- | Türkei 2012 | 104 (24 B./sec.)/100 (25 B./sec.) Minuten

Regie: Sermiyan Midyat

Nach dem Tod des weisen Gemeindevorstehers übernimmt dessen Ehefrau Mitte der 1950er-Jahre dessen Amt und kämpft mit Witz und weiblicher Intuition gegen Geschäftemacherei, Betrug und Missgunst. Obwohl sie weder schreiben noch lesen kann, bringt sie die Männergesellschaft auf Trab, um die Wasserversorgung des südosttürkischen Dorfs zu sichern und Frauen vor der Zwangsheiratet zu bewahren. Eine emanzipatorische Komödie als Mischung aus bissigem Humor, brechtscher Ethik und Ethno-Musical, die einer patriarchalen Gesellschaft mit den Mittel des Trivialhumors den Spiegel vorhält, ohne ihrerseits trivial zu sein. (O.m.d.U.) - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
HÜKÜMET KADIN
Produktionsland
Türkei
Produktionsjahr
2012
Produktionsfirma
BKM
Regie
Sermiyan Midyat
Buch
Sermiyan Midyat
Kamera
Haik Kirakosjan
Musik
Cem Yildiz
Schnitt
Mustafa Preseva · Çagri Türkkan
Darsteller
Demet Akbag · Sermiyan Midyat · Mahir Ipek · Gülhan Tekin · Burcu Gönder
Länge
104 (24 B.
sec.)
100 (25 B.
sec.) Minuten
Kinostart
31.01.2013
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
BKM (16:9, 1.78:1, DD5.1 türk.)
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Diskussion
Vor zwei Jahren machte der populäre kurdischstämmige Schauspieler Sermiyan Midyat mit der Culture-Clash-Komödie „Ay Lav Yu“ (fd 39 810) auf sich aufmerksam. Für seine zweite Arbeit als Autor und Regisseur verschlug es ihn jetzt erneut in den Südosten der Türkei, in ein kleines, gottverlassenes Dorf, in dem Moslems, Jeziden und Aramäer gemeinsam um Regen beten. Und wieder zündet seine lautstarke, aber wohldosierte Mischung aus Trivialhumor und Aufklärung. Dabei wird man zunächst auf eine harte Geduldsprobe gestellt. Die redseligen Zoten, mit denen die wichtigsten Charaktere – und davon gibt es in einem kurdischen Dorf nicht wenige – eingeführt werden, entstammen eher lausigen Stand-up-Shows als der hohen Schule der Dramaturgie. Doch als es nach etwa einer Viertelstunde so richtig los geht, mit dem Unfalltod des weisen Aziz Veysel, kennt man sich bestens aus in diesem in den Wüstenstaub gebauten Mikrokosmos aus Geschäftemacherei, Ehebetrügereien, Intrigen und Toleranz. Die zählte, neben dem Kampf ums überlebensnotwendige, in den heißen Sommermonaten aber kaum vorhandene Wasser, zu den Zielen des Verstorbenen. „Die Welt wird erst durch die, die nicht deinesgleichen sind, schön“, schrieb der Bürgermeister seinen Nachkommen ein Plädoyer für ethnische und religiöse Vielfalt ins Vermächtnis; immerhin spielt „Hükümet Kadin“ im Jahre 1956, kaum ein Jahr nach den Pogromen gegen Griechen, Armenier und Juden in Istanbul, Izmir und Ankara. Nach dem Tod ihres Dorfvorstehers steht die Gemeinde vor der Aufgabe, einen neuen Bürgermeister zu bestimmen. Doch Aziz Veysels Söhne streiten lieber um die Macht, als die damit verbundene Verantwortung zu übernehmen, und so wird die zum Dorfoberhaupt bestimmt, die im Hause stets das letzte Wort hatte: Xate, die Ehefrau des Verstorbenen. Wortwitzig mischt Xate, die weder lesen noch schreiben kann, die Männergesellschaft des Dorfes auf, verweigert einer Zwangsheirat den amtlichen Segen, bringt die Arbeiter auf Trab, die die neue Wasserleitung bauen sollen, und versteckt die Mädchen, die vor brutalen Ehemännern und ungewollten Eheschließungen ihr Zuhause verließen. Ein Stoff, aus dem viele politisch so korrekte wie voraussehbare Dramen gemacht hätten. Nicht so Sermiyan Midyat, der seine Xate augenzwinkernd als omnipräsente Dampfwalze inszeniert und, nicht weniger augenzwinkernd, überdies in die Rolle des hinterlistigen Super-Machos Furat schlüpft, der versucht, mit allerlei Intrigen die Macht der Männer zu retten. Vergebens: Am Ende dieser Kolportage aus bissigem Humor, Ethno-Musical und Brecht’scher Epik fließt das Wasser ins Dorf, Xate hat ihre Macht gefestigt und die Würde der Frauen erkämpft. Damit wäre alles gut, würde „Hükümet Kadin“ nicht in der Türkei spielen, in der es 1960, vier Jahre nach der Ernennung von Xate zur Bürgermeisterin, einen Militärputsch gab. Der befreiende Aufschrei – nur ein Sommermärchen? Mit dem ernüchternden Ende seiner anarchischen Emanzipationskomödie fordert Midyat zum Handeln auf, holt den Zuschauer aus den 1950er-Jahren unmissverständlich in die zeitgenössische Gesellschaft zurück, in der Zwangsheirat, ethnische Konflikte und sexistische Machtpoker noch immer an der Tagesordnung sind. Wie er dieser Gesellschaft, nicht nur in der Türkei, mit den Mitteln des Trivialhumors, ohne trivial zu sein, beschwingt und bisweilen mit großen Emotionen einen Spiegel vorhält, gebührt großer Respekt.
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