Ein Sommer mit Flaubert

Komödie | Frankreich 2014 | 99 Minuten

Regie: Anne Fontaine

Eine attraktive Britin überredet ihren Ehemann, von London in ein beschauliches Dorf in der Normandie zu ziehen, wo sie auf einen literaturbegeisterten Bäcker trifft, der ihr Leben vor der Folie von Gustav Flauberts Roman „Madame Bovary“ interpretiert. Die unterhaltsame Gesellschaftskomödie erzählt den berühmten Stoff einer nach Romantik hungernden Frau aus der Sicht des Bäckers und verlagert so den Fokus auf männlichen Voyeurismus. Die in warmen Farben gehaltene Adaption einer Graphic Novel von Posy Simmonds rückt deren satirische Spitzen zugunsten einer eher gefühlvollen Ausgestaltung in den Hintergrund. - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
GEMMA BOVERY
Produktionsland
Frankreich
Produktionsjahr
2014
Produktionsfirma
Albertine Prod./Ciné@/Cinéfrance 1888/Gaumont
Regie
Anne Fontaine
Buch
Pascal Bonitzer · Anne Fontaine
Kamera
Christophe Beaucarne
Schnitt
Annette Dutertre
Darsteller
Fabrice Luchini (Martin) · Gemma Arterton (Gemma Bovery) · Jason Flemyng (Charlie) · Isabelle Candelier (Valérie) · Elsa Zylberstein (Wizzy)
Länge
99 Minuten
Kinostart
18.09.2014
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Komödie | Literaturverfilmung
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
Prokino (16:9, 2.35:1, DD5.1 frz./dt.)
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Diskussion

Bäcker Joubert flippt regelrecht aus, als er mitbekommt, dass seine Nachbarin Gemma die Mäuseplage in ihrem Haus mit Gift bekämpfen will. Das liegt nicht an Jouberts Tierliebe, sondern an seiner Liebe zum Werk von Gustave Flaubert. Joubert wittert hinter dem Gleichklang des Namens seiner Nachbarin, Gemma Bovery, eine fatale Schicksalsparallele zu Flauberts Romanheldin Emma Bovary. Da diese durch einen Selbstmord mittels Arsen ums Leben kommt, kann Joubert den Gedanken nicht ertragen, dass Gift in Gemmas Reichweite kommen könnte, auch wenn es nur für unliebsame Nagetiere bestimmt ist. So sehr Joubert die Vorstellung fasziniert, dass mit der jungen Britin und ihrem Mann Charlie in dem alten Bauernhaus nebenan quasi eine fleischgewordene Blaupause von Flauberts Figuren Emma und Charles Bovary eingezogen ist, so wild entschlossen ist er, eine Nachahmung des fatalen Roman-Endes zu verhindern. Nicht zuletzt deshalb, weil er eine beträchtliche Schwäche für die schöne Gemma hegt.

Das britisches Ehepaar, das auf der Suche nach ländlicher Idylle und „savoir vivre“ aus London in ein Dorf in der Normandie gezogen ist, und ein Bäcker, der früher in einem Verlag gearbeitet hat und die Literatur ein bisschen zu sehr und seine eigene Existenz als Familienvater etwas zu wenig schätzt: das sind die Hauptfiguren, die Regisseurin Anne Fontaine in ihrer Gesellschaftskomödie nach einer Graphic Novel von Posy Simmonds mit- und gegeneinander antreten lässt. Die erzählerischen Rahmenbedingungen entlehnt sie Simmonds Vorlage. Die Zuschauer bekommen die Ereignisse als Jouberts Bericht präsentiert, der nach Gemmas Tod ihre Tagebücher in die Hände bekommt und mit deren Hilfe die Ereignisse rekonstruiert, die zu ihrem verfrühten Ableben führen: Allzu bald nach dem Umzug in die Normandie macht sich bei Gemma Desillusionierung und Langeweile breit. Willkommene Abwechslung bietet die Bekanntschaft mit dem jungen Hervé de Bressigny, der im Schlösschen seiner adligen Familie fürs Jura-Examen büffelt, sich aber gerne von Gemma ablenken lässt. Die beiden beginnen eine Bettgeschichte, die sie zwar geheim zu halten versuchen, die Jouberts neugierigen Augen aber nicht entgeht – und für ihn der Beweis dafür ist, dass Gemma in die Fußstapfen ihrer literarischen Namensvetterin zu treten droht.

Während Simmonds Vorlage in Schwarz-Weiß gehalten ist und damit den verklärenden Vorstellungen, mit denen sich die Boverys in die Normandie aufmachen, von vornherein einen visuellen Dämpfer verpasst, erstrahlen die Bilder in Fontaines Film in warmen Farben und goldenem Sommerlicht. Dazu passt, dass Fontaine die satirischen Zuspitzungen der Graphic Novel zurückfährt. Das gilt nicht zuletzt für die Zeichnung der Titelfigur, die von Gemma Arterton fast zu strahlend und sympathisch verkörpert wird, während Simmonds’ Gemma ambivalenter und damit letztendlich interessanter charakterisiert ist. Und es gilt für den Umgang mit dem leidigen Thema Geld: Während bei Simmonds in den Beziehungen der Figuren immer wieder finanzielle Fragen eine Rolle spielen und die Auseinandersetzungen daüber wie Steine im Schuh drücken, tritt das unromantische Geld bei Fontaine zugunsten des Gefühlswirrwarrs deutlich in den Hintergrund.

Außerdem wird der Simmondssche Figuren-Kosmos eingedämmt. Was an manchen Stellen Sinn macht, an anderen aber für gewisse Leerstellen sorgt; so bleibt die Figur von Gemmas Ehemann Charlie etwas unterentwickelt, obwohl sie in dem sich anbahnenden Konflikt eine wichtige Rolle spielt. „Gemma Bovery“ ist nichtsdestotrotz eine unterhaltsame Komödie, die eigene Akzente setzt. Durch die Aussparungen fokussiert der Film die Aufmerksamkeit mehr auf die Erzählerfigur Joubert. Er wird, noch mehr als die Titelfigur, zum eigentlichen Herzstück des Films und ist mit Fabrice Luchini obendrein famos besetzt.

Die Gemma/Emma-Geschichte der weiblichen „ennui“, der Langeweile einer verheirateten Frau, die in einer abgekühlten Ehe und einem ländlichen Kaff festsitzt und nach Romantik hungert, wird dadurch umso pointierter als männliche Projektion uminterpretiert: Joubert ist es, der sich mit seiner Dorfbäckerei und seiner Ehe nicht ausgefüllt sieht und nach Abwechslung und einem Ventil für seine erotischen und literarischen Fantasien sucht, wofür ihm Gemma gerade recht kommt. Anne Fontaine macht damit aus dem Stoff nicht zuletzt eine Komödie über den männlichen Blick auf Frauen und ihre Sexualität und aus dem Voyeur Joubert ein Objekt des Zuschauerinteresses.

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