Staub auf unseren Herzen

Drama | Deutschland 2012 | 91 (24 B./sec.)/87 (25 B./sec.) Minuten

Regie: Hanna Doose

Eine alleinerziehende Berliner Schauspielerin Anfang 30 hangelt sich von Casting zu Casting, finanziell unterstützt von ihrer Mutter, einer erfolgreichen Psychologin. Eine gemeinsame Wohnungsrenovierung steigert sich zur nervenaufreibenden Machtprobe mit schmerzhaften Anspielungen und Psychotricks, bis sich das zunehmend implodierende Verhältnis in einem regelrechten körperlichen Schlagabtausch entlädt. Ein hellsichtiges, über weite Strecken improvisiertes Familiendrama, das von der meisterlichen Konfrontation zweier überragend agierender Ausnahmeschauspielerinnen lebt. Der subtile Psychokrieg erweist sich zugleich als prägnante Abrechnung einer "verlorenen Generation" mit ihren ewig jungen Eltern. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2012
Produktionsfirma
Deutsche Film- und Fernsehakademie Berlin (dffb)/Team ZuckerDoose
Regie
Hanna Doose
Buch
Hanna Doose
Kamera
Markus Zucker
Musik
Florian Loycke · Stephanie Stremler
Schnitt
André Nier
Darsteller
Susanne Lothar (Chris) · Stephanie Stremler (Kathi) · Michael Kind (Wolfgang) · Oskar Bökelmann (Gabriel) · Luis August Kurecki (Lenni)
Länge
91 (24 B.
sec.)
87 (25 B.
sec.) Minuten
Kinostart
24.01.2013
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Drama
Externe Links
IMDb | TMDB

Heimkino

Verleih DVD
Lighthouse (16:9, 1.78:1, DD5.1 dt.)
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Diskussion
Sie solle das Kleid kaufen, die Farben seien doch positiv, meint die Mutter herrisch zu ihrer Tochter, die in der Umkleidekabine an dem ausufernden Schnitt verzweifelt. Dann bricht die Mutter, gerade noch überlaut telefonierend, in Tränen aus. Es gehe gleich vorbei, sie habe schlicht mit zu vielen kranken Menschen zu tun, würgt sie heraus. Das glaubt man der Psychologin sofort, schließlich zeigt die Lebensberaterin alle Anzeichen einer „déformation professionelle“. Wie Susanne Lothar in ihrer letzten Rolle und die noch junge Stephanie Stremler diese einführende familiäre Konfrontation auf Augenhöhe meistern, ist ein berauschender Anblick. Zwei in ihrer Mimik und Stimmarbeit eigenwillige Ausnahmeschauspielerinnen, die trotz des gänzlich unterschiedlichen Stadiums ihrer Karriere im Doppelpack einen faszinierenden Sog entwickeln. Die Gründe für die spannungsgeladene Familienaufstellung liefert der großartig improvisierte dffb-Abschlussfilm von Hanna Doose entlang von ökonomisch eingestreuten und unaufdringlich gefilmten Alltagsszenen. Chris (Susanne Lothar) begegnet in ihrer Praxis Doppelgängerinnen der seltsam kindlich, in ihrer Entwicklung fast schon gestört wirkenden Tochter, typischen Berliner Langzeit-Kreativen, die es nicht schaffen, ihre Selbstverwirklichungspläne Realität werden zu lassen. Sie leiden an Schreibblockaden, Talentlosigkeit oder den lähmenden Erwartungen anderer. Kathie, gespielt von Stephanie Stremler, die in Andres Veiels „Die Spielwütigen“ (fd 36 511) und „Wer wenn nicht wir“ (fd 40 332) aufgefallen ist, muss ihrem immer noch vagabundierenden Musiker-Vater nach Jahren der Abwesenheit unter die Arme greifen, als dieser nach Berlin zurückkehrt und sich in ihre gerade von der Mutter gekaufte Wohnung einquartiert. Keine optimale Lösung, zumal seine ihm in Hass verbundene Ex-Frau direkt darüber wohnt. Dabei schlägt sich die zwischen bedrückt und aufgesetzter Lebensfreude schwankende Kathi selbst als alleinerziehende Mutter durch, auf der Suche nach einem Schauspiel-Engagement, das sich trotz Unterricht, Off-Theater und Filmcastings nicht einstellen will. Als der unerwünschte Zwischenmieter das Kriegsfeld räumt, beginnen die beiden Frauen mit der Renovierung, die sich zu einer nervenaufreibenden Machtprobe steigert. Chris überlässt nichts dem Zufall, setzt bei der winzigsten Entscheidung ihren Willen durch und stilisiert sich sogar zur besten Freundin des Enkels. Ihre Rivalin kontert mit schmerzhaften Anspielungen auf die Affären des Vaters. Erst das Verschwinden des Kindes auf einem Wochenmarkt besänftigt zeitweilig die Fronten. Allerdings nutzt Chris die Krise, um den wieder aufgetauchten Jungen ganz für sich zu beanspruchen. Der Satz, „Du bekommst dein Leben nicht in den Griff“, hätte die an ihren künstlerischen Fähigkeiten zweifelnde Tochter seelisch eigentlich abstürzen lassen müssen. Doch stattdessen mobilisiert die ihre Kräfte und lässt sich sogar auf ein perfides Rollenspiel ein. Die Therapiesituation gerät unter der suggestiven Gesprächsführung zu einer vernichtenden Selbstanalyse der unterlegenen „Patientin“. Chris, die sich an sinnentleerten Tagesritualen festhält, verteidigt mit Psychotricks ihre dominante Stellung in einem zunehmend implodierenden Verhältnis, das sich schließlich in einem regelrechten körperlichen Schlagabtausch entlädt – ein auch für den Zuschauer befreiender Ausbruch, dem endlich die konsequente Abnabelung folgt. Die besiegte Übermutter, Monster und Opfer zugleich, bleibt nach einem letzten gescheiterten Übergriff mit ihrem Kontrollwahn und der nie abgeschlossenen Vergangenheit allein, gezeichnet von einer versteinerten Maske, hinter der sich in der finalen Nahaufnahme Abgründe auftun. Ein bewegend stiller Abschied von einer überragenden und viel zu früh verstorbenen Actrice Susanne Lothar und eine bemerkenswerte Abrechnung einer „Lost Generation“, die ihre ewig jungen Eltern erst mühsam disziplinieren muss, um die eigene überlange Pubertät beenden zu können.
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