Gabrielle - (k)eine ganz normale Liebe

Liebesfilm | Kanada 2013 | 103 Minuten

Regie: Louise Archambault

Eine Frau und ein Mann, beide geistig behindert, lernen sich bei Konzertproben in einem Chor kennen und lieben. Die 22-Jährige wohnt in einem Zentrum für Behinderte, ihr etwas älterer Freund bei seiner Mutter. Ihre Liebe und Sexualität stoßen auf Widerstände: Während bei ihr der Wunsch nach Selbstständigkeit erwacht, gibt er den Einwänden seiner Mutter nach. Ein sensibler, warmherzig erzählter Liebesfilm, gut inszeniert und überzeugend gespielt. Ohne ins Lehr- oder Gutmenschenhafte abzugleiten, schildert er die Sorgen und Nöte, vor allem aber auch die Freuden von Behinderten und ihren Familien. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
GABRIELLE
Produktionsland
Kanada
Produktionsjahr
2013
Produktionsfirma
micro_scope
Regie
Louise Archambault
Buch
Louise Archambault · Valérie Beaugrand-Champagne
Kamera
Mathieu Laverdière
Musik
François Lafontaine
Schnitt
Richard Comeau
Darsteller
Gabrielle Marion-Rivard (Gabrielle) · Alexandre Landry (Martin) · Mélissa Désormeaux-Poulin (Sophie) · Vincent-Guillaume Otis (Rémi) · Benoît Gouin (Laurent)
Länge
103 Minuten
Kinostart
24.04.2014
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Liebesfilm
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
Alamode (16:9, 1.85:1, DD5.1 frz./dt.)
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Diskussion
Die einfachen Liebesgeschichten, die romantischen, denen die Magie eines Sommers oder die der Musik plus ein Mann und eine Frau genügen, sind selten geworden. Doch „Gabrielle“ von Louise Archambault ist so eine einfache Liebesgeschichte. Natürlich gilt es, Hindernisse zu überwinden. Ohne Hindernisse keine Kino-Romanze. Die Frankokanadierin Louise Archambault nimmt sich die Magie der Musik, genauer die Magie des gemeinsamen, chorischen Singens, das die Hirnströme der Sänger untereinander angleicht. In diesem besonderen Chor treffen sich Gabrielle und Martin, die beide wunderschön singen können; und sie verlieben sich ineinander. Das Hindernis nun besteht darin, dass sowohl Gabrielle als auch Martin geistig behindert sind, ebenso wie die anderen Chormitglieder. Auf Englisch heißt das nicht mehr „geistig behindert“, sondern „mentally challenged“, wörtlich übersetzt „geistig herausgefordert“ - eine Intervention der Political Correctness. Anstelle ein Defizit aus der Perspektive „normaler“ Mehrheit zu benennen, versucht die neue Bezeichnung dem Blickwinkel der Minderheit zu folgen – und ist zudem abänderlich: Herausforderung bedeutet auch, dass auf Ziele hingearbeitet werden kann. So fragt der Chorleiter einmal seine Sänger und Sängerinnen, mit denen er für ein großes öffentliches Konzert übt: „Wollt ihr etwa, dass die Zuhörer sagen: ,Nicht schlecht für Behinderte?‘“ Das will natürlich keiner. Als die 22-jährige Gabrielle und der 25-jährige Martin mit ihrer Liebe und vor allem ihrer Lust und Sexualität auf Widerstände stoßen, reagieren sie sehr unterschiedlich auf diese Herausforderung. Während in Gabrielle der dringende Wunsch nach Autonomie erwacht, fügt sich Martin zunächst seiner überforderten Mutter. Der Film erzählt in erster Linie eine anrührende Liebesgeschichte; ganz nebenbei, absolut ohne plakative Didaktik, außerdem viel über den Umgang mit Behinderten, über ihre Familien und Betreuer sowie die diversen Herausforderungen und Überforderungen. Gabrielle hat ein enges Verhältnis zu ihrer Schwester Sophie, die in der Verantwortung für ihre Schwester geradezu aufgeht. Sophie möchte eigentlich zu ihrem Freund nach Indien ziehen, versteckt sich mit ihren Ängsten vor diesem Schritt aber hinter ihrer Schwester, wie ihr Freund via Skype ganz richtig feststellt. Es geht in vielerlei Hinsicht ums Loslassen, um eine Abnabelung: „Gabrielle“ ist ein romantisches Coming-of-Age-Musical der etwas anderen Art. Der Regisseur in gelingt es in ihrem zweiten Langfilm recht subtil, den Figuren, Konflikten und Beziehungen Tiefe zu verleihen, selbst bis in die kleinste Nebenfigur oder Nebensächlichkeit hinein. So springt sie etwa, wenn Sophie mit ihrem Freund in Indien skypt, mit der Kamera in seine Umgebung, zu indischen Kinder und tropischen Pflanzen, anstatt nur auf dem Bildschirm hängenzubleiben: Auf diese Weise werden Sophies Gewissensnöte viel materieller. Archambault hat sowohl Behinderte als auch Nicht-Behinderte besetzt. Der Unterschied ist auf der Leinwand nicht zu spüren; am erstaunlichsten zeigt sich dies bei den beiden Hauptdarstellern. Gabrielle wird von der charismatischen Gabrielle Marion-Rivard verkörpert, die einen genetischen Defekt hat, das Williams-Beuren-Syndrom. Ihr Gegenüber Martin spielt, sehr überzeugend, der nicht-behinderte Schauspieler Alexandre Landry. Gabrielles Behinderung wird im Film nicht beim Namen genannt – auch dies deutet an, dass es sich in keiner Weise um einen simplen Erklär- oder Botschaftsfilm handelt; nur ihr charakteristisches Äußeres mit knubbeliger Nase und aufgeworfenen Lippen, ihre Diabetes, die hohe Musikalität (bei Menschen mit Williams-Beuren-Syndrom ist die primäre Hörrinde stärker ausgeprägt) und ihre Offenheit und Freundlichkeit deuten darauf hin. Gabrielle besitzt das absolute Gehör. In einer Szene zu Beginn singt sie Stimmübungen vor, der Chor singt ihr nach. Sie übersetzt das An- und Abschwellen der Tonfolgen fließend in tänzerische Bewegungen und strahlt dabei so einnehmend: Es ist der Rhythmus des Films.
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