Dokumentarfilm | Deutschland 2013 | 91 (24 B./sec.)/88 (25 B./sec.) Minuten

Regie: Wolfgang Andrä

Dokumentarfilm über den Schulanfänger Paul, der ein halbes Jahr lang von der Einschulung bis zum ersten Zeugnisgespräch in einer "Jenaplan"-Schule begleitet wird, die sich an der Reformpädagogik von Peter Petersen orientiert. Der Junge erlebt die Schule als Spagat zwischen „pippi Aufgaben“ und Rechendreiecken, die ihn überfordern, vor allem aber als soziale Herausforderung. Der visuell unspektakuläre Film eröffnet liebevolle, sehr persönliche oder verallgemeinerbare Einblicke in eine oft vergessene, aber prägende Lebensphase. Eine sympathische Dokumentation, an die sich wunderbar im Gespräch mit Kindern und Klassen anknüpfen lässt. - Sehenswert ab 10.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2013
Produktionsfirma
1meter60 Film
Regie
Wolfgang Andrä
Buch
Wolfgang Andrä
Kamera
Wolfgang Andrä
Musik
Paul Andrä
Schnitt
Wolfgang Andrä · Yvonne Andrä
Länge
91 (24 B.
sec.)
88 (25 B.
sec.) Minuten
Kinostart
04.07.2013
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 10.
Genre
Dokumentarfilm
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IMDb

Diskussion
Die gefährlichste Stelle auf seinem Weg zur Schule, das weiß Paul schon, ist die Ampel. Und die meistert der Schulanfänger souverän. Aber das wirkliche Abenteuer beginnt ohnehin erst, wenn Paul in der Schule angekommen ist: im Klassenzimmer der „Delfin-Gruppe“, in den Fluren, im Pausenhof. Der „Schulweg“, auf dem Filmemacher Wolfgang Andrä den kleinen Paul gemeinsam mit Stefan Petermann ein halbes Jahr begleitete, ist denn auch nicht so der Weg zur als vielmehr der Weg durch die Schule. Paul ist ein besonderer Junge. Im Lesen und Schreiben und vor allem im Rechnen ist er seinen Altersgenossen voraus. Nicht zuletzt deshalb besucht er auch eine besondere Grundschule. Eine „Jenaplan“-Schule, die sich an Prinzipien orientiert, die der zuletzt wegen seiner Rolle in der NS-Zeit in die Kritik geratene Reformpädagoge Peter Petersen bereits 1927 entwickelte. Die Kinder lernen in altersübergreifenden „Stammgruppen“, ergänzt durch altersgerechte Kurse. Zensuren werden vermieden, statt dessen stehen das „selbstbestimmte“ Lernen und die soziale Gemeinschaft im Vordergrund. Exotisch ist das alles längst nicht mehr. „Familienklassen“, das Lernen in Gruppen und ähnliche reformpädagogische Ansätze gehören mittlerweile auf vielen Grundschulen zum Alltag. „Ganz normale“ Kinder gab es ohnehin noch nie. Das Besondere, auch wenn es den Anlass zu Andräs Dokumentarfilm lieferte, ist aber auch gar nicht das, was im Mittelpunkt von „Pauls Schulweg“ steht. Zehn Jahre ist es mittlerweile her, dass Paul in die Schule kam und das Filmmaterial, das dieser Dokumentation zugrunde liegt, entstanden ist. Paul war der Sohn einer Studienfreundin von Andrä, den damals vor allem interessierte, „wie speziell die Jenaplan-Schule mit dem so speziellen Paul“ umging. Inzwischen hat der Dokumentarfilmer seine ehemalige Studienfreundin Yvonne geheiratet und ist Pauls Stiefvater geworden. Als sie dann kürzlich ihre gemeinsame Tochter einschulten, entdeckten sie das Universelle in Pauls Geschichte und machten sich gemeinsam an die Montage. Von alldem erfährt man im Film nichts. Deutlich aber wird, dass es jetzt nicht mehr so sehr um das Spezielle geht, auch wenn Andrä dem „Jenaplan“-Konzept unverkennbar mit Sympathie begegnet. Die Kritik an den in Fachkreisen teilweise heftig umstrittenen Lernmethoden, am „Lesen durch Schreiben“, am „Freien Schreiben“, an Anlauttabellen und Wochenplänen reduziert sich im Film auf einen Vater, der beim Elternabend ziemlich ungläubig dreinschaut, als die Lehrerin davon abrät, die Rechtschreibfehler der Kinder zu verbessern. Diese einseitige, oberflächliche Darstellung des Films lässt sich allerdings leicht verschmerzen, weil den Filmemachern in der Rückschau offenbar etwas anderes wichtiger wurde als Schulsystem und Didaktik oder auch der Sonderfall des besonders Talentierten. Nämlich das Kind als Mensch in einer prägenden Lebensphase, Pauls persönliche Erfahrungen, in denen zugleich viele sich oder auch ihre Kinder wiedererkennen dürften. Für einen Kinofilm klebt die oft schlecht ausgeleuchtete, eng kadrierte Dokumentation allerdings zu sehr an den alltäglichen Abläufen. Es fehlt ihr an Weitblick und visueller Kraft. Neben manchen für Außenstehende schlicht langweiligen Szenen, die sich wie alten Urlaubsvideos der Nachbarn ausnehmen, sind es vor allem die Blicke hinter die Kulissen der Schule, die „Pauls Schulweg“ dennoch sehenswert machen: die Raufereien auf dem Pausenhof mit denen, „die anders sind“, nur weil sie von einer anderen Schule kommen, die Zankereien in den Arbeitsgruppen, die Gespräche im Hort. Paul erlebt die Schule im ersten halben Jahr als Spagat zwischen „pippi Aufgaben“ und Rechendreiecken, die ihn überfordern, vor allem aber als soziale Herausforderung. Wenn er über seine Suche nach Freunden erzählt und nicht wahrhaben möchte, dass sein bislang bester Freund sich immer mehr von ihm entfernt, hat der Film seine stärksten, persönlichsten und zugleich allgemeingültigsten Momente. Es ist eine kleine, sympathische Dokumentation, an das sich wunderbar anknüpfen lässt im Gespräch mit Kindern und Klassen, weshalb es zum Schulanfang nach den Sommerferien gerade rechtzeitig kommt.
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