Geschichte der Treuhand

Dokumentarfilm | Deutschland 2011 | 98 (24 B./sec.)/95 (25 B./sec.) Minuten

Regie: keine Angabe

Dokumentarische Rekonstruktion der (Skandal-)Geschichte der Treuhandanstalt (1990-1994), der die Transformation der staatlich gelenkten DDR-Wirtschaft in marktwirtschaftliche Verhältnisse oblag. Der klug strukturierte, überaus informative Film lässt keinen Zweifel am Beutezug des organisierten Kapitalismus, bemüht sich aber um eine differenzierte Betrachtung und hebt neben prominenten Betrugsfällen vor allem auf eklatante Demokratie-Defizite der Wiedervereinigung ab. - Ab 16.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2011
Produktionsfirma
zero one film/SWR/NDR/MDR
Regie
keine Angabe
Buch
keine Angabe
Kamera
Thomas Plenert
Musik
Ulrike Haage
Schnitt
Andrew Bird
Länge
98 (24 B.
sec.)
95 (25 B.
sec.) Minuten
Kinostart
30.08.2012
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Dokumentarfilm
Externe Links
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Diskussion
Die Treuhandanstalt (1990– 1994) war ein Moloch. In der Wendezeit noch von der DDR-Regierung gegründet, um für die Volkseigenen Betriebe ein Auffangbecken zu schaffen, wandelte sich die gigantische Industrieholding nach der Währungsunion zum Hassobjekt vieler Ostdeutscher; in ihren Augen war die „Treuhand“ ein Synonym für den systematischen Ausverkauf der DDR. „Sanierung durch Privatisierung“, so die Marschroute des später von der RAF ermordeten Treuhand-Chefs Detlev Carsten Rohwedder, zog zumeist die Liquidation der technisch veralteten Unternehmen nach sich; in den viereinhalb Jahren ihrer Tätigkeit wurden 4000 Betriebe geschlossen; zweieinhalb Millionen Arbeitsplätze gingen verloren; ganze Regionen wurden in der Folge mehr oder minder deindustrialisiert. Als dann auch die Treuhand von der Bildfläche verschwand (jedoch unter der Bezeichnung „Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben“ munter weiteragierte), hatte sie einen Schuldenberg von 256 Milliarden Euro angehäuft; zuvor schon arbeiteten sich mehrere parlamentarische Untersuchungsausschüsse an Vorwürfen und Skandalen ab; Betrug, Korruption und kriminelle Machenschaften beschäftigten die Gerichte über Jahre hinaus. Aus dem Abstand von knapp zwei Jahrzehnten rekapituliert der Dokumentarfilm „Goldrausch“ die unglaubliche Geschichte der Treuhand mit einer (Über-)Fülle an historischem (Archiv-)Material und einer Handvoll nachdenklicher Gesprächspartner aus den Führungsetagen. Entgegen seines reißerischen Titels ist der Film aber durchaus um eine differenzierte Betrachtung bemüht, auch wenn an seiner kritischen Absicht, den Beutezug des organisierten Kapitalismus durch den Osten nachzuzeichnen, kein Zweifel besteht. Die Transformation der staatlich gelenkten Volkswirtschaft in ein marktwirtschaftliches System überforderte die Akteure: die Treuhand war personell wie materiell für diese gewaltige Aufgabe nicht gewappnet; die Banken hatten überdies ihre Pfründe schon abgesteckt, als die Treuhänder ihre Niederlassungen eröffneten; so wurde das gesamte Kreditvolumen der Wiedervereinigung beispielsweise vom Bund garantiert; die Geldhäuser trugen also keinerlei Risiko, strichen aber dennoch ungerührt marktübliche Zinsen ein; andere Großkonzerne (wie etwa die Hotelkette Steigenberger) hatten sich durch SED-Kader schon die Filetstücke unter den Nagel gerissen; skrupellose Makler und Manager fanden Wege und Mittel, Immobilien und andere Vermögenswerte in ihre privaten Portefeuilles zu transferieren. Der klug strukturierte, überaus informative Film wechselt kurzweilig zwischen individuellen Perspektiven, Einschätzungen und Erfahrungen und den harten politischen bzw. juristischen Fakten. Obwohl in der zweiten Hälfte vor allem prominente Betrugsfälle (etwa der räuberische Bankrott des VEB Wärmeanlagenbau oder die dubiosen Machenschaften rund um die Leuna-Affäre) die Schieflagen der ökonomischen Transformation illustrieren, treten auch strukturelle Defizite hervor: das enorme Tempo, mit dem die Treuhand die Unternehmen abwickelte, stand einer „treuhänderischen“ Prüfungen oder gar der Abwägung von Alternativen im Wege; die Delegation der politischen Verantwortung an eine aus dem Boden gestampfte „Black Box“, die ein ganzes Land ohne jegliche demokratische Legitimation an allen Parlamenten vorbei umgestaltet – und mithin die Kapitulation der politischen Klasse vor den grundlegenden Herausforderungen der Wiedervereinigung. Die Metapher vom Kriegszustand, die von mehreren Gesprächspartnern im Film bemüht wird, rekurriert im Kern auf eine gesetzlose Unordnung, die zwar der historischen Umbruchssituation geschuldet sein mochte, einem gefestigtes Staatswesen wie dem der Bundesrepublik aber retrospektiv (und mit Blick auf die aktuelle Euro-Debatte durchaus prophetisch) ein katastrophales Armutszeugnis ausstellt.
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