Drama | Deutschland/Polen 2013 | 126 Minuten

Regie: Marcin Malaszczak

Dokudrama mit einer episodischen, rudimentären Spielhandlung, angesiedelt in einem kleinen polnischen Ort nahe der deutschen und der tschechischen Grenze, dessen prägnantestes Gebäude eine psychiatrische Anstalt ist. Bilder einer postapokalyptischen Landschaft voller Ruinen werden Menschen gegenübergestellt, die kaum weniger abgestumpft wirken. Der bedrückende, schwer zu entschlüsselnde Film erfordert die volle Aufmerksamkeit des Zuschauers, der vor allem dank der vorzüglichen Kameraarbeit eine Atmosphäre von traumähnlicher, poetischer Absurdität erlebt. (O.m.d.U.) - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
SIENIAWKA
Produktionsland
Deutschland/Polen
Produktionsjahr
2013
Produktionsfirma
Deutsche Film- und Fernsehakademie Berlin (dffb)/Mengamuk Films
Regie
Marcin Malaszczak
Buch
Marcin Malaszczak
Kamera
Marcin Malaszczak
Schnitt
Stefan Stabenow · Maja Tennstedt
Darsteller
Stefan Szyszka (Stefan) · Stanislaw Cheminski (Stanislaw) · Ryszard Ciurus (Ryszard) · Tomasz Czlonka (Tomasz) · Kazimierz Duchaczek (Kazimierz)
Länge
126 Minuten
Kinostart
05.06.2014
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Drama
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Diskussion
Im Morgengrauen transportieren zwei Männer einen in rosa Zeltplane eingewickelten Körper auf einer Schubkarre und legen ihn vor dem Eingang eines Gebäudes ab. Szenenwechsel: Auf freiem Feld steht eine seltsame, weiß gekleidete Gestalt, den Kopf unter einem schweren Helm verborgen, und schaut auf eine karge zerrissene Landschaft. Szenenwechsel: Ein alter Mann stolpert in einer weißen Zwangsjacke durch den Wald. Ein anderer bietet ihm an, in seinem Zelt zu schlafen. Aber von seinen Fesseln lösen möchte er ihn nicht, denn er hat Angst, bestohlen zu werden. Sieniawka ist ein kleiner Ort im Süden Polens, nahe der deutschen und der tschechischen Grenze. Eine postapokalyptische Szenerie, gezeichnet von Tagebau und Hochwasser. Die verfallenen Bauten der einstigen Volksrepublik und verkommene Eigenheime schaffen eine triste postkommunistische Kulisse. Die rudimentäre Spielhandlung des Films führt in eine verwahrloste psychiatrische Anstalt, in der die Insassen im Halbdunkel vor sich hin vegetieren, irgendwo zwischen Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft. Mit ihren zerfurchten und teils abgestumpften Gesichtern bilden sie das Pendant zur zerrissenen Landschaft drumherum. Der polnisch-deutsche Regisseur Marcin Malaszczak hat bei seinem ersten abendfüllenden Spielfilm selbst die Kamera geführt und dabei beeindruckende und mitunter verstörende Bilder geschaffen, teils stilisiert, teils dokumentarisch, wie aus der Distanz aufgenommen: Im Aufenthaltsraum der Anstalt spielt ein alter Mann auf dem verstimmten Klavier und singt dazu, schief und falsch. Um ihn herum dösen andere Insassen der Klinik, in einer Art Wartesaal des Sterbens, mit seinen täglichen Ritualen: Essen, Rauchen, Schlafen. Gierig finden sich alle im Essensraum zusammen, wenn die Suppe aus Eimern heraus verteilt wird. Sonst leben die Männer nebeneinander her, auf engem Raum gibt es wenig Kontakt. Aber die Innenwelt, der graue Alltag der Anstalt und die Außenwelt mit weißen Bäumen im Sonnenlicht sind nur scheinbare Gegensätze. Auch wenn man am Ende denkt, der Protagonist des Films, der durch beide Welten irrt, fände nach dem traurigen Halbdunkel der Irrenanstalt ein halbwegs normales Dorf vor, belehren einen die Bilder schnell eines Besseren. Auch im Sonnenschein sieht Sieniawka aus wie ein von bösen Dämonen verwüstetes Märchenland: geborstene Brücken, ein umgestürztes Fachwerkhäuschen und zerrissene Hausfassaden. Als leises, postapokalyptisches Drama führt „Sieniawka“ den Zuschauer über zwei Stunden lang in eine ebenso bedrückende wie verwirrende Traumzone, in kreisförmigen und tranceartigen Bewegungen, enigmatischen Bildern und Dialogen. Doch hilft das, was gesprochen wird, nicht dabei, die Bilder zu verstehen; sie bringen vielmehr eine eigene poetische Absurdität in den Film. „Sieniawka“ ist kein einfacher Kinogenuss, aber wenn man sich einmal auf ihn einlässt, wird man unweigerlich von seiner ganz eigenen Atmosphäre gefangen genommen.
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