Die langen hellen Tage

Drama | Georgien/Deutschland/Frankreich 2013 | 102 Minuten

Regie: Nana Ekvtimishvili

Zwei 14-jährige Freundinnen aus Tiflis erleben 1992, wie Georgien ein Jahr nach seiner Unabhängigkeit unter dem wirtschaftlichen Zusammenbruch leidet. Sie werden von der um sich greifenden Gewalt sowie der Wiedererstarkung patriarchalischer Vorstellungen bedroht, gegen die sie sich mit Lebenslust und viel Energie zur Wehr setzen. Der Film fängt in ausdrucksstarken Bildern wichtige Momente im Alltag der beiden Teenager ein und zeichnet ein ein­­drück­­liches und bewegendes Bild von der Revolte einer jungen Generation gegen eine Gesellschaft, die Frauen kein Recht auf freie Entscheidungen zubilligt. - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
GRZELI NATELI DGEEBI
Produktionsland
Georgien/Deutschland/Frankreich
Produktionsjahr
2013
Produktionsfirma
Polare Film/Indiz Film/Arizona Films/ZDF (Das kleine Fernsehspiel)
Regie
Nana Ekvtimishvili · Simon Groß
Buch
Nana Ekvtimishvili
Kamera
Oleg Mutu
Schnitt
Stefan Stabenow
Darsteller
Lika Babluani (Eka) · Mariam Bokeria (Natia) · Zurab Gogaladze (Kote) · Data Zakareishvili (Lado) · Giorgi Aladashvili (Kopla)
Länge
102 Minuten
Kinostart
21.08.2014
Fsk
ab 12 (DVD)
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Drama
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
absolut (16:9, 1.78:1, DD5.1 dt.)
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Diskussion
Der georgische Film „Die langen hellen Tage“ ist ein bezaubernder Film, der mit feinem Gespür die Freuden und Leiden des Erwachsenwerdens in einem postkommunistischen Land einfängt. Dabei gibt er einen differenzierten, facettenreichen Einblick in eine Gesellschaft, die sich zwischen kommunistischen und konservativen Werten hin und her bewegt. Und er hat mit den beiden 14-jährigen Freundinnen Eka und Natia zwei einnehmende Heldinnen, deren Darstellerinnen magisch in Bann ziehen. Zu Recht ist der Film mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet worden. Die Handlung spielt 1992, ein Jahr nach der Unabhängigkeit Georgiens, als die Menschen mit den Folgen des daraus resultierenden wirtschaftlichen Zusammenbruchs zu kämpfen haben. Der Alltag in Tiflis wird von Gewalt und Lebensmittelknappheit dominiert; Jung wie Alt müssen nach Brot anstehen. In diesem Chaos versuchen sich die Freundinnen zu behaupten, wobei die selbstbewusste, vorlaute Natia ihre eher schüchtern wirkende Freundin zur Gegenwehr anzustacheln versucht. Beiden setzen strenge Eltern und autoritäre Lehrer zu, die sie mit patriarchalischen Vorstellungen bombardieren, dass ein Mädchen auf jeden Fall als Jungfrau in die Ehe gehen sollte. Zuhause ist die Welt ebenfalls nicht in Ordnung, auch wenn die Wertschätzung klassischer Kulturgüter hochgehalten wird. Während Natias Lebensfreude von ihren streitsüchtigen Eltern getrübt wird, fehlt bei Eka der Vater komplett; die Mutter schweigt sich über diese Leerstelle geheimnisvoll aus. Doch trotz aller Probleme gelingt es den Freundinnen, sich etwas von dem unbeschwerten Glück des jugendlichen Aufbruchs zu bewahren. Lustvoll erkunden sie die Welt der Erwachsenen und knüpfen erste Kontakte mit dem anderen Geschlecht. Dafür findet der Film eindrucksvolle Szenen, die unangestrengt aneinander gereiht werden. So schleicht sich Eka heimlich ins Schlafzimmer der Eltern, streicht sachte über die Kleider in den Schränken, kramt in den Schubladen herum und findet als letzte Erinnerungsspur eine Zigarette des Vaters. Sie schnuppert daran, um seinen Duft zu inhalieren und den Vater darüber zu vergegenwärtigen. Umso größer ist das Entsetzen, als die Schwester diese Reliquie des Vaters aufraucht. Ein andermal vergnügt sich Eka mit einer Gruppe junger Frauen im Klavierzimmer, rauchend, plaudernd und singend. Doch als die Mutter die Tür zu dem Zimmer öffnet, findet sie eine sittsame Damengesellschaft vor, die klassische Stücke zum Besten gibt. Doch dann wird die renitente Natia von einer Jungenbande entführt. Eine brutale Wendung, die der Selbsterprobung des draufgängerischen Mädchens ein Ende setzt. Allerdings werden diese Szenen heimlicher Lebenslust durch die Farbdramaturgie erheblich gebremst, die den Geschichten einen melancholischen Ton unterlegt. Alles ist in bleichen Farbtönen gehalten, die durch das ästhetische Zusammenspiel von Blau, Grün und Weiß faszinieren, in denen für grelles Rot aber kein Platz ist. Der Film erzählt die beeindruckende Geschichte seiner jungen Heldinnen mit politischem Anspruch. Er zeigt, wie in Georgien Frauen systematisch benachteiligt werden, insbesondere durch rückständige Gebräuche wie den „Brautraub“, der sich bis heute erhalten hat. Die Inszenierung vertraut vor allem auf die Künste und gibt selbst ein wunderbares Zeugnis von deren expressiver Zauberkraft. Der Film macht sichtbar, wie mit der Kunst den Frauen ein machtvolles Mittel zur Verfügung steht, wodurch sie sich selbst ausdrücken, eine andere Rolle einnehmen, ihr Missfallen und ihre Kritik äußern können. In einer langen, großartigen Szene „kapert“ Eka einen traditionell für die Männer reservierten Tanz und offenbart darin all ihre Gefühle. Was für ein bewegender Moment!
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