Drama | USA 2013 | 90 Minuten

Regie: Matthew Porterfield

Eine junge Frau mit Liebeskummer flieht zu ihren Verwandten nach Baltimore, die ihrerseits gerade vor den Trümmern ihrer Ehe stehen. Ein im Musiker-Milieu angesiedeltes Drama, das von vielfältigen privaten wie gesellschaftlichen Krisen handelt, aber auf lakonische Weise recht realistische Auswege aus desolaten Verhältnissen weist. Diese beginnen zuvorderst bei der eigenen Einstellung, wobei der reichlich präsenten Folk-Rock-Musik als Kommentar und Resonanz eine herausragende Rolle zukommt. - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
I USED TO BE DARKER
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
2013
Produktionsfirma
The Hamilton Film Group/Steady Objects/Nomadic Independence Pic.
Regie
Matthew Porterfield
Buch
Amy Belk · Matthew Porterfield
Kamera
Jeremy Saulnier
Schnitt
Marc Vives
Darsteller
Deragh Campbell (Taryn) · Hannah Gross (Abby) · Ned Oldham (Bill) · Kim Taylor (Kim) · Nicholas Petr (Nick)
Länge
90 Minuten
Kinostart
09.01.2014
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Drama
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Diskussion
Unsicherheit, Angst, Verwirrung, Panik, Wut, Depression, Erschöpfung, Hilflosigkeit. Mit solchen Begriffen ließe sich die Stimmung von „I Used To Be Darker“ von Matt Porterfield ganz gut beschreiben. Aus dieser Gemengelage widersprüchlicher Gefühle kann aber dennoch Kunst entstehen, die sich bestens in das „große amerikanische Liederbuch“ fügt. Eine der Hauptfiguren des Films mit Namen Kim hat eine Band, die in einem Club auftritt. Gespielt wird der Song „American Child“, der davon erzählt, sich in schwierigen Zeiten für ein Kind zu entscheiden. In dem sehr schönen, fast schon klassischen Folk-Rock-Song heißt es: „Geboren in einem Klima der Angst / Aufgewachsen in Unsicherheit / Auf der Suche nach etwas Echtem / Aufgewachsen in sogenannter Freiheit / Ein weiteres Haus steht zum Verkauf / Wie wollen sie die Hunde fernhalten?“ Der amerikanische Traum scheint zwar beschädigt, aber immer noch tragfähig, wenn man sich einzuschränken lernt. Im Song heißt es weiter: „Wir werden schon irgendwie zurechtkommen“. So ist das, wovon der Film handelt, doch noch auf zweifache Weise zur Kunst geworden – und dieses „doch noch“ strukturiert auch „I Used To Be Darker“. Die umfassende Krise, die in Kims Song ausgesprochen politisch daher kommt, äußert sich im Privatleben der Figuren aus der unteren Mittelschicht weitaus profaner und damit „realistischer“ als Echo allgemeiner gesellschaftlicher Verunsicherung. Doch wer wenig hat, hat auch nicht viel zu verlieren. Die 19-jährige Taryn ruft eines Tages bei ihrer Tante Kim und ihrem Onkel Bill in Baltimore an und kündigt ihren Besuch an. Sie steckt bis zum Hals in Problemen; überdies vermuten ihre Eltern sie in Wales. Ihr Besuch kommt auch denkbar ungelegen, denn Kim und Bill haben sich gerade getrennt, wovon ihre Tochter Abby, die in New York studiert, alles andere als angetan ist. Sehr ruhig und mit großer Offenheit erzählt Porterfield von Figuren in der Schwebe: die Jungen haben ihren Ort noch nicht gefunden, die Älteren müssen sich neu orientieren. Ratschläge sind da ein kostbares Gut. Einmal fragt Taryn Kim: „Sind wir alle am Arsch?“ „Ich hoffe doch nicht!“, entgegnet die Tante. „Wird es irgendwann leichter?“ „Nein!“ Das klingt ziemlich desillusioniert. Doch der Film zeigt später auf sehr lakonische, aber auch sehr realistische Weise, woraus Kraft zu schöpfen ist. Etwas die Musik, mit der dieser Film bis zum Rand angefüllt ist. Was auch deshalb funktioniert, weil hier Musiker (Ned Oldham, Kim Taylor) Musiker spielen, die auch dann noch musizieren, wenn sie ihre Karriere hinter sich gelassen haben. Der Film räumt der Musik respektvoll einen zentralen Raum in seinem Diskurs ein, nutzt sie als Kommentar zur Figurenpsychologie, manchmal auch als Meta-Ebene. Wenn Kim zum Schluss „All I wanna do is to live my life honestly!“ singt, dann spricht daraus nicht nur eine Sehnsucht der Figur, sondern es wird explizit deutlich, dass Porterfield und seiner Co-Autorin Amy Belk die prekären Lebensverhältnisse weniger ökonomisch denn existentiell verstehen. Das gilt auch für den Filmtitel, der einem Song von Bill Callahan entliehen ist, in dem es heißt: „I used to be darker / But then I got lighter / And then I got darker again.“ Das ganze Leben ein einziges Auf-und-Ab, weshalb pragmatischer Improvisationsgeist gefragt ist, nicht Pessimismus, Zynismus oder Politik. „I Used To Be Darker“ zeigt Menschen in der Krise; er stellt aber auch klar, dass diese Krise nicht von Dauer ist, wenn man sich intellektuell von der Utopie des Gegenteils von Krise verabschiedet. Im Film ist es Kim, die sich zu bewegen beginnt, um ihrer Vorstellung von „Ehrlichkeit“ näher zu kommen. Die anderen Figuren verharren noch in ihrer Trauer und tauschen sich aus, wenn sie im Swimmingpool baden. Auch im Swimmingpool – ohnehin ein zentrales Motiv in den Filmen Porterfields – kann man mal den Boden unter den Füßen verlieren, aber zugleich dient er der Erfrischung, der Reinigung und der Einkehr. Wer sich vom Traum verabschiedet, dass das Leben einmal „leichter“ fallen wird, erkennt mit etwas Abstand vielleicht auch die Chancen der Veränderung. Die Kamera von Jeremy Saulnier macht das gewissermaßen vor, wenn sie den Figuren zwar aufmerksam folgt, ihnen auch aber eine Privatsphäre einräumt. Irgendwie passt es zu diesem wohltemperierten, poetischen Realismus, dass Porterfields Film, der auch von der Auflösung einer Familie handelt, am Modell der Familie festhält, auch wenn sie einmal kurzfristig zu einer Art von Kommune „morphen“ muss. Willkommen im bohemistischen Biedermeier!
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