Djeca - Kinder von Sarajevo

Drama | Bosnien-Herzegowina/Deutschland/Frankreich/Türkei 2012 | 89 (24 B./sec.)/86 (25 B./sec.) Minuten

Regie: Aida Begic

Eine 23-jährige Bosnierin, die während des Kriegs ihre Eltern verlor, versucht, sich und ihren 14-jährigen Bruder in Sarajevo durchzubringen. Dass sie Rückhalt in ihrem muslimischen Glauben sucht und einen Schleier trägt, trägt nicht gerade dazu bei, ihr Akzeptanz zu verschaffen. Das Porträt einer Frau, die in einer um Normalität ringenden, von nachwirkenden Kriegstraumata gezeichneten Gesellschaft um Würde und eine Perspektive kämpft, weitet sich zum sensibel umgesetzten Spiegel der bosnischen Gesellschaft. (Kinotipp der katholischen Filmkritik) - Sehenswert ab 12.
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Filmdaten

Originaltitel
DJECA
Produktionsland
Bosnien-Herzegowina/Deutschland/Frankreich/Türkei
Produktionsjahr
2012
Produktionsfirma
Film House Sarajevo/Rohfilm/Les Films de l'Après-Midi
Regie
Aida Begic
Buch
Aida Begic
Kamera
Erol Zubcevic
Schnitt
Miralem Zubcevic
Darsteller
Marija Pikic (Rahima) · Ismir Gagula (Nedim) · Bojan Navojec (Davor) · Sanela Pepeljak (Vedrana) · Vedran Djekic (Ciza)
Länge
89 (24 B.
sec.)
86 (25 B.
sec.) Minuten
Kinostart
07.11.2013
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 12.
Genre
Drama
Externe Links
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Diskussion
2008 porträtierte die bosnische Filmemacherin Aida Begić in „Snow“ (fd 39 222) eine Gruppe von Frauen auf dem Land, die mit der Realität der unmittelbaren Nachkriegszeit, dem Verlust ihrer Ehemänner und anderer Verwandter und der Schuld der Nachbarn klarkommen musste. Einige Jahre später ist in Bosnien zwar Ruhe eingekehrt, doch im Frieden ist das Land noch immer nicht angekommen, wie „Djeca – Die Kinder von Sarajevo“ auf eindringlich persönliche Weise zeigt. Begićs zweiter Spielfilm begleitet die 23-jährige Rahima in ihrem Alltag zwischen Weihnachten und Neujahr, irgendwann Mitte des letzten Jahrzehnts. Auf der Straße zünden die Jugendlichen Böller, was bei Rahima Erinnerungen an den Krieg wachruft, in dem ihre Eltern getötet wurden. Heute lebt sie in einer Plattenbausiedlung am Rand von Sarajevo und versucht, für sich und ihren 14-jährigen Bruder Nedim so etwas wie ein normales Familienleben herzustellen. Doch die schlecht bezahlte Arbeit als Küchenhilfe in einem Nobel-Restaurant, in dem die zwielichtige High Society des Landes gemeinsam mit den Politikern speist, lässt kaum Zeit für harmonische Momente. Stoisch, fast trotzig versucht Rahima, in der Hackordnung der bosnischen Nachkriegsgesellschaft den aufrechten Gang zu wahren. Halt hat sie dabei in der Religion gefunden: das Kopftuch schützt sie vor anzüglichen Witzen der Männerwelt und vor allzu sentimentaler Erinnerung an die Vergangenheit. Doch mit dem Schleier zieht sie auch das Misstrauen ihrer Umgebung auf sich, die mit bösartigen Kollegenwitzen und offener Ablehnung reagiert. Als bekennende Muslima ist Rahima zwar dem Teufelskreis der Drogensucht aus ihrem vorhergehenden Leben in der Subkultur entkommen, aber zur Außenseiterin geworden. Als Nedim dann in der Schule auch noch Streit mit der Clique des Sohnes eines Ministers bekommt und dabei dessen iPhone zerstört wird, gerät sie noch mehr ins Abseits. Für die Schulleiterin, die Polizei und auch die Sozialpflegerin ist die Schuldfrage auch ohne weitere Überprüfung klar; sie machen die Waise Rahima für das langsame Abdriften ihres Bruders in die Kriminalität verantwortlich. Ohne familiären Rückhalt und die Einbindung in neopatriarchale Netzwerke, mit deren Hilfe sich eine Post-Kriegsgewinnler-Generation den Staat zu eigen gemacht hat, droht Rahima jeden Moment der Fall ins Nichts. Doch die ständige Bewegung der stilsicher und ausdrucksstark geführten Handkamera bildet, aller gesellschaftlichen Stagnation zum Trotz, auch eine Dynamik ab. Und so blitzt immer wieder Zärtlichkeit auf, zwischen den Geschwistern, aber auch mit den Kollegen in der Restaurantküche, dem stotternden Maschinenraum einer illusionslos auf der Stelle tretenden Gesellschaft, die, vom korrupten Politiker bis zum drogenabhängigen Oberkellner, fast nur noch soziale Randlagen zu kennen scheint. Mit ihren sparsam proportionierten, aber punktgenau eingesetzten Gesten der Empathie zeigt der Film, dass doch noch so etwas wie zwischenmenschliche Wärme zu spüren ist. Begićs Film entwirft kein auswegloses Panoptikum kollektiver Verzweiflung, sondern den im wahrsten Sinne des Wortes entwaffnenden Kampf einer einsamen Heldin, die vom Leben ein Stück Würde, Harmonie und Glück zurückfordert. Eine wenn auch sehr leise Zuversicht prägt die Stimmung des Films. Auch Rahima trägt die Erinnerungslandschaften des Krieges mit sich, was der Film durch dokumentarische Einblendungen aus dem traumatischen Kriegsalltag verdeutlicht, aber auch durch Sequenzen, die die Versuche zeigen, Normalität zu leben trotz der ständigen Bedrohung. Eine Epoche, die angesichts der Risse im ethischen Gefüge und einer prekären sozialen Lage mitunter zum Mythos geworden ist. „War denn unser Leben im Krieg tatsächlich besser oder haben wir heute diesen Eindruck, weil die Zeit hinter uns liegt? Waren die Leute wirklich menschlicher in jener Phase, die die schwierigste in der Geschichte unserer Stadt war?“, fragt sich Begić. „Djeca – Kinder von Sarajevo“ kann diese Frage nicht beantworten, mit seinem bedrückend punktgenauen Blick auf die Gegenwart aber dafür sorgen, wieder nach vorne zu gucken.
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