The Deep Blue Sea

Literaturverfilmung | USA/Großbritannien 2011 | 98 Minuten

Regie: Terence Davies

Im London der Nachkriegszeit verlässt eine Frau ihren Ehemann, einen Richter, um mit einem Ex-Piloten der Air Force zusammenzuleben. Das Glück, das ihr der Ausbruch aus der wohlsituierten, aber gefühlskalten Ehe und die neue Liebe verheißen, ist nur von kurzer Dauer. Elegische Passionsgeschichte einer Frau, die in den 1950er-Jahren eine erfüllte Liebesbeziehung jenseits moralischer Konventionen leben will, aber an vielfältigen Umständen scheitert. In dunklen Lichtstimmungen und matten Sepia-Tönen inszeniert, entfaltet sich der Film abseits einer konkreten Gesellschaftskritik als zeitloses Melodram über das Scheitern einer Liebe. - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
THE DEEP BLUE SEA
Produktionsland
USA/Großbritannien
Produktionsjahr
2011
Produktionsfirma
Camberwell/Fly Films/Film4/UK Film Council/Lipsync Prod./Protagonist Pic./Fulcrum Media Services/Artificial Eye
Regie
Terence Davies
Buch
Terence Davies
Kamera
Florian Hoffmeister
Schnitt
David Charap
Darsteller
Rachel Weisz (Hester Collyer) · Tom Hiddleston (Freddie Page) · Simon Russell Beale (Sir William Collyer) · Ann Mitchell (Mrs. Elton) · Jolyon Coy (Philip Welch)
Länge
98 Minuten
Kinostart
27.09.2012
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Literaturverfilmung | Melodram
Externe Links
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Diskussion
In „The Deep Blue Sea“ sind die beginnenden 1950er-Jahre vor allem eines: Nachkriegsjahre. Großbritannien steckt noch immer in einer posttraumatischen Lähmung, und selbst von London aus ist der Blick in die Zukunft verstellt; er scheint allein schon an den schweren Rauchschwaden abzuprallen, die in den überfüllten Pubs hängen, und an den festen Wollstoffen, die sich schon in kalten Kriegsnächten bewährt haben. Nach „Entfernte Stimmen – Stilleben“ (fd 27 151) und „Am Ende eines langen Tages“ (fd 29 953) wendet sich der 1945 geborene Terrence Davies erneut seiner Lieblings-Ära zu, der Zeit seiner eigenen Kindheit. Die Swinging Sixties mit ihren poppigen Farben liegen darin ebenso fern wie die sexuelle Befreiung und das Aufkommen des Feminismus. Dabei könnte Hester Collyer, die Hauptfigur des gleichnamigen Theaterstücks von Terence Rattigan aus dem Jahr 1952, sogar fast eine Vorbotin der weiblichen Selbstbestimmung sein – würde Davies ihren Bruch mit gesellschaftlichen Konventionen nicht so larmoyant und aufopferungsvoll in Szene setzen. Immerhin gibt die frustrierte Ehefrau des hohen Richters Sir William Collyer ihr privilegiertes Leben auf, um mit Freddie Page, einem ehemaligen Piloten der Royal Air Force, in einem schäbigen Zimmer in Untermiete zusammen zu leben. Bei ihm erfährt sie leidenschaftliche Liebe und sexuelle Erfüllung, aber auch eine Reihe von Enttäuschungen. Freddie kann sich von seinen traumatischen Kriegserinnerungen so wenig lösen wie von seinem Selbstverständnis als Pilot und Abenteurer; zudem interessiert er sich bald mehr für Golf und ausgiebige Trinkgelage als für die sich leidenschaftlich nach ihm verzehrende Geliebte. All das wird in Form von losen, assoziativen Rückblenden erzählt, die Hesters Erinnerungsnebel wiedergeben, während sie recht stilvoll auf den Tod wartet: Sie hat Tabletten genommen und den Gashahn aufgedreht; nun steht sie im Morgenrock rauchend am Fenster. „The Deep Blue Sea“ gehört zu jener Art von Gesellschaftsdramen, deren Grundlage eine höchst banale Geschichte bildet, die aber gerade dadurch das Potenzial für Gesellschaftskritik und die Zeichnung komplexer Sittenporträts besitzen, was im amerikanischen Kino auf kluge Weise Filmemachern wie Douglas Sirk und Todd Haynes gelungen ist. Ansätze für eine kritische Perspektive auf die britische Klassengesellschaft und auf die rigide Moral finden sich auch bei Terrence Davies. Wann immer William Collyers dünkelhafte Mutter auftritt, wird der Tonfall bissig: „Nimm dich vor der Leidenschaft in Acht“, rät sie ihrer Schwiegertochter, „sie führt immer zu etwas Hässlichem.“ Was sie denn an deren Stelle setzen würde, möchte Hester wissen – „Einen vorsichtigen Enthusiasmus.“ Doch Davies Interesse für das Verhältnis von gesellschaftlichen Beschränkungen und individuellen Handlungsräumen ist begrenzt. Seine Inszenierung hebt vor allem auf eine überzeitliche Bildererzählung über Liebe, Begehren und die Ästhetik des Leidens ab – eine ebenso elegische wie träge Passionsgeschichte, die ihre Form derart penetrant und geschmäcklerisch in den Vordergrund stellt, dass alles davon absorbiert wird. Der Regisseur und sein Kameramann Florian Hoffmeister haben sich für effektvoll verschwommene Bilder in Sepia-Farben und schummrigem Licht entschieden; zusammen mit der schwülstigen musikalischen Untermalung (das Konzert für Geige und Orchester von Samuel Barber) ergibt das ein ziemlich zähflüssiges Gemisch. Man kann buchstäblich nicht zu dem Kern des Ganzen durchdringen, was immer dieser auch sein mag.
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