Wer ist Thomas Müller?

Dokumentarfilm | Deutschland 2013 | 87 Minuten

Regie: Christian Heynen

Auf der Suche nach dem typisch Deutschen sucht der Dokumentarfilm Menschen auf, die alle Thomas Müller heißen; auch eine Sabine Müller ist als weibliches Pendant darunter. So geben ein Publizist, ein Priester, ein Soldat und ein Fußballspieler Auskunft über ihr Leben, ihre Vorlieben und Vorstellungen; via Internet-Befragung werden allgemeinere Urteile und Klischees ergänzt. Obwohl kleine Animationen oder der mitunter ironische Duktus des Erzählens das gesamte Unterfangen immer mal wieder karikieren, bleiben überraschende oder erhellende Einblicke die Ausnahme. Die Recherche nach einem Nationalcharakter fördert nicht viel mehr als die gängigen Einstellungen und Muster der jeweiligen gesellschaftlichen Repräsentanten und ihrer Nischen zu Tage. - Ab 14.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2013
Produktionsfirma
augenschein Filmprod./WDR/mdr
Regie
Christian Heynen
Buch
Christian Heynen
Kamera
Andreas Köhler
Musik
Georg Rohbeck
Schnitt
Anika Simon
Länge
87 Minuten
Kinostart
20.03.2014
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
Camino/Lighthouse (16:9, 1.78:1, DD5.1 dt.)
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Diskussion
Thomas Müller ist 1,78 Meter groß, er wiegt 83,4 Kilogramm und trägt mit seinen 43 Jahren einen blonden Haarschopf mit sich herum. Höchstwahrscheinlich – nicht einmal das weiß man ganz genau – gibt es diesen Menschen nicht. Er ist ein statistisches Durchschnittskonstrukt, eine brutale und himmelschreiend vereinfachende Einstampfung der empirischen Vielfalt auf etwas, mit dem man rechnen, das man analysieren und befragen kann. Der Dokumentarfilmer Christian Heynen hat sich aufgemacht, dem Mysterium des durchschnittlichen Deutschen auf die Spur zu kommen – und der Name Thomas Müller ist nun mal der häufigste in diesem Land. Also reist Heynen zu Thomas Müller, dem Finanzpublizisten, zu Thomas Müller, dem Priester, dem Musiker, dem Soldaten und auch zum Fußball-Nationalspieler gleichen Namens und spricht mit ihnen über ihr eigenes Leben und dieses Land, das ja so etwas wie einen Nationalcharakter haben muss. Was ist für Sie denn typisch deutsch? Man braucht nicht erst die Erkenntnistheorie zu bemühen, um Heynens Rechercheansatz fragwürdig zu finden. Und man muss sich nicht mit feministischen Kampfbegriffen wappnen, um sich über die Selbstverständlichkeit zu wundern, mit der „der“ Deutsche hier – von einem kleinen Abstecher zur Durchschnittsfrau Sabine Müller einmal abgesehen – überwiegend männlich gedacht wird. Man muss auch nicht allzu viel über die Finanzbranche oder die organisierte Religion wissen, um enttäuscht zu sein, wie wenig Neues oder Überraschendes Heynen seinen Gesprächspartnern entlocken kann. Der Priester spricht über seinen Glauben, der Stand-up-Comedian über den angeblich deutschen Humor, der Musiker über angeblich deutsche Musik. Wann immer einen das Gefühl beschleicht, Heynen sei seinem Gegenüber gerade so nahe gekommen, um ihm jetzt bald frische Einblicke oder Erfahrungen zu entlocken, geht es weiter zum nächsten Thomas Müller. Auf einer Webseite hat Heynen die Besucher gebeten, ihre Vorstellung von Deutschland zu notieren, was manchmal ganz witzig ist, aber ebenfalls zu selten über Klischees von Ordnung und weißen Socken in Sandalen hinausgeht. In kleinen Animationen, mit denen Deutschland-Statistiken ins Bild gesetzt werden, oder auch im Duktus des Erzählens unterwandert Heynen den Größenwahn seiner Aufgabe zwar unterschwellig. Und gibt am Ende sogar zu: der typische Deutsche existiere gar nicht. Aber die gesamte Fehlkonstruktion dieses Films kann mit diesen kleinen Nadelstichen nicht ins Wanken gebracht werden. Dabei gibt es durchaus berührende Momente: Der Soldat Thomas Müller wickelt in Afghanistan beispielsweise ein Bild seiner Familie in Papier und steckt es ein, bevor es in den Einsatz geht. Von solchen Augenblicken aber existieren zu wenige. Einmal besucht Heynen eine Werbeagentur, die das Jugendzimmer des typischen Teenagers Jan Müller nachgebaut hat. Doch wenn Heynen die Individualität wirklich gegen das Geschwätz vom Durchschnitt hätte retten wollen, wie er in Interviews immer wieder beteuert, dann hätte er diesen Irrsinn an den Anfang des Films setzen und hernach genüsslich demontieren müssen. So aber bleiben die Porträtierten nichts als Funktionsträger ihrer gesellschaftlichen Position oder Nische, und Heynen erweist seinem Anliegen einen Bärendienst.
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