Dokumentarfilm | Österreich 2012 | 91 (24 B./sec.)/88 (25 B./sec.) Minuten

Regie: Rainer Frimmel

Der Schauspieler Philipp Hochmair ist ein gefragter Theater-Star, der in seiner Kunst und den von ihm interpretierten Figuren vollständig aufgeht. Doch als ihm Walter Saabel die Hand hinhält und sich als sein Onkel vorstellt, lässt er den alten Mann in seine Wohnung und sein Leben. Ein spannendes semidokumentarisches Experiment auf der Grenze zwischen Improvisation und Inszenierung, Realität und Fiktion. Getragen von zwei außergewöhnlichen Protagonisten, entwickelt sich ein packendes Mit- und Gegeneinander, in dem Wahrheit und (Selbst-)Täuschung stets aus Neue ausgelotet werden müssen. - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
DER GLANZ DES TAGES
Produktionsland
Österreich
Produktionsjahr
2012
Produktionsfirma
Vento film
Regie
Rainer Frimmel · Tizza Covi
Buch
Rainer Frimmel · Tizza Covi · Xaver Bayer
Kamera
Rainer Frimmel
Schnitt
Emily Artmann · Tizza Covi
Darsteller
Philipp Hochmair (Philipp) · Walter Saabel (Walter) · Vitali Leonti (Victor)
Länge
91 (24 B.
sec.)
88 (25 B.
sec.) Minuten
Kinostart
26.09.2013
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
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Der unrasierte Kerl ist keine Schönheit, in seinem altmodischen, grün-grau karierten Anzug, der noch nach den Mottenkugeln aus der Kleiderkammer zu riechen scheint. Dennoch ist er offensichtlich mit den Passbildern zufrieden, die er eben aus dem Automaten zieht. Er setzt sich aufs Fahrrad und radelt über die zugefrorene Außenalster in Hamburg. Ein schon etwas aus der Mode gekommener Herr, der irgend etwas vor hat. Es vergehen zwei lange Tage, an denen man diese Gestalt als den Thalia-Schauspieler Phillip Hochmair kennen lernt, bis ihm in der Maske plötzlich die künstliche Halbglatze abgenommen wird – und hinter dem herzlos-rabiaten Hauptmann aus Georg Büchners „Woyzeck“ eine gutaussehende, grundsympathische Erscheinung zum Vorschein kommt, deren gewinnendes Lachen alle Türen öffnet. Doch Vorsicht ist geboten. Auch dieser Eindruck ist nur eine von vielen Momentaufnahme in einem semidokumentarischen Spielfilm, der auf den ersten Blick geradezu simpel erscheint, in Wahrheit aber das Verhältnis von Abbild und Wirklichkeit, Idee und Interpretation, Realität und Fiktion aufs Raffinierteste erkundet. Eines spielt in andere, so viel ist schnell klar, doch wo verlaufen die Grenzen? Und lässt sich, dies- und jenseits davon, überhaupt so etwas wie ein harter Grundbestand identifizieren? Hochmair ist wirklich er selbst: ein gefragter Theaterstar, der von den großen deutschsprachigen Bühnen umworben wird und bald in diese, bald in jene Rolle schlüpft, der gar nicht anders kann, als in wechselnden Gestalten sich ständig neu zu produzieren. Doch auch der zweite Protagonist, der italienische Artist, Messerwerfen und Bärenringer Walter Saabel, „spielt“ sich selbst. Seine gedrungene Gestalt und der in sich ruhende Habitus lassen freilich einen anderen Charakter vermuten, wenngleich auch bei ihm die Fantasie mit Anekdoten und Erzählungen bisweilen bunte Blüten treibt. Die fragmentarische Handlung des Films stammt hingegen vom österreichischen Regieduo Tizza Covi und Rainer Frimmel, die den beiden Männern eine Verwandtschaftsbeziehung andichteten und einzelne Wendungen vorgaben; der große Rest ist weitgehend Improvisation, die authentische Begegnung zweier recht unterschiedlicher Charaktere, in Hamburg und Wien über einen längeren Zeitraum von der Kamera begleitet und am Schneidetisch schließlich zu einem höchst anregenden Film verdichtet. Der rote Erzählfaden schickt Saabel nach Hamburg zu seinem unbekannten Neffen, angeblich um dessen Vater zu treffen. Der aber entzieht sich, was ihrer Annäherung durchaus zu Gute kommt, da sich beide in der Ablehnung von dessen bürgerlichem Dasein treffen. Ihr Ausgangspunkt könnte allerdings nicht unterschiedicher sein: Der ältere Schausteller entstammt dem Milieu der stets um seine Existenz bangenden Wanderartisten, während der agile, permanent unter Strom stehende Theaterstar aus dem Vollen schöpft. Daraus resultieren sehr unterschiedliche Haltungen und Ansichten, die sich in humorvollen, bisweilen fast kabarettreifen Disputen entfalten. Darin geht es häufig um Unabhängigkeit und Selbstbestimmung, aber auch um das Erlebnis, vom Publikum umjubelt zu werden. Den Erfolg des Künstlers, den aus Goethes Tasso entlehnten „Glanz des Tages“, definieren beide ganz unterschiedlich: Hochmair in der völligen Verschmelzung mit der Rolle, Saabel in der durchgehaltenen Konzentration beim Fischen – frenetischer Applaus, ein Fisch an der Angel. Bei aller filmästhetischer Einfachheit der klaren, ruhigen Bilder erschöpft sich die Erzählung nicht in biografischen Reminiszensen der beiden „Darsteller“, sondern sie öffnet die persönlichen Ebenen in immer komplexeren Wendungen auf grundsätzliche Fragen nach Selbstsein und Selbstinszenierung. Während nicht nur die Episode mit Hochmairs Burg-Statuette dessen Eitelkeit exponiert und die unermüdliche Schaffenskraft als eine Art Selbstflucht erahnen lässt, ringt Saabel mit den Geistern seiner entbehrungsreichen Kindheit, die in ungestillten Sehnsüchten weiterleben, in aber auch zu pragmatischen Handlungen motivieren. „Der Glanz des Tages“ ist ein bezwingend undramatischer, unaufdringlicher Film, der sich nicht scheut, hinter die Kulissen der Lebensbühnen seiner Protagonisten zu schauen, um die Ambivalenzen von Freiheit und antibürgerlichen Existenzentwürfen sichtbar zu machen.
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