Gangsterfilm | Südkorea 2012 | 107 Minuten

Regie: Ki-duk Kim

Ein junger Mann arbeitet als Geldeintreiber und verstümmelt oder verkrüppelt die Schuldner seines Auftraggebers, wenn sie nicht rechtzeitig zahlen. Seinen brutalen Abwehr-Mechanismen zum Trotz drängt sich eine ältere Frau in sein Leben, die sich als seine Mutter ausgibt. Allmählich stellt sich eine Nähe zwischen den beiden her; dann aber verschwindet die Frau, offensichtlich entführt von einem ehemaligen Opfer des Sohns. Zwischen realistischer, systemkritischer Milieuschilderung und spannender Gangstergeschichte entwirft der Film mit schonungslosem Blick auf die Leiden, die Menschen einander zufügen, ein zutiefst pessimistisches Bild kapitalistischer Ausbeutungsstrukturen, die selbst die existenziell menschlichen Beziehungen korrumpieren und vergiften. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
PIETA
Produktionsland
Südkorea
Produktionsjahr
2012
Produktionsfirma
Good Film/Finecut
Regie
Ki-duk Kim
Buch
Ki-duk Kim
Kamera
Jo Yeong-jik
Musik
Park In-young
Schnitt
Ki-duk Kim
Darsteller
Lee Jeong-jin (Lee Kang-do) · Cho Min-soo (Jang Mi-sun) · Woo Gi-hong · Kang Eun-jin · Jo Jae-ryong
Länge
107 Minuten
Kinostart
08.11.2012
Fsk
ab 16; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Gangsterfilm | Drama
Externe Links
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Heimkino

Neben den Standard-Disks (DVD & BD) zudem als BD-Special Edition erhältlich. Diese enthält als Bonus-Disk den Dokumentarfilm "ARIRANG" (90 Min.) von Kim Ki-duk.

Verleih DVD
Ascot Elite (16:9, 1.78:1, DD5.1 korea./dt.)
Verleih Blu-ray
Ascot Elite (16:9, 1.78:1, dts-HDMA korea./dt.)
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Diskussion

Wie viel Geld ist der Schmerz wert, den es verursacht, wenn eine Hand unter eine Stanzmaschine gerät? Oder wenn man sich beim Sturz aus einem Haus die Beine bricht? Es gibt einige Szenen in Kim Ki-duks Film, bei denen das Zuschauen zur Qual wird. Zwar wird die körperliche Beschädigung diesmal weniger en détail gezeigt als etwa in „Die Insel“ (fd 35 230), aber die Leiden, die Gewalt verursacht, werden drastisch genug vermittelt – sowohl der Schmerz der Opfer, die verstümmelt oder verkrüppelt werden, als auch ihrer Angehörigen, die mit den Opfern mitleiden oder am Ende gar um sie trauern müssen, sollten sich die Verletzungen als tödlich erweisen oder die Verstümmelten vor Verzweiflung in den Selbstmord getrieben werden. Grauenerregend ist das ganze Konstrukt, von dem der Film erzählt: Es geht um einen jungen Mann, der für einen Auftraggeber von dessen Schuldnern, vor allem Handwerkern in kleinen Manufaktur-Betrieben, Gelder eintreibt, indem er sie, meist mit ihren eigenen Werkzeugen oder Maschinen, verkrüppelt – nachdem die Männer zuvor eine Versicherung gegen Arbeitsunfälle abgeschlossen haben, deren Auszahlung nun dem Begleichen der Schuld dient. Es geht also um eine denkbar perfide Form von Raubtierkapitalismus im wahren Wortsinn, bei der die eine Partei aus Geld noch mehr Geld macht, während die andere letztlich alles verliert, weil sie mit der Arbeitsfähigkeit auch ihr einziges armseliges Kapital einbüßt. Lee Kang-do, der Schuldeneintreiber, ist kein typischer Schlägertyp, sondern mehr ein „eiskalter Engel“, ein schmaler Mann mit feinen Gesichtszügen, der sehr schön wäre, wäre da nicht der latente Zug von Abfälligkeit und Ekel um seinen Mund. „Pieta“ erzählt von der Läuterung dieses von seinen „Kunden“ mit gutem Grund als „Monster“ bezeichneten, gefühlskalten Mannes – und lässt doch am Ende wenig Grund zur Hoffnung auf ein Entkommen aus den fatalen Geld- und Gewaltzusammenhängen. In Lee Kang-dos Leben drängt sich eine rätselhafte, ältere Frau. Sie gibt sich als seine Mutter zu erkennen, die ihn als Baby verließ und dies nun gutmachen möchte. Der junge Einzelgänger wehrt sich gegen diesen Einbruch von Mutterliebe, mit der ganzen Brutalität, die er auch bei den Schuldnern anwendet – bis hin zur Vergewaltigung der Frau. Doch langsam gewöhnt er sich an ihre stille Präsenz, ihre Fürsorglichkeit sowie ihre offensichtlich durch nichts zu erschütternde Zuneigung und lässt sie Stück für Stück an sich heran. Und wird mit dieser emotionalen Nähe selbst verletzbar: Als die Frau plötzlich verschwindet und Lee Kang-do Anlass hat zu vermuten, dass eines seiner ehemaligen Opfer Rache für die Verbrechen des Sohns an ihr nehmen will, ist er völlig verzweifelt. Die christliche Bildfigur der „Pieta“, der um ihren gekreuzigten Sohn trauernden Gottesmutter Maria, auf die sich der Filmtitel bezieht, verliert bei der „Übersetzung“ in die Welt kapitalistischer Ausbeutung, die Kim Ki-duk vornimmt, weitgehend die im christlichen Kontext mitschwingende Erlösungsaussicht. Bei Kims „Pieta“ ist am Ende, nach einem grausamen Story-Twist, nicht viel da, was die Trauer lindern könnte: Auch die Mutterliebe, deren archaische Kraft zunächst einen positiven Gegenpol zu Geld und Gewalt zu verheißen scheint, erweist sich im Lauf des Films als vom Leid gewissermaßen verkrüppelt und entstellt, in etwas Böses verkehrt. Wenn ein Fünkchen Hoffnung bleibt, dann allenfalls im Leiden selbst: Dass da immerhin noch genug Menschlichkeit ist – oder im Fall Lee Kang-dos entsteht – , um umeinander zu bangen, sich zu sorgen oder zu trauern, ist der einzige Trost, den Kim Ki-duk lässt. Der „Goldene Löwe“, mit dem der südkoreanische Filmemacher 2012 in Venedig ausgezeichnet wurde, krönt ein Werk, mit dem sich Kim Ki-duk nach seiner in „Arirang“ (fd 40 866) dokumentierten Schaffenskrise als Autorenfilmer von Weltrang zurück meldet. Obwohl die Geschichte des Geldeintreibers und der Mutter in vielen Ländern spielen könnte, wie Kim in einem Interview betonte, und er ursprünglich in Europa mit Jude Law und Isabelle Huppert drehen wollte, sind es gerade die Einbettung in ein bestimmtes Milieu sowie die Zeichnung einer konkreten Lebenswelt, die dem Film jenseits der im Titel beschworenen symbolischen Ebene eine besondere Sinnlichkeit und Glaubwürdigkeit verschaffen. Gedreht wurde in Cheonggyecheon, einem Stadtteil Seouls, in dem Kim Ki-duk einen Teil seiner Kindheit verbrachte; die Nähe zu diesem Ort sowie den Lebensbedingungen der gegen die Verelendung ankämpfenden Arbeiter merkt man „Pieta“ an. Kim findet eine kongeniale Balance zwischen realistischer, systemkritischer Milieuschilderung, spannungsvoller Genre-Gangstergeschichte und einem allgemein gültigen, existenziellen Drama.

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