Drama | Norwegen/Deutschland 2013 | 91 Minuten

Regie: Rune Denstad Langlo

Eine junge Norwegerin kehrt nach dem Tod ihrer Großmutter an den Ort ihrer Kindheit zurück, dem sie vor Jahren entflohen ist. Die Rückkehr konfrontiert sie nicht nur mit ihrem verschlossenen Großvater, sondern auch mit dem unverarbeiteten tödlichen Unfall ihrer Eltern, an dem sie sich die Schuld gibt. Ein stilles, von zwei hervorragenden Hauptdarstellern getragenes Drama um Weltabschied und Versöhnung, dem es fast durchgängig gelingt, seine ernste Thematik in einem angenehm schwebend-leichten Tonfall zu präsentieren. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
JAG ETTER VIND
Produktionsland
Norwegen/Deutschland
Produktionsjahr
2013
Produktionsfirma
Motlys/Ma.Ja.De Fiction
Regie
Rune Denstad Langlo
Buch
Rune Denstad Langlo
Kamera
Philip Øgaard
Musik
Ola Kvernberg
Schnitt
Vidar Flataukan
Darsteller
Marie Blokhus (Anna) · Sven-Bertil Taube (Johannes) · Tobias Santelmann (Håvard) · Anders Baasmo Christiansen (Lundgren) · Frederik Meldal Nørgaard (Mathias)
Länge
91 Minuten
Kinostart
12.06.2014
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Drama
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Diskussion
Der Tod der alten Frau ist so flüchtig in die Bilder eingeschrieben, dass man diesen Ausgangspunkt der Geschichte kaum bemerkt. Eine kleine Holzwindmühle dreht sich vor einer norwegischen Landschaft, das Geräusch einer Säge ist zu hören. Ein Baum wird abgesägt, als er fällt, wird es im Sterbezimmer von Annas Großmutter plötzlich ganz hell, als wäre ein Vorhang zu einer anderen Welt aufgerissen worden. Die Leichtigkeit gehört zu Rune Denstad Langlos Stärken, ebenso wie die Lakonie, mit der er die eigentlich dramatischen Ereignisse seines Films „Chasing the Wind“ in ein mildes Licht setzt. Der Titel ist dem Predigerbuch der Bibel entlehnt: Alles Tun, das unter der Sonne geschehe, sei „eitel und Haschen nach dem Wind“ heißt es dort. Das Bibelzitat ist einer der wenigen Sätze, die Anna von ihrem Großvater zu hören bekommt. Der alte Johannes spricht kaum und verschanzt sich im Dunkel seines Hauses, nachdem seine Frau gestorben ist. Doch „Chasing the Wind“ ist nicht nur ein Film über das Trauern und das überwältigende Gefühl, ganz auf sich gestellt zu sein. Es geht auch um die mühsame Annäherung zwischen Menschen, die sich anfangs nicht allzu viel zu sagen haben. Wie in „Nord“, Langlos Spielfilmdebüt, wird eine Reise in die Vergangenheit angetreten. Alte Wunden brechen auf, verdrängte Schmerzen kehren zurück, doch Heilung ist nur am Ort des Traumas möglich. Die junge, aus Norwegen stammende Modedesignerin Anna führt ein scheinbar reibungsloses Leben in Berlin mit ihrem deutsch-dänischen Freund Håvard. Als sie per Telefon die Nachricht vom Tod ihrer Großmutter erhält, ist es Håvard, der sie zur Reise nach Norwegen drängt. Es ist ein langer Weg in die Heimat, Langlo zeigt das mit einer elegischen, von oben gefilmten Montagesequenz. Für Anna, die alleine reist, ist es auch ein beschwerlicher Weg, die Rückkehr derjenigen, die einmal davongelaufen ist. Der tödliche Unfall der Eltern, das Kind, das sich schuldig fühlt, die Unfähigkeit, über Gefühle zu sprechen: all das belastet die Wiederbegegnung Annas mit ihrem schweigsamen Großvater Johannes. So leben die unerwünschte Besucherin und das alte Raubein nebeneinander her, bis die Stille unerträglich wird. Langsam dreht sich der Wind. Anna erfährt ungeahnte Details über die Beziehung zwischen den Großeltern. Und sie trifft ihre Jugendliebe Lundgren wieder, der ihr mehr bedeutet, als ihr zurzeit lieb ist. Johannes rafft sich noch einmal auf, um seiner verstorbenen Frau einen Sarg zu zimmern. Der alte Baum wird zersägt, die Bretter gekürzt und geschliffen, Lundgren und Anna helfen bei den Tischlerarbeiten. Erinnerungen kommen hoch, auch bei Anna, die während einer Bootsfahrt mit dem Großvater endlich über dieses Unglück sprechen kann, dessen einzige Überlebende sie war, damals, als man zu dritt auf einem Segelboot unterwegs war, bis der Wind umschlug. Als nun auch das Eis zwischen Johannes und Anna endlich gebrochen ist, hat die junge Frau es nicht mehr eilig, die norwegische Einöde zu verlassen. Håvard reist aus Berlin an, um sie abzuholen, doch Anna zögert. Über die vielen Auslassungen hinweg macht Marie Blokhus als Anna den Selbstfindungsprozess der Hauptfigur nachvollziehbar. Ebenso eindrucksvoll gibt der schwedische Schauspielveteran Sven-Bertil Taube dem verstockten Johannes ein wettergegerbtes Gesicht. Dass sich das stille Drama um Weltabschied und Versöhnung im letzten Drittel ein wenig in die Länge zieht, ist ein lässliches Manko in einem ansonsten erstaunlich schwebend-leicht erzählten Film. Eine Geschichte von Verlust und Tod in derart hellen Farben zu erzählen – das Kunststück muss Rune Denstad Langlo erstmal einer nachmachen.
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