Aus dem Leben eines Schrottsammlers

Drama | Bosnien-Herzegowina 2013 | 77 (24 B./sec.)/74 (25 B./sec.) Minuten

Regie: Danis Tanovic

Eine kleine Familie aus einem Roma-Dorf bei Sarajevo führt ein kärgliches Leben. Der Vater sorgt für das Auskommen, indem er alte Autos zerlegt, Altmetall sammelt und die Wertstoffe verkauft. Doch das Geld reicht nicht aus, um die Operation der schwangeren Mutter zu bezahlen, als der Fötus im Mutterleib stirbt und entfernt werden muss. Das sozialrealistische Drama stellt mit Laiendarstellern deren eigene Geschichte nach. Mit einer Kamera, die nahe an den Protagonisten ist und sich Zeit nimmt, in deren Alltag einzutauchen, erzählt der Film von einer Art von sozialem Rassismus, der sich zwar nicht in handfester Gewalt äußert, aber ähnlich fatal wirkt. (O.m.d.U.; Kinotipp der katholischen Filmkritik) - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
EPIZODA U ZIVOTU BERACA ZELJEZA
Produktionsland
Bosnien-Herzegowina
Produktionsjahr
2013
Produktionsfirma
A.S.A.P. Films / Rai Cinema / SCCA / pro.ba / Vertigo/ Emotionfilm
Regie
Danis Tanovic
Buch
Danis Tanovic
Kamera
Erol Zubcevic
Schnitt
Timur Makarevic
Darsteller
Senada Alimanovic (Senade) · Nazif Mujic (Nazif) · Sandra Mujic (Sandra) · Semsa Mujic (Semsa)
Länge
77 (24 B.
sec.)
74 (25 B.
sec.) Minuten
Kinostart
10.10.2013
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Drama
Externe Links
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Diskussion
In der Grube ist allerlei Schrott. Nazif klettert den schlüpfrigen Hang hinunter. Er sucht in dem Gerümpel nach Altmetall, trägt ein Stück hinauf und klettert wieder hinab, um weitere Stücke zu bergen. Immer wieder. Er weiß, dass es nicht genug sein wird: Er kann unmöglich genug Material herauf schaffen, um von seinem Erlös die Operation bezahlen zu können, die seine Frau Senada so dringend braucht. Unwillkürlich wird man gewahr, dass dieser Film von Danis Tanovic, der so konkret an einem Ort und im Leben einer Familie verwurzelt ist, raum- und zeitübergreifende mythische Qualitäten besitzt: Die Arbeit des Sisyphus. Arbeit spielt eine große Rolle: In quasi dokumentarischer Manier und mit großer Anteilnahme und Ruhe verfolgt die Kamera den mühseligen Alltag der Roma-Familie, die sich hier selbst spielt. Man sieht, wie viel Zeit, Geschick und Körperkraft es erfordert, ein kaputtes Auto in seine Einzelteile zu zerlegen; man sieht die Mutter beim Teigkneten, beim Waschen und bei der Betreuung ihrer zwei kleinen Töchter. Damit bekommt man ein Gefühl für die Lebenswelt, in der der Film spielt; es wird aber auch vielen alten, gerade in Osteuropa immer noch virulenten Stereotypen der Boden entzogen, die Sinti und Roma als arbeitsscheu diffamieren. Solche Vorurteile und Ausgrenzungen werden hier zwar nie explizit thematisiert. Dafür bekommt man hautnah zu spüren, was es heißt, gesellschaftlich an den äußersten Rand gedrängt zu sein. Trotz der Anstrengungen des Vaters, die Familie mit seinem rudimentären „Recycling“ zu ernähren, ist das soziale Eis, auf dem hier gelebt wird, so dünn, dass die Familie bei der ersten Erschütterung einzubrechen droht. Als die schwangere Senanda Schmerzen im Unterleib bekommt, wird im Krankenhaus der nächsten Stadt diagnostiziert, dass das Kind in ihrem Leib gestorben ist. Doch helfen will man ihr nicht: Senada hat keine Krankenversicherung, und die Entfernung des Fötus bar zu bezahlen, kann sich die Familie nicht leisten. Also kehren Vater, Mutter und Töchter unverrichteter Dinge zurück nach Hause. Was tun? Ohne den Eingriff ist Senadas Leben in Gefahr; gegen die verzweifelten Bitten scheinen Ärzte und Krankenhauspersonal immun, die sich auf ihre Vorschriften berufen. Doch Nazif ist nicht bereit, seine Frau aufzugeben, selbst als diese resigniert. Tanovic und seine Laienschauspieler erzählen diese Geschichte sehr nüchtern. Anstatt die Not der Familie melodramatisch auszumalen, lassen sie die Ereignisse, die auf real Erlebtem der Darsteller beruhen, in all ihrer Absurdität und Grausamkeit für sich sprechen. Anders als in Bence Fliegaufs „Just the Wind“ (fd 41 814), in dem es um brutale Morde an Roma-Familien in Ungarn ging, gibt es hier keine buchstäbliche Gewalt gegen die ausgegrenzte Minderheit. Tanovic untersucht anstelle dessen die soziale Gewalt, die zwar passiver daher kommt, für die Opfer aber ähnlich fatale Folgen hat. Allerdings zeichnet sein Film kein ausschließlich düsteres Bild, sondern verfügt durchaus über einen Hoffnungsschimmer: Die Hilfsbereitschaft und Loyalität untereinander, die Nazifs Familie von anderen Dorfbewohnern erfahren, bieten der systemischen Unmenschlichkeit der Institutionen die Stirn.
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