Dokumentarfilm | Algerien/Frankreich/VR China/Kuwait/Deutschland/Großbritannien 2012 | 83 Minuten

Regie: Damien Ounouri

Der Filmemacher und sein Großvater En Hadi reisen von Algerien nach Frankreich, wo der alte Mann in den 1950er-Jahren als Untergrundkämpfer der algerischen Befreiungsfront FLN agierte. An den Orten von Repression, Folter und Gewalt erinnert er sich an die dunkle Vergangenheit und stellt sich den Licht- und Schattenseiten des Guerillakampfes. Dabei geht es dem Dokumentarfilm nicht darum, zu bewerten oder die Geschichte umzuschreiben, sondern um eine behutsame Erinnerungsarbeit. Als eindrucksvolle Gratwanderung zwischen Gegenwart und Vergangenheit zeugt er vom positiven Wandel von Menschen und Zeiten. (O.m.d.U.) - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
FIDAÏ
Produktionsland
Algerien/Frankreich/VR China/Kuwait/Deutschland/Großbritannien
Produktionsjahr
2012
Produktionsfirma
Kafard Film/Xstream Pic./Cirta Films/mec film/Linked Prod.
Regie
Damien Ounouri
Buch
Damien Ounouri · Linda Amiri
Kamera
Matthieu Laclau
Musik
Houria Aichi Alla · Smaïl Benhouhou · Youssef Dhafer · Hasna El Becharia
Schnitt
Matthieu Laclau · Mary Stephan
Länge
83 Minuten
Kinostart
16.05.2013
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Dokumentarfilm
Externe Links
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Diskussion
Ein alter Mann tritt eine Reise in seine eigene Vergangenheit an. Mehr als 50 Jahre nach der Unabhängigkeit Algeriens setzt er sich mit Licht und Schatten, mit Theorie und Praxis des antikolonialen Befreiungskampfes auseinander. „Fidai“, das bedeutet auf Arabisch Kämpfer, bewaffneter Kämpfer. Im gleichnamigen Dokumentarfilm fährt der Regisseur Damien Ounouri mit seinem 70-jährigen Großonkel an die Orte von Repression, Folter und Widerstand, was zur Reise in dunkle Seiten der Vergangenheit wird, aber auch eine Annäherung zweier Generationen über die Erinnerung möglich macht. Der Film rekonstruiert unbequeme Zeitgeschichte über ein persönliches Schicksal, erzählt vom Terror der Kolonialmacht, von Verhaftungen und Erschießungen, von Gewalt und Gegengewalt, Verrat und Fememorden. Ein grauhaariger, gebeugter Mann mit freundlichen Augen erinnert sich lebhaft an den Widerstand, an Repression und Gewalt. En Hadi, der Onkel des algerischen Regisseurs Damien Ounouri, war zu Beginn des algerische Befreiungskampf im Jahr 1954 gerade 14 Jahre alt; sechs Jahre später ging er nach Frankreich und wurde Mitglied einer geheimen Widerstandszelle der algerischen Befreiungsfront FLN, in deren Auftrag er im südfranzösischen Clermont-Ferrand Morde plante und ausführte. Die Fidai waren algerischer Partisanen, die unerkannt in einer bürgerlichen Existenz in Frankreich lebten, bei Bedarf aber militante Aktionen für die Befreiungsfront FLN durchführten, etwa die Eliminierung von „Verrätern“ und „Abtrünnigen“. Über Taktik und Selbstverständnis der Fidais gibt ganz im Stile der antikolonialistischen Rhetorik ein ausführliches Manifest Auskunft, das im Film umfassend zitiert wird und einen seltsamen Kontrapunkt zur umgänglichen Art des Protagonisten bietet. Der Regisseur Damien Ounouri steht als Sohn eines Algeriers und einer Französin selbst zwischen den Fronten. In Frankreich ist das Thema Algerienkrieg immer noch ein großes Tabu; in Algerien ist die Revolution von 1962 fast vergessen. Der Neffe lässt seinen Onkel Szenen nachspielen, etwa mit einer Pistole auf ein Opfer zielen; auf diese Weise rekonstruiert er langsam die Ereignisse des bewaffneten Untergrundes. Dabei ist der Ton des Jungen niemals rechthaberisch oder moralisierend; der Film verharmlost aber auch nicht. „Fidai“ ist eine gelungene Gratwanderung zwischen Gegenwart und Vergangenheit. Der Film lebt insbesondere von der sympathischen, stillen, mitunter fast gebrochenen Hauptfigur, dem bescheidenen, warmherzigen alten Herren, der erst gar nicht an die heroischen Ikonen des bewaffneten Kampfes der 1960er-Jahre denken lässt, aber ebenso wenig an die Dimension der persönlichen Schuld durch Mord und Verrat. Die Frage nach der ethischen Verantwortung, nach dem Wandel des einzelnen Menschen im Wandel der Zeiten, zieht sich unaufdringlich durch die Gespräche und persönlichen Erinnerungen, aber es geht dem Film nicht darum, zu moralisieren, abschließend zu bewerten oder die Geschichte umzuschreiben, sondern um eine behutsame Erinnerungsarbeit. „Fidai“ ist ein sehr ergreifender Film, ein gelungenes Beispiel für die Rekonstruktion von Geschichte durch den persönlichen Umgang mit Zeitzeugen und ein Dokument über den positiven Wandel von Menschen und Zeiten.
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