Drama | Griechenland/Deutschland 2012 | 81 Minuten

Regie: Spiros Stathoulopoulos

Vor der Geborgenheit und zugleich Enge ausstrahlenden Berglandschaft Thessaliens, in der sich die letzten Reste eines frühen orthodoxen Klosterlebens befinden, ringen eine Nonne und ein Mönch mit den eigenen fleischlichen Gelüsten. Virtuos die byzantinische und postbyzantinische Bildtradition nutzend, erdet der minimalistische Liebesfilm mittels animierter Ikonen das Prinzip der religiösen Vergeistigung. Bestechend in Konstruktion, Bildsprache sowie dem Einsatz verschiedener Ikonografien, wird das zwischen menschlichem Begehren und Gottesliebe zerrissene Paar in die beeindruckenden Bildkompositionen gebettet und in ihrem Innenleben gespiegelt. (O.m.d.U.) – Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
METEORA
Produktionsland
Griechenland/Deutschland
Produktionsjahr
2012
Produktionsfirma
Essential Filmprod./Polyplanity Prod.
Regie
Spiros Stathoulopoulos
Buch
Spiros Stathoulopoulos · Asimakis Pagidas
Kamera
Spiros Stathoulopoulos
Schnitt
George Cragg
Darsteller
Theo Alexander (Theodoros) · Tamila Koulieva (Urania) · Giorgos Karakantas (Flötenspieler) · Dmitris Hristidis (Eremit) · Stelios Mavroudakos (Schäfer)
Länge
81 Minuten
Kinostart
12.06.2014
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
– Sehenswert ab 16.
Genre
Drama
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Diskussion
In der orthodoxen Kirche dürfen verheiratete Männer Priester werden, Nonnen und Mönche hingegen müssen im Stand der Keuschheit verbleiben. Auch hierzulande sähen inzwischen viele Menschen das Zölibat für katholische Priester am liebsten abgeschafft. Doch der Enthaltsamkeit von Ordensgemeinschaften stimmen sie zumeist unhinterfragt zu. Da ist „Meteora“ vom griechischen Regisseur Spiros Stathoulopoulos ein wertvoller Beitrag zur Debatte: Denn er nährt die Zweifel am Sinn dieser religiösen Pflicht; kompromisslos erzählt er dabei von einem eigentlich unstatthaften Begehren. In den letzten verbliebenen orthodoxen Orden Meteoras üben sich die Nonne Urania und der Mönch Theodoros in der Askese und widmen sich dem Dienst der alltäglichen Riten. Beide Klöster thronen, durch einen Abgrund voneinander getrennt, zwischen Himmel und Erde auf imposanten Felsen; vom Tal aus sind sie nur schwer zu erreichen. Müssen die Nonnen noch mit einer Seilwinde in einem altmodischen Netz wie Gefangene hochgezogen werden, können die Mönche ihr Kloster immerhin selbstständig über eine Treppe erreichen. Bei einem ihrer Ausflüge ins Tal, in der religiösen Symbolik durchaus als Abstieg in die Hölle zu verstehen, begegnen sich die zwei und fangen füreinander Feuer. Und das lässt sich durch simple Kasteiungen nicht mehr so leicht löschen. Stathoulopoulos’ Geschichte bedarf nicht vieler Worte, sondern verlässt sich auf eine ausgeklügelte Bildregie, was mancher Zuschauer sicher als zu minimalistisch empfinden könnte. Schon anfangs sieht er sich in die Rolle eines orthodoxen Gläubigen versetzt, der in Andacht vor einem Triptychon verweilt und sich Ausschnitt für Ausschnitt in das Bild versenkt. Da der orthodoxen Tradition gemäß das Göttliche in der Ikone präsent ist, tritt ein Gläubiger bereits in deren Betrachtung mit dem Metaphysischen in Beziehung. In der Mitte des Bildes ragen vor dem Zuschauer frontal die Felsen empor, auf denen sich die zwei Klöster erheben. Sie bilden gleichsam den Lebensmittelpunkt der Nonne Urania und des Mönchs Theodoros. Heiligen gleich sind sie jeweils auf der linken und rechten Bildtafel abgebildet. Diese Art von Kulthandlung, die Versenkung des Zuschauers in das Geschehen, wird ihm am Ende noch einmal ganz bewusst gemacht, wenn er sich vor der Ikone wiederfindet, die sich jetzt aber entschieden verändert hat. In konzentrierten, symbolisch aufgeladenen Bildern entrollt der Film die „Heilsgeschichte“ seiner Protagonisten. Dafür bedient er sich sehr geschickt der byzantinischen und postbyzantinischen Bildtradition. Der Filmemacher ließ Ikonen animieren, um die geheimen Wünsche und Befürchtungen seiner Figuren zu bebildern, die er mit den realistischen Szenen mischt. Dabei interpretiert er jedoch radikal das Erbe um. Auch wenn sich in der traditionellen Bildikonografie, welche die Figuren frontal anordnete und in einem genügsamen, reduzierten Stil festhielt, das Göttliche materialisierte, verwies es aber stets auf die nur geistige Anwesenheit des Transzendenten. Der Film dagegen feiert unmissverständlich die Wiederauferstehung des Körpers, des Fleisches. So rollt der Mönch in einer der animierten symbolischen Szenen den Stein vor Jesu Grab weg und wird dann gemeinsam mit der Nonne durch das Blut Christi emporgehoben. All dies geschieht vor ausdrucksstarken Aufnahmen der griechischen Landschaft, fast möchte man sie schon als Andachtsbilder bezeichnen. Manchmal verschwimmen die Felsen in einem Meer von Nebel, manchmal verändern sie ihre Gestalt im heißen Sonnenlicht, das Zirpen der Zikaden bohrt sich ins Ohr. Da der Film sein ästhetisches Potenzial aus der mittelalterlichen Tradition bezieht, lassen sich diese Ansichten nur als ein weiterer Spiegel der unsichtbaren Innenwelt verstehen, denn die Menschen erlebten seinerzeit die Natur noch nicht als etwas von sich Getrenntes. Die Landschaft trägt die Figuren, spendet ihnen Geborgenheit, aber beengt sie genauso, macht sie zu Zwergen und lässt sie die Gottesferne spüren. Doch sie strahlt auch wie ein Fels in der Brandung Ruhe und Zuversicht aus; gerade so wie sich der Mönch mit Psalm 23 („Der gute Hirte“) im Voice-Over immer wieder die Gewissheit zuspricht, dass Gott ihn nicht im Stich lassen werde. Wenn sich dann der Zuschauer plötzlich in einer Masturbationsszene mit dem Naturalismus eines Courbet mit dem „Ursprung der Welt“ konfrontiert sieht, könnte man dies als überzogene Drastik werten. Aber ist dieser abrupte Sprung aus einer symbolischen, stilisierten, indirekten Erzählweise in den Realismus des Fleisches nicht ein passender Ausdruck für den Schock durch das hervorbrechende Eigenleben des Körpers?
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