Drama | Deutschland 2013 | 102 Minuten

Regie: Christian Schwochow

Eine junge Frau reist 1978, drei Jahre nach dem Unfalltod ihres russischen Lebensgefährten, mit ihrem neunjährigen Sohn von Ost- nach Westberlin aus und kommt in einem Auffanglager in Marienfelde unter. Der Neuanfang gestaltet sich schwierig, zumal CIA und BND gleichermaßen unangenehme Fragen stellen. Eine packende Mischung aus leisem Drama und zurückhaltendem Spionage-Thriller, in der eine eigentlich unpolitische Frau zwischen den Systemen zerrieben wird und auch der Liebe nicht mehr traut. (Teils O.m.d.U.) - Ab 16.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2013
Produktionsfirma
öFilmproduktion/zero one film/Terz Filmprod.
Regie
Christian Schwochow
Buch
Heide Schwochow
Kamera
Frank Lamm
Musik
Lorenz Dangel
Schnitt
Jens Klüber
Darsteller
Jördis Triebel (Nelly Senff) · Alexander Scheer (Hans) · Tristan Göbel (Alexej) · Jacky Ido (John Bird) · Anja Antonowicz (Krystyna)
Länge
102 Minuten
Kinostart
27.03.2014
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Drama | Spionagefilm
Externe Links
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Heimkino

Die Extras enthalten u.a. ein Feature mit im Film nicht verwendeten Szenen.

Verleih DVD
Senator/Universum (16:9, 2.35:1, DD5.1 dt. & engl. & russ.)
Verleih Blu-ray
Senator/Universum (16:9, 2.35:1, dts-HD dt. & engl. & russ.)
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Diskussion
Zwei Koffer, eine Schultasche, ein Mantel und ein Plüschtier sind alles, was Nelly Senff und ihr neunjähriger Sohn Alexej mitnehmen, als sie im Sommer 1978 auf dem Bürgersteig vor ihrem Haus in Ostberlin warten. Nellys geblümtes Kleid strahlt Hoffnung und Zuversicht aus, und doch ist die junge Frau überaus nervös. Drei Jahre nach dem Unfalltod ihres russischen Lebensgefährten Wassily darf die alleinerziehende Mutter mit ihrem Sohn die DDR verlassen. Zu groß ist der Kummer über Wassilys Verlust, zu traurig die Erinnerungen, die die Ausreise in den Westen vertreiben sollen. Nelly und Alexej kommen zunächst in einem Aufnahmelager in Marienfelde unter. Eine triste Institution mit durchgelegenen Betten, Gemeinschaftsduschen und überfüllter Kantine. Damit nicht genug: Die promovierte Chemikerin findet in Westberlin nur als Laborhilfe einen Job. Ein schwieriger Neustart also, zumal die Bürokratie vor die westdeutsche Staatsbürgerschaft noch zwölf Stempel setzt, die man nur nach körperlichen Untersuchungen und der Beantwortung unangenehmer Fragen erhält. Überdies beginnen sich auch noch der amerikanische wie der westdeutsche Geheimdienst für Nelly zu interessieren. Ob sie gewusst habe, dass ihr Mann ein Spion gewesen sei? Ob er vielleicht noch lebe? Nelly fühlt sich verfolgt und traut niemandem mehr. Das belastet auch die Beziehung zum hilfsbereiten Hans Pichel, der schon seit zwei Jahren im Lager haust. Immer ist er zur Stelle und kümmert sich liebevoll, fast als Vaterersatz, um Alexej. Doch warum lebt er noch immer in Marienfelde? Arbeitet er etwa für die Stasi? Und was ist mit dem schwarzen US-Agenten, der Andeutungen über Wassily macht und die Ausstellung eines Stempels an bestimmte Gefälligkeiten zu knüpfen scheint? Fragen, die das Drehbuch von Heide Schwochow bewusst offen lässt. Das verleiht dem Film, der auf dem Roman „Lagerfeuer“ von Julia Franck basiert, eine anregende Ambivalenz, die vieles in der Schwebe hält und sich auch der Genre-Zuordnung verweigert. „Westen“ ist zunächst das intime Drama einer eigentlich unpolitischen Frau, die zwischen zwei Systemen zerrieben wird und darum auch der Liebe nicht mehr traut. Die Schizophrenie des geteilten Deutschland wird so zur Metapher für Nellys seelische Verfassung, die von nervöser Vorfreude über schleichende Irritierung bis zu ängstlichem Misstrauen reicht. Wie Jördis Triebel die emotionalen Schwankungen ihrer Figur deutlich macht, durch ihr Mienenspiel und durch Blicke, die Vorsicht signalisieren, aber auch die Hoffnung auf ein neues Leben, ist die große Stärke des Films. Triebel erinnert bisweilen an Nina Hoss in „Barbara“ (fd 40 925), auch sie eine Frau, die zwischen Vergangenheit und Zukunft gefangen ist und darum mit der Gegenwart hadert. Alexander Scheer hingegen spielt Hans Pichel gegen sein Image als verletzlichen, enttäuschten Mann, der bis zur letzten Szene undurchschaubar bleibt. Nicht zu vergessen der kleine Tristan Göbel als Alexej, der in der Schule als „Ostpocke“ gehänselt wird und das Geschehen noch weniger versteht als seine Mutter. „Westen“ ist aber auch ein Spionage-Thriller, der nicht nur mit einem wenig bekannten Aspekt der deutsch-deutschen Geschichte vertraut macht, sondern der zugleich als packendes Spannungskino funktioniert. Dabei entzieht sich Nellys Zwickmühle immer mehr ins Nebulöse, weil die junge Frau keine eindeutigen Antworten erhält und ihr Versuch, ihr Schicksal positiv zu beeinflussen, keine Folgen zeitigt. Zumindest lassen sich die Konsequenzen ihres Handelns nicht sofort ausmachen. Diese Vagheit verleiht der Inszenierung von Christian Schwochow – zusammen mit mühsamen Behördengängen und bürokratischen Hürden – eine fast schon kafkaeske Absurdität. Die Ausstattung von Tim Pannen und die Kostüme von Kristin Schuster verorten den Film überzeugend und glaubwürdig in den 1970er- Jahren, während die Kamera von Frank Lamm die Klaustrophobie des Lagers bedrängend einfängt und nur beiläufig einen Blick auf die Außenwelt mit schäbigen Mietshäusern oder laternenbeleuchteten Straßen wirft.
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