Dokumentarfilm | Schweiz 2012 | 90 Minuten

Regie: Manuel von Stürler

Zwei Wanderhirten, ein älterer Mann und eine junge Frau, treiben eine Schafherde über Monate hinweg durch die verschneite Westschweiz, um die Tiere ihrer Bestimmung zuzuführen - dem Schlachthof. Ein stilvoller Dokumentarfilm mit beeindruckenden Winterimpressionen, dessen Protagonisten jedoch fremd bleiben. Auch die Gründe für ihren Beruf und ihre Motivation werden nur wenig ausgeleuchtet. (TV-Titel: "Hirtenwinter") - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
WINTERNOMADEN | HIVER NOMADE
Produktionsland
Schweiz
Produktionsjahr
2012
Produktionsfirma
Louise Prod./Radio Télévision Suisse/TSR/SRG SSR idée suisse/ARTE
Regie
Manuel von Stürler
Buch
Claude Muret · Manuel von Stürler
Kamera
Camille Cottagnoud
Musik
Olivia Pedroli
Schnitt
Karine Sudan
Länge
90 Minuten
Kinostart
20.12.2012
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
Neue Visionen (16:9, 1.85:1, DD5.1 frz.)
Verleih Blu-ray
Neue Visionen (16:9, 1.85:1, DD5.1 frz.)
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Diskussion

Carole und Pascal stehen harte Wochen bevor. Sie treiben eine beachtliche Schafherde quer durch die Westschweiz und haben am Ende ihres Weges rund 400 Kilometer zurückgelegt, wenn sie die Frühjahrslämmer nach der winterlichen Wanderung ihrer eigentlichen Bestimmung zuführen: der Schlachtung fürs Weihnachts- oder Neujahrs-Festmahl.

Manuel von Stürlers Film präsentiert eine archaisch anmutende Weltperspektive, in der Hunde, Esel und natürlich die Schafe zum Alltag gehören, und er stellt zwei Menschen vor, die Wind und Wetter trotzen, um ihrer Aufgabe gerecht zu werden. Die Hirten übernachten trotz bitterer Kälte zumeist unter freiem Himmel, sind noch vor den Tieren auf den Beinen und scheuen keine Mühen, um sie zu den spärlichen Weidegründen zu führen. Denn es dürfen nur abgeerntete Felder aufgesucht werden; Bauern, die ihre Neusaat schon ausgebracht haben, reagieren wenig freundlich auf die Herde.

Doch in den meisten Fällen herrscht Einvernehmen, wird Gastfreundschaft gewährt, und auch das Weihnachtsfondue im Kreise einer Bauernfamilie scheint nichts Außergewöhnliches zu sein. Dann neigt sich der Treck, in dessen Verlauf immer mehr Tiere verschwinden, weil sie unterwegs vom Schlachter abgeholt werden, seinem Ende zu; die beiden Hirten gehen wortkarg auseinander, genauso, wie sie sich in den vergangenen vier Monaten untereinander verhalten haben, gegeneinander verschlossen, mitunter etwas feindselig.

„Winternomaden“ ist ein Film, der vielen Nostalgikern aus dem Herzen spricht, da er Lagerfeuer-Romantik und eine relative Freiheit von ökonomischen Zwängen vor Augen führt. Er zeigt eine recht hübsche junge Frau mit Rotkäppchen-Strickmütze und einen älteren Herren mit traditionellem Filz-Hirtenhut, wobei er über weite Strecken das Verhältnis der beiden geschickt verschleiert. Ein Paar, das seiner gemeinsamen Profession frönt, ein Liebespaar, das ein kurzes Glück in einer archaischen Lebensweise sucht? Die Antwort ist wesentlich einfacher und wird spät nachgereicht: Ein Wanderhirte, der noch 20 Jahre zu wandern hat und um das Ende seiner Zunft weiß, und sein Lehrling, der von der Profession letztlich aber nicht so recht überzeugt zu sein scheint. Während Pascal dem Verladen der Tiere teilnahmslos zuschaut, geht Carole die Sache sichtbar an die Nieren, zumal ihr das Leitschaf der Herde während der vier Monate ans Herz gewachsen ist.

„Winternomaden“ ist ein wohlkalkulierter, wenngleich kein überwältigender Dokumentarfilm, der mit faszinierenden Bildern winterlicher Landschaften aufwartet, aber in Bezug auf das gewöhnliche „Hirtenleben“ nichts Neues bringt. Zumal dieses Sujet im Schweizer Film durchaus Tradition hat und vielbearbeitet ist: Erich Langjahrs „Hirtenreise ins dritte Jahrtausend“ (2002) schildert das weit beeindruckender, und Jacqueline Veuve hat den Thema einen Teil ihrer Lebensarbeit gewidmet. Dass „Winternomaden“ zum gefeierten Großereignis wurde, ist bei allen Vorzügen nicht ganz nachvollziehbar. Das Hauptproblem des Films liegt darin, dass der Regisseur betont entspannt und zugleich doch verzweifelt die Nähe zu seinen wortkargen Protagonisten sucht, ohne einen rechten Zugang zu ihnen zu finden. Man redet – wenn überhaupt – aneinander vorbei und geht seiner Wege.

Was bei Langjahrs „Hirtenreise“ funktionierte, weil der Film in den Jahreskreis der Sennerfamilie eingebettet ist, gerät in „Winternomaden“ an Grenzen, da die Motivation der Protagonisten nebulös bleibt. Sind es romantische Anwandlungen, die an eine gute, alte, harte Zeit gemahnen, Gefühle oder Abenteuerlust, die Pascal und Carole durch die winterliche Westschweiz treiben, Vorstellung von einem selbstbestimmten Leben in einer fremdbestimmten Welt? Darauf gibt der Film keine Antwort, sondern belässt es bei gefälligen Bildern.

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