Biopic | Frankreich/Belgien 2013 | 139 Minuten

Regie: Martin Provost

Die französische Schriftstellerin Violette Leduc (1907-1972) leidet als unehelich geborenes Kind Zeit ihres Lebens unter der Ablehnung ihre Mutter. Dieses Trauma beflügelt ihre literarische Inspiration und schlägt sich in mehreren, von Simone de Beauvoir beförderten Romanen nieder. Der biografische Film spiegelt die radikale Subjektivität der Schriftstellerin in einer eher strengen, durchgeistigten Inszenierung, ohne dabei überzeugend an atmosphärischer Dichte und Konzentration zu gewinnen. - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
VIOLETTE
Produktionsland
Frankreich/Belgien
Produktionsjahr
2013
Produktionsfirma
TS Prod./France 3 Cinéma/Climax Films
Regie
Martin Provost
Buch
Martin Provost · Marc Abdelnour · René de Ceccatty
Kamera
Yves Cape
Musik
Hugues Tabar-Nouval
Schnitt
Ludo Troch
Darsteller
Emmanuelle Devos (Violette Leduc) · Sandrine Kiberlain (Simone de Beauvoir) · Olivier Gourmet (Jacques Guérin) · Catherine Hiegel (Berthe Leduc) · Jacques Bonnaffé (Jean Genet)
Länge
139 Minuten
Kinostart
26.06.2014
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Biopic
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
Koch (16:9, 1.85:1, DD5.1 engl./dt.)
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Diskussion
Dass Schaffensdrang und Einsamkeit eine zuweilen recht verzehrende Symbiose eingehen können, ist eine stehende Formel in vielen Künstlerbiografien. Martin Provost hat sie 2008 in seinem Biopic über das Schicksal der naiven Kunstmalerin Séraphine Louis („Séraphine“; (fd 39 411)) vorzüglich illustriert. Für seinen neuen Film hat er dazu offensichtlich eine Schwester im Geiste gesucht und glückhaft gefunden: die Schriftstellerin Violette Leduc, deren Todestag sich 2012 zum 40. Mal jährte. Man fragt sich natürlich, was diesen Typus von Künstlerin so attraktiv für Provost macht – und was dies über den Regisseur aussagt. Die unehelich geborene Violette Leduc, die sich offenkundig selbst nicht leiden mag, hängt sich gerne an Menschen, die ihr Begehren nicht erwidern. So wiederholt sie das Trauma der körperlichen Ablehnung durch die Mutter; Violette leidet immer aufs Neue an der Welt. Ein unwilliges Objekt ihrer verlangenden Blicke, der homosexuelle Schriftsteller Maurice Sachs, empfiehlt ihr, dass sie ihr Leid dem Papier klagen und selbst Autorin werden soll. Diese therapeutisch verkappte Idee, dass sich die Literatur als heilsames ästhetisches Medium erweise, um Distanz in einer bedrängenden Bindung herzustellen, um erhitzte Triebe, Gefühle und Sehnsüchte zu sublimieren und endlich die ersehnte Anerkennung zu finden, zieht sich durch den ganzen Film. Die Inszenierung schürt allerdings Zweifel an dieser Methode. In Paris stellt sich Violette selbstbewusst mit ihrem Manuskript Simone de Beauvoir vor. Doch schon bald muss sich die existentialistische Autorin der zudringlichen Avancen der begabten Newcomerin erwehren. Denn die Abstraktheit der Schrift und des Textes, in das die ungestüme Violette ihr ganzes Wesen hineingelegt hat, kann den Wunsch, in ihrem leidenschaftlichen Begehren anerkannt zu werden, nicht stillen. Dieser Liebesglut verschließt sich die in kühler Strenge von Sandrine Kiberlain hervorragend gespielte Simone de Beauvoir. Sie interessiert sich einzig und allein für Violettes Können, das sie von einer höheren Warte aus wertschätzt. Es soll dem gesellschaftlichen Anliegen dienen, die Emanzipation der Frau voranzutreiben. Deshalb sorgt de Beauvoir dafür, dass Violettes erstes Buch in einer von Albert Camus herausgegebenen Reihe veröffentlicht wird, wiederholt damit für Violette aber nur einmal mehr die von der Mutter erfahrene narzisstische Kränkung. Provost erzählt das Künstlerschicksal der Liebessüchtigen in sieben Kapiteln, die offenbar den Aufbau eines Buches suggerieren sollen. Gleichwohl ist der Zusammenhang zwischen Überschrift und Inhalt der einzelnen Abschnitte nicht immer einsichtig. Der Filmemacher kühlt Leducs üppige, sinnenerhitzte Formensprache durch nüchtern-farbreduzierte, wohlkomponierte Bilder ab, was durch die durchgeistigt-zurückgenommene Musik von Arvo Pärt zusätzlich unterstützt wird. Dass es Provost indes genau um diese radikal-unerschrockene Subjektivität der Künstlerin, um ihren unbedingten Schöpferdrang geht, wird deutlich, wenn er in Gestalt von Violette, aber auch schon in der von Séraphine, den Einfluss von Politik und Zeitgeschehen auf das Individuum nicht im Mindesten zur Kenntnis nimmt. Beide Frauen agieren äußerst selbstbezogen und geschichtslos. Man erfährt nichts von den Auseinandersetzungen in dem existentialistischen Intellektuellenzirkel, in dem sich Simone de Beauvoir bewegte. Die Schriftstellerin hatte ihre eigene Sinnkrise in dem Roman „Les mandarins“, der ein Jahr vor Leducs „Ravages“ erschien, vor dem Hintergrund der Debatte entfaltet, wie sich die französische Linke in den Nachkriegswirren zwischen den Hegemonieansprüchen der USA und der UdSSR behaupten könne. Anders als in „Séraphine“, deren Genie im Irrenhaus endete, zeigt Provost hier jedoch, wie es Violette letztlich gelingt, sich mit ihrem Schicksal als „La bâtarde“ anzufreunden und es künstlerisch produktiv zu machen. Mithilfe einer expressiven Lichtführung unterstreicht der Film, wie die Protagonistin aus der Düsternis (oder weiß-gleißender Helligkeit) schließlich in das sie weich umhüllende, wärmende Licht des sonnigen Südens findet. Den Schaffensprozess beider Künstlerinnen gestaltet Provost allerdings durchaus ähnlich. In „Séraphine“ gleitet die Hand der Protagonistin anfangs durchs Wasser, befühlt Schlingpflanzen, so dass die weibliche Schöpferkraft, die ihre Inspiration offensichtlich von einem höheren Wesen bezieht, durchaus mit einem Fließen und Strömen assoziiert wird; um sich ungehindert zu entfalten, bedarf es lediglich der Legitimation durch einen männlichen Kunstexperten. Auch bei Violette scheint das Innerste geradezu überzufließen; die Sätze quellen ihr nur so aus der Feder, worüber sie beim ersten Mal regelrecht erschrickt und ihren Blick mit der Kamera hoch ins Geäst eines Baumes schickt. Allerdings findet Provost bei der Darstellung von Violettes Produktivität nicht mehr zur atmosphärischen Dichtheit und Konzentration von „Séraphine“ zurück.
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