Verführt und verlassen

Dokumentarfilm | USA 2013 | 98 Minuten

Regie: James Toback

Im Mai 2012 wollen der Regisseur James Toback und der Schauspieler Alec Baldwin beim Filmfestival in Cannes Geld für ein Remake von Bernardo Bertoluccis Filmkassiker „Der letzte Tango in Paris“ (1972) auftreiben. Das vage Projekt ist dabei aber nur Vorwand für eine kurzweilige Dokumentation über die Schwierigkeiten des unabhängigen Filmschaffens. Diese lebt vom reichlichen Gebrauch des Split-Screen, einer beachtlichen Fülle filmhistorischer Referenzen sowie der Nähe zu den interviewten Schauspielern, Produzenten und Regisseuren. - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
SEDUCED AND ABANDONED
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
2013
Produktionsfirma
Michael Mailer Films
Regie
James Toback
Buch
James Toback
Kamera
Ruben Sluijter
Schnitt
Aaron Yanes
Länge
98 Minuten
Kinostart
10.07.2014
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
StudioCanal (16:9, 2.35:1, DD5.1 engl.)
Verleih Blu-ray
StudioCanal (16:9, 2.35:1, dts-HDMA engl.)
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Diskussion
Was bewegt Regisseure, Schauspieler und Produzenten, die kreativsten Köpfe ihrer Generation, all ihre Energie ins Filmgeschäft zu stecken? Über das Orson Welles doch zu Recht geklagt hat, dass er 95 Prozent seines Daseins vergeudet habe, um für mickrige fünf Prozent vor oder hinter der Kamera zu stehen? Auch Alec Baldwin bekennt in dem kurzweiligen „Mockumentary“ von James Toback freimütig, dass das „movie business the world’s worst lover“ sei: ständig werde man „seduced and abandoned“, so der Originaltitel, verführt und kurz darauf schon wieder schmählich im Stich gelassen. So ergeht es hier durchaus exemplarisch auch der amerikanischen Schauspielerin Neve Campbell, die der umtriebige Indie-Regisseur Toback für ein angebliches Remake von „Der letzte Tango in Paris“ (fd 18 266) gewinnen kann, das er mit ihr und Baldwin in Tikrit drehen will, der Heimatstadt von Saddam Hussein. Doch die hochheilige Zusicherung, an Campbell unter allen Umständen festzuhalten, ist Schall und Rauch, als potenzielle Geldgeber andere Namen ins Spiel bringen, etwa die von Jessica Chastain oder Diane Kruger. Flugs arrangieren Toback und Baldwin, die im Mai 2012 extra zum Festival nach Cannes gereist sind, um das Budget für ihr „Sex in the Desert“-Drama auf die Beine zu stellen, einen ersten „Pitch“ mit den blonden Aktricen, wie überhaupt die ganze illustre Dokumentation aus einer nicht endenden Abfolge von Treffen, Begegnungen und Dinner-Partys besteht, inklusive mal mehr, mal weniger tiefsinniger Interviews mit einer großen Zahl Prominenter, die allesamt um den neurotischen Nukleus des Filmemachens kreisen. Das zweifelhafte „Tikrit“-Projekt dient dabei lediglich als vager roter Faden, auf den sehr unterschiedliche Elemente gereiht sind. Das Cannes-Festival mit seinen bizarren Widersprüchen, der Hymne auf die Filmkunst wie den millionenschweren Yachten im Hafen, funkelt mythisch, wenngleich in den Champagnergläsern nur Mineralwasser perlt; die Sales-Agents und Finanziers schütteln Kalkulationen und Forderungen aus dem Ärmel, Martin Scorsese jammert, dass es am Ende doch immer nur ums Geld gehe, Chastain und Kruger halten sich klug bedeckt, und zu guter Letzt wird jeder Gesprächspartner auch noch mit der Frage malträtiert, ob er zu sterben bereit sei. Denn nur, wer nichts zu verlieren habe, so der listige Toback, vermag trotz aller Zwänge und Gängeleien wahre Kunst zu schaffen – weshalb er seinen Bildern augenzwinkernd auch Schostakowitschs mächtige 5. Symphonie unterlegt, die im Angstschweiß vor Stalins Säuberungen entstanden ist. Über die halbwegs unverbrauchten Blicke hinter die Kulissen des Filmgeschäfts an der Croisette hinaus resultiert der Unterhaltungs- wie der Informationswert von Tobacks schillerndem Filmmosaik vor allem aus dem häufigen Gebrauch des Split-Screens. Das Cannes-Festival wird darin – auch historisch – aufgefächert, die filmischen Referenzen während der Interviews werden parallel geführt. Wenn sich Bernardo Bertolucci an die „Tango“-Dreharbeiten erinnert und warum Brando dann fünf Jahre nicht mehr mit ihm sprach, Roman Polanski anhand von „Der Pianist“ (fd 35 643) über das Verhältnis von Biografie und Filmen reflektiert oder Francis Ford Coppola aus dem Nähkästchen plaudert, sieht man einschlägige Szenen und Einstellungen unmittelbar mit. Die Fülle ist dabei Trumpf, aber auch eine überraschende Nähe, die Ryan Gosling, James Caan oder die Drehbuchautorin Diablo Cody zu erstaunlich persönlichen Anekdoten verleitet. Das macht den großen Unterschied zu all den schnell gedrehten Reportagen über Cannes und die Schwierigkeiten aus, einen Film auf die Beine zu stellen. Am Ende sind zwar alle Fragen weiter offen, doch das gehört wohl zum Kino wie das Kreisen des alten Karussells am Strand von Cannes, in dem „Verführt und verlassen“ seine zentrierende Metapher findet.
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