Life According to Agfa - Nachtaufnahmen

Drama | Israel 1992 | 103 Minuten

Regie: Assi Dayan

Eine bunt zusammengewürfelte Menschenschar versammelt sich in einer kleinen Bar in Tel Aviv und durchlebt eine turbulente Nacht voller Aggressionen, aber auch kleiner Hoffnungsschimmer. Im Morgengrauen bereitet ein Trupp Soldaten dem Treiben ein blutiges Ende. Ein gleichnishaft angelegter Film, der "Moment- und Nachtaufnahmen" einer zerrissenen Gesellschaft zeigt, die an ihrer eigenen Aggressivität zugrunde geht. Die kritische Studie bleibt zwar in Ansätzen stecken, ihre Wirklichkeitsbeschreibung gibt jedoch Anstöße zur Auseinandersetzung. (O.m.d.U.; TV-Titel: "Das Leben wie von Agfa bezeugt")
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Filmdaten

Originaltitel
LIFE ACCORDING TO AGFA
Produktionsland
Israel
Produktionsjahr
1992
Produktionsfirma
Moviez
Regie
Assi Dayan
Buch
Assi Dayan
Kamera
Yoav Kush
Musik
Naftali Alter
Schnitt
Zohar Sela
Darsteller
Gila Almagor (Dalia) · Irit Frank (Leora) · Shuli Rand (Benny) · Avital Dicker (Riki) · Barak Negbi (Sammy)
Länge
103 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 16; f
Genre
Drama
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Diskussion
Leora ist Hobbyfotografin und steht hinter dem Tresen des "Barbie", einer Kneipe in Tel Aviv. Mit ihrem lichtempfindlichen Schwarzweißfilm von Agfa fotografiert sie die Angestellten und Gäste in einer denkwürdigen Nacht. Doch wenn sie abdrückt, zeigt das angehaltene Bild des ebenfalls in Schwarz-weiß gedrehten Films die Szene etwas anders. Das Geschehen ist mit dem Foto nicht identisch, eher schon entstehen die Fotos in einer Gegenbewegung zu dem, was im Film geschieht. Diese Gegenbewegung lenkt den Blick nicht nur auf eine allgemeine Differenz zwischen Foto und Film (das Foto ist immer Vergangenheit, der Film immer Präsenz) oder auf das, was die Fotografie im Film bewirken kann (mitten im imaginären Geschehen einen Moment der Konkretion, eine Art dokumentarischen Augenblick zu schaffen), sie bezeichnet vor allem innerhalb der erzählten Geschichte den Widerstand einer Figur gegen die Unaufhaltsamkeit eines Geschehens, das mit einem Insert zu Beginn auf "ein Jahr später" terminiert ist. Da dieses Jahr später im Film selbst keinerlei Referenz erfährt, werden die Fotos zu seiner einzig möglichen Vergangenheit, woraus paradoxerweise folgt, daß die Fotos eine Zukunft haben, die Menschen aber nicht.

Die Geschichte von "Nachtaufnahmen" ist eine Parabel, ein Gleichnis auf die Gesellschaft Israels. In einem Nachtlokal stossen die verschiedensten Menschen und Machtgruppen dieser Gesellschaft aufeinander. Dalia, die Besitzerin, die morgens mit einem fremden Soldaten erwacht, weil der Mann, den sie liebt. über Nacht nicht bei ihr bleiben kann. Eli, ihr Geliebter, der nicht nur verheiratet ist, was sie weiß, sondern Krebs hat und bei seiner Familie sterben wird, was sie noch nicht weiß. Leora, die mit Benny zusammenlebt, einem Polizisten aus dem Drogendezernat, der im Dienst wegen seiner Alleingänge schon negativ aufgefallen ist und jeder Frau nachstellt. Die von ihrem Mann und Sohn getrennte Riki. die depressiv und selbstmordgefährdet ist. und deren Therapeut ihr ein paar Pillen und den Rat gibt, in der Nacht nicht allein zu bleiben. Eine Gruppe Soldaten, die ihren verletzten Vorgesetzten im Krankenhaus besucht.

Nach und nach bevölkert sich die Bar. Mit der drogensüchtigen Kellnerin, die glücklich ist über ihr Visum für die USA, wo die Drogen billiger sind. Mit Sammy, dem arabischen Koch, der eine Kopfverletzung hat und jedem eine andere Version erzählt, woher. Mit Cherniak, dem Sänger und Pianisten, der alle Ereignisse sofort in ein Lied umsetzt. Mit den Soldaten, dem Polizisten, dem arbeitslosen Trinker, mit Dalia, Eli, Leora und all den anderen. Und Leora fotografiert in einer Gegenbewegung zu dem. was noch geschehen wird.

Als erste randalieren die Soldaten. Sie grölen und lassen sexistische Sprüche ab. Benny wartet auf einen dienstlichen Einsatz. Die Kellnerin kotzt und kokst. Riki kommt herein und die Soldaten grapschen nach ihr. Benny spielt den Kavalier, nur um sie selbst zu verführen. Der Pianist improvisiert seine Lieder. Benny zersticht den Soldaten die Autoreifen. Er schläft mit Riki und versaut seinen Einsatz. Als er duscht, merkt er nicht, daß sie sich aus dem Fenster stürzt. Ungerührt geht er in die Bar zurück, deren Name "Barbie", wie Dalia sagt, "Irrenhaus" heißt. Die Soldaten müssen gehen und sinnen auf Rache. Arabische Juden machen Krawall und fordern arabische Musik. Alle fallen über Sammy her. Dalia erfährt die Wahrheit über Eli, Leora über Benny und Riki. und am Ende, es ist schon fast Tag, da kommen die Soldaten zurück, und ein Gemetzel beginnt, das kein einziger überlebt. In Leoras Wohnung hängen die schwarzweißen Fotos, und Tel Aviv, von ihrem Fenster aus gesehen, ist auf einmal farbig.

Nachdem bisher die Außenräume so eng waren wie das Innere der Kneipe, ist dieser einzige Ausblick in "Nachtaufnahmen" ein bezeichnend menschenleerer Schwenk über die Dächer der Stadt. Wenn von den Menschen einmal mehr als ihre Fotos bleiben soll, scheint Dayan zu sagen, müssen sie ihre Institutionen reformieren, und ganz besonders das Militär. Israel erscheint in seinen "Nachtaufnahmen" nicht nur als kriegerische Gesellschaft, die vom Konflikt ethnischer Differenzen und einer Abhängigkeit von Amerika geprägt ist, sondern auch als machistische Gesellschaft, in der die Frauen die Opfer sind und die Männer die Täter, deren Taten um so schlimmer werden, je mehr sie ihre Macht vom Staat beziehen. Der eigenmächtig und selbstsüchtig agierende Polizist und die wildwütig gewordenen Militärs überschreiten die Grenzen der ihnen von ihren Institutionen übertragenen Legitimation, und diese Verselbständigung der Macht endet tödlich. Assi Dayan hat in seiner Kritik an Deutlichkeit nicht gespart, und als Israeli, Ex-Soldat und Sohn des Kriegshelden Mosche Dayan wird er wissen, wovon er spricht.
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