Drama | Deutschland 2012 | 90 Minuten

Regie: Sarah Judith Mettke

Nach Jahren der Abwesenheit tritt ein transsexueller Vater, der sich immer noch in seine weibliche Identität hineinlebt, wieder ins Leben seiner Tochter. Diese gerät darüber in Nöte, weil der Selbstentwurf des Vaters weder mit ihren männlichen noch den weiblichen Rollenvorstellungen kompatibel ist. Das von zwei überzeugenden Hauptdarstellern getragene Drama unterläuft geschickt transsexuelle (Film-)Klischees sowie jede Form von Thesenhaftigkeit. Ein ebenso kluger wie unaufdringlicher, subtil auf Zwischentöne setzender Film über eine außergewöhnliche Eltern-Kind-Beziehung. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2012
Produktionsfirma
teamWorx/Filmakademie Baden-Württemberg/SWR/BR
Regie
Sarah Judith Mettke
Buch
Sarah Judith Mettke
Kamera
Philipp Haberlandt
Musik
Chris Bremus
Schnitt
Kaya Inan
Darsteller
Luisa Sappelt (Maren) · Devid Striesow (Sophia) · Sandra Borgmann (Ulrike) · Fritzi Haberlandt (Silke) · Jan-David Buerger (Benny)
Länge
90 Minuten
Kinostart
22.11.2012
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Drama
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Diskussion
„Du bist zwangsemanzipiert“, bekommt Maren von Sophie, ihrem transsexuellen Vater, zu hören, als sie über dessen Rockfimmel herzieht und ihn auffordert, doch zur Abwechslung auch einmal eine Hose zu tragen. Die Kritik sitzt, bei beiden. Erst einige Tage zuvor hat Maren von Sophie einen Rock zum Geburtstag geschenkt bekommen. Natürlich gefällt er ihr nicht, was sie mit einer sparsamen, aber deutlichen Reaktion zum Ausdruck bringt. Einige Szenen später gehen die beiden in ein Kaufhaus, um das spießige Teil umzutauschen; Sophie macht ihrer Tochter zaghafte Angebote, hält ihr einen Pullover hin – wieder dieser Gesichtsausdruck. Man spürt: Das wird nichts. Doch an der Kasse, nachdem der Umtausch praktisch schon abgewickelt ist, entscheidet sich Maren plötzlich dafür, den Rock doch zu behalten. „Gefällt er dir jetzt doch?“, fragt Sophie erstaunt. Antwort: „Nö“. Es ist eine Szene der kleinen Gesten und verhuschten Blicke, unaufgeregt und dezent inszeniert, aber umso reicher an Bedeutungen, laufen hier doch alle Konfliktlinien des Films auf sehr kluge und feinsinnige Weise zusammen. Zum einen Marens pubertäre Identitätskrisen – ihre Unsicherheit mit ihrem Körper, mit Jungs, mit ihrer Position in der neu formierten Patchworkfamilie –, die sich in Sophies Bemühen widerspiegeln, alles richtig zu machen, um als Frau zu gelten; eine Identitätskrise anderer Art. Zum anderen das komplizierte Verhältnis zwischen Tochter und dem transsexuellen Vater, der ihr zwar kein Vater mehr ist, aus dem der Vater aber auch nicht gänzlich verschwunden ist. Überhaupt sind die Bilder, die die Menschen in „Transpapa“ von sich und anderen haben, in ziemlicher Verwirrung begriffen. „Wir wollten dein Männerbild nicht durcheinander bringen“, lautet etwa die Erklärung, warum die Eltern ihrer Tochter die Transsexualität des Vaters jahrelang verschwiegen haben. Als dieser nach acht Jahren Abwesenheit wieder in Marens Leben auftaucht, gerät dann aber doch weit mehr durcheinander als nur das Männerbild; denn wer ist diese noch nicht fertig entwickelte Frau mit Seitenscheitel, trutschigen Röcken und einer leisen, die tiefe Klangfarbe unterdrückenden Stimme, die von Bernd („Dein Vater“) als Person aus der Vergangenheit spricht? Mit lakonischem Humor erzählt Sarah Judith Mettke in ihrem Spielfilmdebüt von einer Begegnung, die alles gleichzeitig ist: sonderbar und aufwühlend, verunsichernd und enttäuschend, traurig, lustig und skurril, von Neugierde und Verstehenwollen getragen wie auch von Zurückweisung. Als Maren das erste Mal Sophie in einem Vorort von Köln besucht, überschreitet sie die Schwelle zu einem gleichermaßen spießigen und unkonventionellen Wunderland. Gemusterte Tapeten, Vorhänge, Blumenkränze, altertümliche Bilder und Gestecke – all das registriert Maren mit großem Befremden. Dabei nimmt die Kamera geschickt ihren Blick auf, wenn sie über das Interieur streift, als nähere sie sich einer exotischen Landschaft. Mit dem Besitzer des Hauses, einem alten, gesundheitlich angeschlagenen Herrn, führt Sophie eine Lebensgemeinschaft irgendwo zwischen echter Zuneigung und Dienstleistung – sie macht den Haushalt, dafür darf sie wohnen. Auch wenn gesellschaftliche Ächtungen und Sophies Stigmatisierung als „schräge Transe“ immer gegenwärtig sind – die Blicke der Nachbarn, das Getuschel ihres vorlauten Enkelsohns –, vertraut die Regisseurin eher auf Evidenzen als auf Verdichtung und Dramatisierung und umgeht damit auch die Überartikulierung, die dem Thesenfilm (was „Transpapa“ ausdrücklich nicht ist) allzu oft eigen ist. Trotz der Offenheit der Erzählung wird hier nichts künstlich verknappt. Wenn Sophie Maren fragt, ob sie ihr „Haare – Make-Up“ machen soll, dann spricht daraus der Wunsch, mit der Tochter etwas zu teilen – als Ex-Vater, Mutter oder auch einfach als Freundin. Denn Sophie ist in ihrer Rolle keineswegs gefestigt; sie kichert wie ein Teenager verschämt vor sich hin, um im nächsten Augenblick ganz mütterlich das Lieblingsessen der Tochter zuzubereiten – oder dieser mit leicht patronisierendem Unterton das Autofahren beizubringen. Dass der Film gerade in seiner offenen Struktur so schön aufgeht, verdankt sich auch dem Zusammenspiel der beiden Schauspieler: Devid Striesows unaufdringliches Spiel lässt zumindest für kurze Zeit all den entsetzlichen Transen-Klamauk vergessen, den das deutsche Kino in der Vergangenheit verbrochen hat; und Luisa Sappelt, die schon in Maria Speths „Madonnen“ (fd 38 479) in einer kleinen Rolle auffiel, ist in ihrer Mischung aus Muffigkeit und Melancholie einfach nur wundervoll. Ihr kaum merkliches Schulterzucken, ihr fragendes Gesicht, ihre „Nö“ und „Hmmm“ sagen mehr als viele Worte. „Transpapa“ läuft am 5.12. ebenfalls in der Reihe „Debüt im Dritten“ im SWR Fernsehen (22 Uhr).
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